SWR Sport: Früher war es die Petko, die auf dem Platz stand. Heute ist es Andrea Petkovic, die beim Turnier in Stuttgart auch als Hallensprecherin vorgestellt wurde. Wer sind Sie gerade?
Andrea Petkovic: Manchmal denke ich, ich bin noch Tennisspielerin. Da muss ich zwei Anekdoten erzählen: Vor einer Woche etwa wurde ich im Hotel angesprochen und gefragt, was ich mache und da kam aus mir heraus: Ich bin Tennisspielerin. Dann musste ich kurz innehalten und sagte: "Ich war mal Tennisspielerin."
Zum Showkampf hier beim Tennis Grand Prix in Stuttgart am vergangenen Montag aber habe ich dann meine Tennisschläger vergessen (lacht). Deshalb denke ich, dass ich in einem Prozess von der Tennisspielerin zur Ex-Tennisspielerin bin. Zu einem Turnier zu kommen, ohne Schläger ist schon ein gewisser Abnabelungsprozess.
SWR Sport: Sie haben 2022 Ihre Karriere beendet. Sind Sie noch Suchende, was die Zukunft angeht oder haben Sie schon einige Mosaiksteinchen zusammengefügt, die für Sie dann irgendwann ein Gesamtbild ergeben?
Ich glaube fest daran, dass im Leben vieles Zufall ist. Aber manche Dinge habe auch schon gegen Ende meiner Karriere zugesagt, weil ich wusste es geht nicht mehr für immer. Manche Dinge, wie die Sportsendung, die ich moderiert habe, sind mir auch einfach in den Schoß gefallen.
Da bin ich ganz normal zum Casting gegangen. Das war während der Pandemie, ich hatte also Zeit. Es gab keine Turniere. Das war und ist alles eine gute Mischung aus Zufall und Zusagen, wenn man Angst hat, dass man danach nichts mehr machen kann (lacht).
SWR Sport: Sie haben Ihr zweites Buch geschrieben, in dem Sie auch reflektieren, was nach dem Karriereende gekommen ist. Was hat Sie am stärksten überrascht, als Sie dann tatsächlich aufgehört haben?
Das waren vor allem zwei Dinge: Mich hat zum einen der Prozess des Loslassens überrascht. Ich hätte nicht gedacht, weil ich eben schon gewisse Dinge vorbereitet hatte, dass mich dieser Prozess so mitnehmen wird. Ich dachte, ich bin mir bewusst darüber, dass es aufhört, dass ich ein rationaler Mensch bin, dass ich es durchanalysiert habe. Aber dann hat mich dieser Trauerprozess, der Prozess der Veränderung sehr mitgenommen.
Ich war dann aber auch wieder überrascht als es vorbei war, dass es sich dann okay anfühlte. Ich war immer noch traurig, aber insgesamt war es okay und ich war auch erleichtert. Dass die Angst vor der Veränderung viel größer ist als die Veränderung selbst, war also auch eine Lektion die ich mitgenommen habe.
SWR Sport: Ist es dann auch schön, ohne mentale Schmerzen, aber eben auch ohne körperliche Schmerzen zu leben, wenn man die Karriere erst einmal beendet hat?
Ich muss zwar fünf- bis sechsmal die Woche Übungen machen, um meine ganzen kleinen Wehwehchen meiner Tenniskarriere in Schach zu halten, aber insgesamt ist die größte Erleichterung, nicht mehr dauererschöpft zu sein. Als mein Körper sich ein wenig regeneriert hatte von 16 Jahren Tenniskarriere, habe ich zum ersten Mal gemerkt, wie schön es ist, Energie zu haben und Lust zu haben, spazieren oder ins Museum zu gehen.
Im Leistungssport strapaziert man seinen Körper über Gesundheitsgrenzen. Das gehört leider dazu. Das hat mir Jahre lang sehr viel Spaß gemacht. Aber die körperliche Energie, die man bekommt, wenn man aufhört, das ist der größte Gewinn in meinem Leben, seit ich aufgehört habe.
SWR Sport: Haben Sie noch Lust privat mit Freunden Tennis zu spielen?
Ja, ein- bis zweimal die Woche spiele ich noch sehr gerne, nie aber um Punkte. Das brauche ich nicht mehr.
SWR Sport: Wenn man auf das schaut, was nach Ihrer Karriere kam, zum Beispiel Ihre Bücher, die Sie geschrieben haben. Fällt ihnen das Schreiben einfacher als das Tennisspielen?
Es fällt mir tatsächlich leichter, weil es mein natürlicher Zustand ist, Dinge zu durchdenken und zu analysieren. Das stand mir beim Tennisspielen manchmal im Weg, weil man da natürlich seine beste Leistung bringt, wenn man so wenig wie möglich nachdenkt. Im Schreiben hingegen hilft mir das. Dennoch brauche ich weiterhin auch zur Abwechslung den Sport.
SWR Sport: Wenn man auf die Weltrangliste schaut, kann man im Damen-Tennis seit einigen Jahren sagen, dass die Spielerinnen aus den Ost-Block-Ländern den Europäerinnen den Rang abgelaufen haben?
Da gibt es durchaus ein Argument für. Es gibt noch die US-Amerikanerinnen, die vorne mitspielen, was durchaus mit dem Stellenwert zusammenhängt, den der Profisport in den USA, anders als in Deutschland, hat.
Für Deutschland spricht, dass es sehr viele Möglichkeiten gibt, ein gutes Leben zu führen. Das ist in einigen östlichen Ländern oftmals anders. Meine Eltern stammen ja selbst aus dem ehemaligen Jugoslawien. Deshalb kenne ich einige dieser Länder ganz gut.
Dort gibt es oftmals für junge Frauen nur diesen einen Weg, entweder Model oder Top-Sportlerin zu werden. Da ist die Motivation dann natürlich eine andere, weil man sich selbst und der Generation nach einem ein schönes Leben ermöglichen kann.
SWR Sport: Die deutschen Topspielerinnen um Angelique Kerber, Laura Siegemund und Tatjana Maria sind alle schon etwas älter und werden auf absehbare Zeit von der Tennisbühne verschwinden. Sie sind im DTB engagiert und haben einen guten Einblick. Kommen da Spielerinnen nach?
Wir haben sehr gute Spielerinnen und eine hohe Qualität in den jungen Jahrgängen. Das Problem ist: Wir haben nicht mehr so viele. Als unsere Generation um Angelique Keber, Tatjana Maria, aber auch eine Sabine Lisicki oder Julia Görges damals hochkam, gab es zehn bis 15 solcher Spielerinnen, von denen wir uns dann durchgesetzt haben. Die anderen sind dann aus unterschiedlichsten Gründen weggefallen.
Wir haben aktuell drei bis vier solcher Spielerinnen. Wenn allen vier etwas passiert, haben wir plötzlich keine mehr. Es ist unglaublich schwierig, wenn man alleine da steht. Die Qualität haben wir, aber es fehlt die Tiefe.
SWR Sport: Haben Sie Angst um das deutsche Tennis?
Ich bin absolute Optimistin. Ich habe nie Angst vor irgendetwas und glaube, dass die drei jungen Mädels Nastasja Schunk, Ella Seidel und Noma Noha Akugue, die ich gerade im Kopf habe, sich durchsetzen werden. Vielleicht wird es eine Weile dauern, aber alle haben etwas sehr Besonderes an sich. Daher habe ich keine Angst ums deutsche Tennis.