Andreas Toba nach seiner Reckübung

Turnen | Olympia

Andreas Toba nach langer Leidenszeit: "Ich sauge jede Minute bei Olympia auf"

Stand
Autor/in
Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist

Nach einer schweren Knieverletzung war Turn-Star Andreas Toba am Boden. Keiner traute ihm die Olympia-Teilnahme zu. Toba erzählt, wer ihm half, seine schwere Krise zu meistern – und was er beim Blick in den Spiegel denkt.

Wut, Freude, Frust, Jubel, Enttäuschung, Lachen – die Olympischen Spiele in Paris sind ein Festival der Emotionen. Andreas Toba benutzt in diesen Tagen ein anderes Wort, um seine Gefühlslage zu beschreiben: Dankbarkeit. Im SWR-Gespräch fällt dieser Begriff bei fast jeder Antwort. Der 33-Jährige ist "unfassbar dankbar", dass er ausgerechnet in seinem reifen Alter und bei seiner vierten Olympia-Teilnahme die "beste Übung" eines olympischen Wettkampfs geturnt hat.

Schwere Knieverletzung bei der WM in Antwerpen

Erstmals in seiner Karriere sei er "mit einem Lächeln in den Wettkampf rein und einem Lächeln raus" gegangen. In Paris turnte Toba vier Top-Übungen in der Qualifikation. Er belegte mit einer fantastischen Reck-Übung Platz 14 und schrammte nur knapp am Einzel-Finale vorbei. Drei Zehntel fehlten – das ist im Turnen fast nichts. Seit zwölf Jahren turnt Toba jetzt schon auf Top-Niveau und hat seine Leistungen in Paris sogar noch einmal verbessern können.

Dabei war er im Herbst 2023 meilenweit von einer Olympia-Teilnahme entfernt. Toba hatte sich Ende September im Podiums-Training bei der WM in Antwerpen am Knie schwer verletzt. Er musste kurzfristig aus dem Team gestrichen werden. "Ich habe seine Tränen in den Augen gesehen, als ich ihn leider rausnehmen musste," berichtete Bundestrainer Valeri Belenki. Wie schon bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio, als Toba zum "Hero de Janeiro" wurde, stellte er sich auch in Antwerpen uneigennützig in den Dienst des Teams und unterstützte seine Kollegen so gut es ging.

Andreas Toba: "Das war das schwierigste Jahr meines Lebens"

Die Zeit danach war furchtbar für den deutschen Top-Turner. "Fast alle haben mich abgeschrieben. Sie trauten es mir nicht zu, es noch mal zu den Olympischen Spielen zu schaffen", erinnert er. Menschen hätten sich von ihm abgewandt, als er nicht mehr der fröhliche Mensch war. Wie dunkel das Tal war, das er durchschritt, beschrieb der Weltklasse-Athlet zum Jahresende in einem Social Media-Post: "2023 war für mich das schwierigste Jahr meines Lebens. Nur Gott weiß, wie viele Tränen, Schmerzen und schlaflose Nächte ich hatte. Von einer tragenden Säule in der deutschen Nationalmannschaft zum Ersatzmann und letztlich vom Vorbild zu einem gebrochenen Mann."

Toba über das "schwierigste Jahr seines Lebens"


Zehn Wochen musste Toba auf die Diagnose warten. Mehr als einmal fragte er sich: Warum mache ich das alles noch? Er dachte daran, seine Karriere zu beenden. Aber Toba bekam Unterstützung. "Mein Trainer, meine Familie und meine besten Freunde haben mir in den Hintern getreten, wenn ich aufgeben wollte. Sie haben mich wieder aufgebaut."

Neben seinem engsten Umfeld ist Toba vor allem Gott dankbar. "Der Glaube war die größte Kraftquelle für mich in diesen schwierigen Zeiten", bekennt er. Seine Eltern kommen aus Rumänien. Dort sei es normal, dass alle orthodox getauft seien. "Viele Menschen in Rumänien haben einen intensiven Bezug zu Kirche und Gott. Ich glaube seit meiner Kindheit, dass es Gott gibt." Toba ist dankbar, dass er eine Religion kennenlernen durfte, die ihm entspricht. "Ich mag die Werte, die dahinterstehen", sagt er. Toba lebt diese Werte. Er stellt sein Ego hintenan und den Teamgedanken in die erste Reihe.

Andreas Toba: "Meine Sportpsychologin hat mich zu einem besseren Turner gemacht"

Die Diagnose im Herbst 2023 machte ihm etwas Mut. Das vordere Kreuzband im rechten Knie war nicht komplett kaputt, sondern "nur" angerissen. Die Saison war für den Turner zwar gelaufen, doch Toba versprach zu kämpfen und sich an jedem Grashalm der Hoffnung festzuhalten.

Dazu gehörte auch die Erkenntnis, dass er im mentalen Bereich noch Nachholbedarf hatte. "Ich hatte bis dahin immer gesagt, ich brauche das nicht", erzählt er. "Aber da wir im Turnen nach Perfektion streben, kann man immer noch besser werden." Also begann er, eng mit Lena Tessmer, Sportpsychologin am Olympiastützpunkt Niedersachsen, zusammenzuarbeiten. Toba schwärmt von der Kooperation mit ihr. "Sie hat mich zu einem viel besseren Turner gemacht. Ich konnte durch ihre Unterstützung einen großen Schritt nach vorne machen." Das Resultat war jetzt bei Olympia in Paris zu sehen. Erstmals konnte Toba seine sehr guten Trainingsleistungen auch im Wettkampf umsetzen. "Dass ich ausgerechnet hier meine beste Reckübung turnen konnte, macht mich sehr froh", sagt er glücklich.

Wenn ich in den Spiegel schaue, merke ich: Ich war noch nie so fit wie jetzt – körperlich und mental.

Wie geht es jetzt weiter? Wie lange will und kann er noch auf diesem hohen Niveau turnen? "Diese Frage treibt mich fast täglich um", sagt er. Nach der Rückkehr aus Paris will sich Toba zunächst auf die Kunstturn-Bundesliga vorbereiten. Sein Verein, der TV Wetzgau (Stadtteil von Schwäbisch Gmünd), startet am 28. September in die neue Saison. Mit dem Team um Trainer Helge Liebrich ("Einer meiner besten Freunde") will er eine ähnlich erfolgreiche Saison wie im Vorjahr absolvieren (Vize-Meisterschaft). Gegen Jahresende will er dann eine Entscheidung treffen, wie es weitergeht. Toba schätzt seine Situation realistisch ein: "Aktuell sieht es nicht danach aus, dass ich die nächsten Olympischen Spiele in Los Angeles 2028 noch angehen werde."

Andreas Toba genießt jeden Moment

Aber das ist alles Zukunftsmusik. Jetzt genießt er seine freien Tage in Paris. Auch wenn er täglich trainiert, hat er schon einiges von der Seine-Metropole gesehen. Er war mit Teamkollegen am Eiffelturm, hat sich die Beachvolleyball-Atmosphäre gegönnt und Handball geschaut. Vor allem aber unterstützt er seine Turnkollegen in den Einzel-Wettbewerben. Am Mittwoch drückte er Nils Dunkel im Mehrkampf-Finale die Daumen, am kommenden Montag (05.08.2024) will er seinen engen Freund Lukas Dauser beim Barren-Finale zu einer Medaille schreien.

Andreas Toba mit Rafael Nadal (r.) und Lukas Dauser in Paris
Andreas Toba mit Rafael Nadal (r.) und Lukas Dauser in Paris

"Ich genieße momentan nur. Ich sauge jede Minute hier auf. Es ist ein großes Privileg, Deutschland vertreten zu dürfen." Andreas Toba ist in diesen Tagen ein glücklicher Mensch.

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Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist

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