Jüdische Studierende in Mainz und Mitarbeiter der Muslimischen Akademie in Heidelberg erfahren zwar immer wieder Rückschläge durch Anfeindungen und gegenseitige Vorwürfe. Was sie aber eint, ist ihre Friedensarbeit und die Bereitschaft, sich immer wieder gegenseitig zuzuhören und auszutauschen.
Gespräche gegen Antisemitismus sollen helfen
"Wir spüren eine Anspannung in einer großen Dimension", berichtet Emilia Taran. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des jüdischen Studierenden-Verbandes Hinenu in Mainz. Ihrer Erfahrung nach trauen sich viele Jüdinnen und Juden bei uns im Land nicht mehr, offen und bekennend an die Universitäten oder in Bibliotheken zu gehen. Der angewachsene Antisemitismus sei spürbar und sie hoffe, sagt Taran, dass allen Menschen in Deutschland klar sei, dass Israel momentan gegen mehrere Terrororganisationen zu kämpfen habe. Das anzuerkennen sei wichtig, um gut miteinander ins Gespräch zu kommen. Der Zusammenhalt in der jüdischen Gemeinschaft sei durch die wachsende Bedrohung von außen nochmal stärker geworden, berichtet die Studierendenvertreterin. Umso wichtiger sei jetzt aber, besser miteinander ins Gespräch zu kommen - mit jungen Muslimen etwa.
Mehr Anfeindungen auch gegen Muslime
Aus Sicht von Yasemin Soylu, der Geschäftsführerin der muslimischen Akademie in Heidelberg, hat der 7. Oktober auch für die muslimische Welt vieles verändert. Nicht nur der Antisemitismus habe zugenommen, sondern auch die Anfeindungen, denen sich Muslime bei uns ausgesetzt sehen. Soylu berichtet von Anfeindungen auf der Straße oder auch dem recht pauschalen Vorwurf, islamistisch zu sein. Viele Muslime fühlen sich an die Zeit nach den Terrorattacken des 11. September 2001 zurückerinnert. Auch die Heidelberger muslimische Akademie setzt auf Gespräche und ein neu aufzubauendes Verständnis untereinander als Gegenmittel.
Austausch im Alltag ist wertvoll
Aus Sicht von Emilia Taran, der Vorsitzenden des jüdischen Studierenden-Verbandes, gehen Menschen nicht nur als bekennende Juden oder Muslime durch die Straßen, sondern pflegten auch gerne gemeinsame Interessen wie Fußball spielen. Im Alltag sei es wichtig, nicht an allererster Stelle die Streitthemen anzusprechen. Sie wünscht sich unter möglichst vielen jüdischen und muslimischen Menschen in Deutschland gegenseitige Akzeptanz. Wichtig sei, anzuerkennen, dass der jeweils andere in seiner Gemeinschaft verwurzelt ist, seine geistige Heimat hat. Das sei eine wichtige Grundlage, um aufeinander zugehen zu können.
Erhöhte Vorsicht in der jüdischen Gemeinde
In Frankfurt berichten Mitglieder der jüdischen Gemeinde, dass sie im Alltag deutlich vorsichtiger geworden sind. Der Sohn von Yuval und Regina Rozenberg darf nicht mehr mit einem Fußballshirt des Makkabi-Sportclubs auf die Straßen gehen – die Angst der Eltern, dass er dafür attackiert werden könnte, ist groß. Auch unterhält sich die Familie mit ihren Kindern auf den Straßen nicht mehr auf Hebräisch. Gleichzeitig merken viele Mitglieder der viertgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands, dass sie fast täglich mit den Folgen des Hamas-Überfalls auf Israel gedanklich beschäftigt sind. Für Yuval Rozenberg ist es "kaum mehr möglich wirklich abzuschalten", wie er SWR1 Reporterin Claudia Bathe berichtet.
Ruhiger Austausch zwischen Juden und Muslimen
Yasemin Soylu ärgert sich immer wieder, dass viele Musliminnen und Muslime sehr pauschal unter Antisemitismus-Verdacht zu geraten. Um den tatsächlich existierenden Antisemitismus unter Muslimen eindämmen zu können, braucht es aus Sicht Soylus geschützte Räume, um in Ruhe über Vorurteile und Emotion sprechen zu können, die im Hintergrund der Nährboden für wachsenden Antisemitismus sein können. Statt immer weiter zunehmendem Hass sei es für die in Deutschland lebenden Juden und Muslime wichtig anzuerkennen, dass es gerade hierzulande eine gute Basis für ein friedliches Miteinander geben kann.
Hoffnung auf mehr Mut und weniger Vorurteile
Soylu wünscht sich, dass Begegnungen zwischen Juden und Muslimen in Deutschland selbstverständlich werden – und auch in der Öffentlichkeit und nicht nur in geschützten Räumen ihrer Akademie stattfinden können. Dafür brauche es Mut – aber auch bei mehr Menschen die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, ohne dafür auch in der eigenen Gemeinschaft kritisiert zu werden.