Wir haben mit Laura Trost von der Stiftung Lesen in Mainz darüber gesprochen, woran das liegt und welche Auswirkungen das für Kinder und ihre Entwicklung hat – auch im Bezug auf ihre späteren Bildungschancen.
Vorlesen als Grundlage für Sprachverständnis und Selbstbewusstsein
SWR1: Warum ist das tägliche Vorlesen so wichtig?
Laura Trost: Vorlesen legt die Grundlage dafür, dass Kinder selbst gut lesen lernen. Das schult aber nicht nur das Verständnis für Sprache, vorlesen regt auch die Fantasie an. Es lässt Kinder mitfühlender und auch selbstbewusster werden, weil sie aus den Geschichten ganz viel für sich selbst mitnehmen können. Deswegen ist es besonders wichtig.
SWR1: Kinder, die nicht vorgelesen bekommen, können weniger gut lesen und gehen wenig selbstbewusst durchs Leben – kann man das so sagen?
Trost: So drastisch würde ich es jetzt nicht formulieren. Aber ihnen fehlt eine ganz wichtige Grundlage, um genau die gleichen Startchancen zu haben wie Kinder, die vorgelesen bekommen.
Gründe für das Vorleseverhalten der Eltern
SWR1: Was hindert Eltern am Vorlesen?
Trost: Das sind ganz unterschiedliche Gründe und viele liegen bei den Kindern. Oftmals wird gesehen, dass die Kinder beispielsweise zu unruhig sind, gar nicht vorgelesen bekommen wollen oder sich lieber mit anderen Dingen beschäftigen möchten.
Dabei wird oftmals außer Acht gelassen, dass Vorlesen auch einen positiven Effekt diesbezüglich mit sich bringt. Das heißt, wenn Kinder sehr unruhig sind, kann man durch Vorlesen auch schulen, dass die Konzentration gesteigert wird und auch mal runtergekommen wird. Aber genau das sind so ein bisschen die Gründe, die dahinterstecken.
Wie viel Vorlesezeit ist ideal für Kinder?
SWR1: Reicht es, wenn ich meinem Kind abends ein Pixi-Buch vorlese?
Trost: Ich sag mal so, bevor ich gar nicht vorlese, ist jede Minute vorlesen eine gut verbrachte Minute. Wir sagen immer, wenn man zehn bis 15 Minuten regelmäßig vorliest, ist das absolut eine gute Größe, an der man sich orientieren kann. Wichtig ist da nur die Regelmäßigkeit.
Vorlesen unterstützt den Übergang zur Schule
SWR1: Kinder im Kindergartenalter sind natürlich die Zielgruppe. Wie schaut es aus mit der Grundschule und der weiterführenden Schule? Bis zu welchem Alter sollte man vorlesen?
Trost: Aus dem Vorlesemonitor wissen wir, dass vor allem ganz jungen Kindern nicht vorgelesen und beim Übergang in die Schule zu früh aufgehört wird. Aber gerade dieser Übergang in die Schule ist ein ganz wichtiger und auch kritischer Zeitpunkt.
Man muss sich das so vorstellen: Lesen lernen ist sehr schwierig und das kann auch sehr schnell frustrieren. Wenn wir uns jetzt vorstellen, dass die Kinder eigentlich schon viele komplexe Geschichten gewohnt sind und dann mit sehr einfachen Texten in der Schule anfangen, die sie selbst lesen lernen sollen, kann das am Anfang frustrieren und langweilig sein. Deswegen ist das Vorlesen in der Familie noch mal ein ganz wichtiger Punkt, um die Kinder weiter zu motivieren und dranzubleiben.
Das Interview führte SWR1 Moderator Hanns Lohmann.