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Eishockeystar Moritz Seider - zwischen Detroit und Angelbachtal

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Autor/in
Martin Bromber

Vor wenigen Wochen wurde Moritz Seider zum besten Nachwuchsspieler der NHL gewählt. In der Sommerpause kehrt der 21-Jährige nach Mannheim zurück und hält sich dort in Form.

Ein Geschäftsgebäude in Angelbachtal, eine kleine Gemeinde, gut 40 Kilometer von Mannheim entfernt. Von außen ist nur die Filiale der örtlichen Bank zu erkennen. Nichts deutet darauf hin, dass ein Stockwerk darüber gerade einer der bekanntesten und zur Zeit besten deutschen Eishockeyspieler trainiert: Moritz Seider. Erst vor wenigen Wochen wurde er in der härtesten Eishockeyliga der Welt, der NHL, mit der Calder Trophy ausgezeichnet. Sie wird jährlich an den besten Nachwuchsspieler der Saison verliehen. Diese Ehre wurde vor Seider noch keinem anderen deutschen Eishockeyspieler zuteil.

Sommertraining in der Heimat

Mit seinem langjährigen Trainer Adrian König arbeitet Seider in der Sommerpause an Körper, Geist und Ernährung. Die beiden kennen sich schon einige Jahre. Damals war Seider aufgrund einer Verletzung in Hoffenheim in Behandlung. König war Physiotherapeut bei der TSG, bevor er sich selbstständig machte. In der zwei- bis dreimonatigen spielfreien Zeit arbeiten beide intensiv zusammen. "Da wird ordentlich rangeklotzt und geschwitzt, aber das macht man gerne, weil man weiß, man belohnt sich selber dafür auf dem Eis", beschreibt Seider das intensive Training.

Alle 82 Saisonspiele hat er in der vergangenen Saison für die Detroit Red Wings absolviert. Trainer König findet lobende Worte für seinen Schützling: "Er ist als Mensch und auch als Athlet ein Ausnahmekönner. Und definitiv ist es jemand, der sehr akribisch arbeitet. Ich fordere viel von ihm ein, aber er ist auch jemand, der viel zurückgibt".

In den Sommermonaten bekommt Seider von den Red Wings relativ viele Freiheiten, was Training und Ernährung angeht. Umso wichtiger ist es, "dem Spieler eine Handlungskompetenz mit auf den Weg zu geben, so dass er auch in der Lage ist, eine hohe Verfügbarkeit an den Tag zu legen", so König. Bei aller Disziplin fällt es Seider während der Saison trotzdem schwer, auf Nachspeisen zu verzichten. Also gönnt er sich auch ab und zu einen warmen Schokokuchen oder ein Tiramisu, und das ist auch für seinen Trainer völlig in Ordnung.

In jungen Jahren der Wechsel von Erfurt nach Mannheim

Weiter geht es Richtung SAP-Arena. Wie selbstverständlich klingelt Seider am Spielereingang, öffnet Türen, begrüßt ehemalige Betreuer und findet zielstrebig den Weg in die Kabine der Jungadler. Ein besonderer Ort für Seider, denn hier nahm seine Eishockeykarriere so richtig Fahrt auf. "Natürlich viele tolle Momente, die man hier erleben durfte: Die erste Meisterschaft zum Beispiel, die damals gefeiert wurde", schwelgt Seider in Erinnerungen.

Doch das erste Mal stand der Verteidiger bereits mit fünf Jahren in Erfurt auf dem Eis. Nach dem Schnuppertraining beim örtlichen Eishockeyverein lässt ihn der Sport nicht mehr los. Seider macht schnell Fortschritte und darf immer öfter als Gastspieler bei den Jungadlern aushelfen, die bereits früh ein Auge auf das Ausnahmetalent werfen. Als Moritz 14 Jahre alt ist, entscheidet sich die Familie Seider gemeinschaftlich für den Umzug nach Mannheim, obwohl damals noch gar nicht klar ist, wie sich die Karriere von Moritz entwickeln wird.

Erfolgreiche Jahre als Adler

Für Moritz eröffnet sich eine ganz neue Welt: Shuttleservice von der Eishalle zur Schule, ein großer Trainer- und Betreuerstab - vom professionellen Umfeld der Jungadler ist er beeindruckt. Und die sportlichen Leistungen stimmen auch. 2017 und 2018 gewinnen die Jungadler die Deutsche Meisterschaft. Seider debütiert in der Nationalmannschaft und wird bei der U18- und U20-WM jeweils zum besten Verteidiger des Turniers gewählt. Der ursprüngliche Plan, mit dem Abschluss bei den Jungadlern auch das Abitur in der Tasche zu haben, scheitert.

Profi - Ja! Abi - Nein.

Seider wurde frühzeitig zu den "richtigen" Adlern in die Deutsche Eishockey Liga befördert. Die Schule rückt in den Hintergrund. Der Newcomer kann auch bei den Profis beeindrucken. 2019 feiert er erneut eine Deutsche Meisterschaft und wird als wertvollster Nachwuchsspieler der DEL ausgezeichnet. Die Aufmerksamkeit steigt und auch einige NHL-Vereine haben ein Auge auf das deutsche Ausnahmetalent geworfen. "Am Anfang war der Trubel gar nicht so groß", beschreibt Seider die Zeit während der Saison. Erst kurz vor knapp sei alles "extrem explodiert".

Der Tag, der alles verändert

Die Explosion bezieht sich auf den NHL-Draft 2019. Bereits an sechster Stelle wird Seider von den Detroit Red Wings, zur Überraschung aller, gepickt. Sein erstauntes Gesicht ist bis heute unvergessen. "Man sitzt da und genießt eigentlich nur, weil man zu dem Zeitpunkt gar nicht erwartet hat, dass es schon soweit sein könnte. Deswegen war natürlich die Überraschung um so größer", so Seider rückblickend. Viele Fans und Experten bezeichnen die Wahl von Seider zu diesem Zeitpunkt noch als großen Fehler.

Umwege über kleinere AHL und Schweden

Der direkten Sprung in den Mannschaftskader von Detroit gelingt Seider im ersten Versuch nicht. Er schließt sich daraufhin dem Ausbildungsteam der Red Wings an und läuft ein Jahr lang für die Grand Rapids Griffins auf. Seider absolviert eine gute Saison mit - im Vergleich zu den Jahren davor - vielen Spielen hintereinander und weniger Trainingseinheiten. Als der Corona-Virus die Welt im Griff hat, verzögert sich auch der Start der NHL. Seider soll nach Mannheim ausgeliehen werden um dort weiter Spielpraxis zu sammeln. Doch auch die DEL setzt ihren Spielbetrieb aufgrund der Pandemie zunächst aus. Die spontane Idee: Ein Wechsel nach Schweden. Nur wenige Tage später ist Seider im Team von Rögle BK und führt den Klub nach der erfolgreichsten Saison der Vereinsgeschichte zur Vizemeisterschaft.

Das erste NHL-Jahr und der größte Erfolg

In der Saison 2021/2022 ist es dann endlich soweit. Seider betritt zum ersten Mal NHL-Eis. Er gilt als einer der am besten vorbereiteten Nachwuchsspieler der Liga und zeigt sein Können vom ersten Spiel an. Alle 82 Saisonspiele absolviert Seider für die Red Wings. 7 Tore und 43 Vorlagen stehen am Ende zu Buche. Absolute Spitzenwerte, mit denen er sich nach Abschluss der Spielrunde die "Calder Trophy", als "Rookie of the year" verdient. "Es ist eine unheimlich tolle Ehrung, von Außenstehenden so beurteilt zu werden", freut sich Seider bis heute, "es ist einfach ein schönes Zeichen, wenn du siehst, dass deine harte Arbeit belohnt werden kann".

Soziale Verantwortung und öffentliche Wahrnehmung

Was den Wenigsten aufgefallen ist: Bevor Seider mit seiner Rede beginnt, hilft er zunächst dem im Rollstuhl sitzenden, ehemaligen Eishockeyspieler Jake Thibeault. Dieser hatte sich bei bei einem Spiel eine Rückenmarksverletzung zugezogen. Seider reichte ihm zunächst die heruntergefallene Moderationskarte, wartet einen Moment und ging dann ans Mikro. Für Seider eine Selbstverständlichkeit: "Ich denke schon, dass wir in gewisser Weise auch Vorbilder sein können. Das sollte auch immer in unserem Hinterkopf bleiben", analysiert Seider. "Vor allen Dingen in der Sportlerwelt ist das für uns selbstverständlich, weil solche Ereignisse immer wieder vorkommen können und man sich auch damit beschäftigen muss, was vielleicht auch passieren kann."

Große Heimatverbundenheit

Beim abschließenden Spaziergang um den Mannheimer Wasserturm zeigt sich, was Seider neben seiner Bodenständigkeit auch nach all den Jahren im Ausland nicht verloren hat: seine Heimatverbundenheit. Familie, Freunde, ehemalige Teamkollegen ziehen den Star immer wieder nach Mannheim zurück. Hier holt er sich Kraft und arbeitet weiter an seiner eindrucksvollen Karriere: "Mannheim ist und wird auch immer ein Stück Heimat bleiben. Und da bin ich auch sehr froh drüber."

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Martin Bromber