Was für ein Drama im Olympiastadion von Rom. Mikaelle Assani katapultiert sich mit 6,91 Metern auf Platz drei nach dem dritten Durchgang - Bestleistung eingestellt. Die Karlsruherin war drauf und dran, ihre erste Medaille bei einem Top-Event zu holen. Aber auch das ist der Sport: Im letzten Versuch sprang die Italienerin Larissa Iapichino drei Zentimeter weiter und platzierte sich hinter Malaika Mihambo auf Rang zwei. Die weitengleiche Agate de Sousa aus Portugal wurde, weil sie den besseren zweiten Versuch hatte, mit Bronze beglückt. Mikaelle Assani blieb dieser undankbare vierte Platz: "Im ersten Moment war es schwierig, sich dafür zu freuen, auf dem vierten Platz zu sein. Aber jetzt sehe ich einfach die Perspektive, dass ich einfach in Topform bin, besonders für die Olympischen Spiele."
Paris kann kommen
Rom ist abgehakt, jetzt wartet Paris. Die Sanduhr läuft. Nicht mehr lange, dann erfüllt sich für Mikaelle Assani (SCL Heel Baden-Baden) ein Kindheitstraum: Sie wird am Dienstag ab 11:15 Uhr im Stade de France bei den Olympischen Spielen gegen die besten Weitspringerinnen der Welt antreten. Und die müssen sich in Acht nehmen: Denn mit ihrer Bestleistung von 6,91 Metern kratzt das Nachwuchstalent bereits an der Sieben-Meter-Marke, die in diesem Jahr nur wenige Athletinnen in der Welt überboten haben.
Mit Lockerheit und Leidenschaft zum Erfolg
Die Sandgrube gehört dabei genauso zu Mikaelle Assani wie ihre gute Laune. Trotz ehrgeiziger Ziele und hartem Training genießt sie das Leben als Leistungssportlerin. Die Freude und der Spaß sind ihr im Training, bei Sponsorenterminen oder Wettkämpfen deutlich anzusehen. Die größte Freiheit erlebt sie, wenn beim Weitsprung alles zusammenläuft und sie nach dem Absprung abhebt.
Zusammen mit ihrem Trainer Udo Metzler hat sie an ihrer Geschwindigkeit, der Technik und vor allem dem Absprung gearbeitet. Zu ihm hat Mikaelle Assani über die Jahre ein intensives und vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut. Und der Coach traut ihr in Zukunft noch einiges zu: "Ihr großes Talent ist ihre unheimliche Anlaufgeschwindigkeit. Das große Ziel ist es, sieben Meter zu springen", sagt Metzler. In Rom war sie einmal mehr knapp dran. Daran will sie am Dienstag in Paris anknüpfen, um ins Finale am Donnerstag, (ab 20 Uhr) einzuziehen.
Weitsprung-Laufsteg oder Catwalk
Das Modeln ist Assanis zweite große Leidenschaft. Sie hat bereits mit 14 angefangen, vor der Kamera zu stehen. Mittlerweile posierte sie bereits für mehrere Magazine und Sponsoren. Wenn sie sich zwischen dem Modeln und dem Weitsprung entscheiden müsste, macht es sich die Frohnatur nicht besonders schwer: "Ich würde beides nehmen. Da kann ich mich nicht entscheiden."
Praktisch, dass Mutter Georgette im südpfälzischen Kuhardt einen Friseursalon besitzt. So hat sich seit vielen Jahren eine Tradition entwickelt: Vor jedem Wettkampf tüfteln Mutter und Tochter an einer neuen Frisur. Man weiß also nie, wie Mikaelle beim nächsten Mal den Weitsprung-Laufsteg betreten wird.
Olympiasiegerin Malaika Mihambo: Vorbild, Freundin und Konkurrentin
Wer über den Weitsprung bei den Frauen spricht, kommt an Olympiasiegerin Malaika Mihambo nicht vorbei. Assanis größte Konkurrentin auf nationaler und internationaler Ebene wohnt fast um die Ecke. Bei den Heim-Europameisterschaften 2022 in München hatte Assani ihren ersten Auftritt in der Nationalmannschaft bei den Erwachsenen. Und hat dort zum ersten Mal ihr großes Vorbild Malaika Mihambo kennengelernt.
Die Zeiten haben sich geändert. Mittlerweile ist Malaika Mihambo nicht mehr nur Vorbild, sondern Freundin und Konkurrentin zugleich. Bei den Deutschen-Hallenmeisterschaften Anfang des Jahres kam Assani bis auf einen Zentimeter an Mihambo ran. Fast hätte sie der mehrfachen Deutschen Meisterin den Titel streitig gemacht. Die arrivierte Olympiasiegerin muss sich also in Acht nehmen. Mit ihrer persönlichen Bestweite von 7,30 Metern hat sie zwar noch ein bisschen Vorsprung auf Assanis Hausrekord von 6,91 Metern. Doch der Abstand wurde in den vergangenen zwei Jahren immer kleiner. In Rom setzte Mihambo nun jedoch ein Ausrufezeichen und sicherte sich mit 7,22 Metern klar den EM-Titel.
Studium und Lebensmittelpunkt in Karlsruhe
Mikaelle Assani ist in Karlsruhe aufgewachsen, studiert Bioingenieurwesen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und hat dort auch ihre sportliche Heimat gefunden. Obwohl sie für den SCL Heel Baden-Baden startet, findet der Großteil ihres Trainings in Karlsruhe statt. In der Fächerstadt fühlt sich Assani wohl: "Karlsruhe ist meine Heimat. Das ist zwar eine große Stadt, aber man hat so ein Kleinstadt-Feeling mit viel Natur. Man kann gut Ruhe finden und auch die Leute sind sehr freundlich."
Familie Assani als Kraftquelle
Der Leistungssport und das Studium verlangen der Karlsruherin viel ab. Jeder Tag ist durchgetaktet: Training, Wettkämpfe, Studium und Physiotherapie. Manchmal fühlt es sich für sie an wie Jonglieren. Ruhe und Abstand zum hektischen Alltag findet Assani bei ihrer Familie im südpfälzischen Kuhardt.
Sie hat ein inniges und freundschaftliches Verhältnis zu ihrer Mutter Georgette, ihrer Schwester Joy und ihrem Vater, der momentan in Nigeria arbeitet. Zuhause kann sie auftanken, abschalten und ganz sie selbst sein. Die 21-jährige bewundert ihre Eltern: "Wie mein Vater von Nigeria und meine Mutter von Kamerun nach Deutschland gekommen sind und sich hier ein neues Leben aufgebaut haben, das ist eine große Inspiration für mich."
Sieben Meter und bunte Nägel für den Coach
Die Entwicklung von Mikaelle Assani in den vergangenen Jahren war rasant. Die Normen für die Europameisterschaft in Rom und die Olympischen Spiele hatte sie schon früh abgehakt. Sollte Assani die international renommierte Sieben-Meter-Marke knacken, hätte sie sich nicht nur einen Traum erfüllt, sondern auch die Wette gegen ihren Trainer Udo Metzler gewonnen. Der müsste sich dann die Nägel lackieren lassen.
Wie das aussehen könnte, davon hat das Weitsprung-Model bereits klare Vorstellungen: "Wir werden ins Nagelstudio gehen und es wird auf jeden Fall bunt. Vielleicht Flammen, Herzchen und Pünktchen. Ich werde mich auf jeden Fall austoben."
Auf dem Weitsprung-Laufsteg hat sich Mikaelle schon längst einen Namen gemacht. Bei der Hallen-WM Anfang des Jahres und gerade bei der EM verpasste sie die Medaillen nur hauchzart. Mit Edelmetall bei den Olympischen Spielen in Paris könnte sie dafür sorgen, dass keiner mehr ihren Namen vergisst.