SWR Sport: Herr Professor Scheuch, Christian Riethmüller ist beim VfB Stuttgart zurückgetreten. Was heißt das für den Einfluss von Präsident Claus Vogt - kann er jetzt durchregieren?
Prof. Alexander Scheuch: "Da muss man unterscheiden. Innerhalb des Präsidiums kann sich Claus Vogt nun tatsächlich immer durchsetzen. Das liegt an Paragraph 16 Absatz 5 der VfB-Satzung: Gibt es bei einem Beschluss des Präsidiums ein Patt, hat der Präsident das Recht zum Stichentscheid. Bei Uneinigkeit mit Adrion kann also am Ende immer Vogt bestimmen, welchen Beschluss das Präsidium fasst."
Und wie ist die Situation, wenn für den Verein nach außen gehandelt wird, also wenn zum Beispiel ein Vertrag im Namen des e.V. abgeschlossen werden soll oder der e.V. in der Hauptversammlung der AG abstimmt?
"Dann ist Paragraph 16 Absatz 2 der e.V.-Satzung zu beachten. Diese Vorschrift verlangt für eine wirksame Vertretung des Vereins ein gemeinschaftliches Handeln von zwei Präsidiumsmitgliedern. In diesem Bereich ist Vogt also stets auf Adrions Mitwirkung angewiesen. Adrion ist dazu zwar verpflichtet, wenn es einen wirksamen Vorstandsbeschluss gibt - auch dann, wenn er selbst intern dagegen gestimmt hat. Aber es wäre natürlich denkbar, dass Adrion dieser Pflicht einfach nicht nachkommt. Dann müsste Adrions Mitwirkung erst einmal mühsam vor Gericht eingeklagt werden."
Rainer Adrion könnte Vogt also blockieren. Wie genau würde das aussehen?
"Wenn Vogt mit seinem Recht zum Stichentscheid Präsidiumsbeschlüsse fasst, mit denen Adrion nicht einverstanden ist, kann Adrion überprüfen lassen, ob der jeweilige Beschluss wirksam zustande gekommen ist. Zum Beispiel könnte man im Einzelfall prüfen lassen, ob eine Entscheidung Vogts möglicherweise gegen die Treuepflichten (Verpflichtung, seine Arbeit so auszuführen, dass die Interessen des VfB immer gewahrt sind, Anm. d. Red.) verstößt, die ihn als Präsidiumsmitglied treffen. Und wenn der AG-Vorstand abberufen würde, könnte er gegen diese Abberufung klagen, um nachprüfen zu lassen, ob es wirklich einen wichtigen Grund für die Abberufung gab."
Was würde passieren, wenn Rainer Adrion keine der Entscheidungen von Vogt mitträgt, also beispielsweise Verträge nicht unterschreibt, sich öffentlich gegen Vogt ausspricht, auf der Hauptversammlung die Meinungsverschiedenheiten deutlich macht?
"Dass bestehende Meinungsverschiedenheiten deutlich gemacht werden, ist in gewissem Umfang sicherlich legitim. Problematischer wäre es, wenn Adrion sich weigerte, wirksame Präsidiumsbeschlüsse nach außen umzusetzen. Das ist zum Beispiel der von Ihnen genannte Fall, dass er einen Vertrag nicht mitunterschreiben will. Vergleichbar wäre es, wenn Adrion bei der Stimmabgabe des e.V. in der AG-Hauptversammlung nicht mitwirken würde, obwohl es einen wirksamen Präsidiumsbeschluss dazu gibt, wie abgestimmt werden soll. Ein solches Blockadeverhalten Adrions wäre pflichtwidrig. Nur was wäre die Konsequenz? Wie vorhin schon gesagt, müsste die Mitwirkung Adrions notfalls gerichtlich eingeklagt werden. Ein solches Verfahren würde unter den geschilderten Umständen dann zugunsten Vogts ausgehen. Es würde aber zumindest zu zeitlichen Verzögerungen kommen."
Gehen wir mal ein paar Beispiele durch: Könnte Vogt mit seinem Machtzugewinn den AG-Vorstand, also Alexander Wehrle und Co., abberufen?
"So direkt geht das nicht. Für die Abberufung des AG-Vorstands ist der AG-Aufsichtsrat zuständig. Allerdings kann die AG-Hauptversammlung, in der ja der e.V. die Stimmenmehrheit hat, dem AG-Vorstand das Vertrauen entziehen. Wenn das passiert, kann der Aufsichtsrat den Vorstand grundsätzlich abberufen. Aber nochmal: Für die wirksame Stimmabgabe des Vereins in der AG-Hauptversammlung braucht es sowohl Vogt als auch Adrion."
Was ist mit den Aufsichtsräten, zumindest mit den sieben, die den e.V. vertreten - könnte Vogt sie abberufen und neu wählen?
"Das ist grundsätzlich denkbar. Hier geht es aber jeweils um das Handeln des Vereins nach außen. Vogt kann zwar intern alleine über diese Dinge entscheiden, braucht anschließend aber die Mitwirkung Adrions, um wirksame Erklärungen im Namen des Vereins abzugeben."
Könnte Vogt die Mitgliederversammlung, die für den 28. Juli geplant ist, verschieben?
"Wenn ich richtig informiert bin, ist bislang nur der Termin für die ordentliche Mitgliederversammlung 2024 festgelegt worden. Die eigentliche Einberufung folgt dann erst fünf Wochen vor dem Versammlungstermin. Die meisten Vereinsrechtler gehen davon aus, dass es für eine wirksame Einberufung die Unterschrift einer vertretungsberechtigten Anzahl an Präsidiumsmitgliedern braucht. Bedeutet beim VfB: Vogt und Adrion müssten beide gemeinsam einladen. Also hat praktisch jeder der beiden eine Art Blockadeposition. Die Einberufung zum festgelegten Termin einfach ohne triftigen Grund nicht durchzuführen, wäre aber eine erhebliche Pflichtverletzung. Da könnten dann nicht zuletzt Schadensersatzansprüche auf denjenigen zukommen, der sich weigert, die Einberufung zu unterschreiben."
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Die organisierte Fanszene fordert, dass nach Riethmüller auch Vogt und Adrion zurücktreten. Was würde passieren, wenn beispielsweise Adrion wie Riethmüller mit sofortiger Wirkung hinwerfen würde?
"Würde auch Adrion noch zurücktreten, wäre das Präsidium nicht mehr handlungsfähig. Deshalb sieht die Satzung für diesen Fall vor, dass der Vereinsbeirat zunächst interimsweise ein zweites Präsidiumsmitglied ernennen darf. Dann müsste umgehend eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen werden, um einen endgültigen Nachfolger wählen zu lassen. Die Einberufungsfrist für eine solche Versammlung beträgt laut VfB-Satzung drei Wochen. Damit diese außerordentliche Mitgliederversammlung zusätzlich über eine Abwahl beziehungsweise einen Austausch Vogts als Präsident entscheiden könnte, müsste dieser Punkt erst einmal auf die Tagesordnung kommen. Wenn das Präsidium nicht selbst dafür sorgt, können Vereinsmitglieder bis zwei Wochen vor der Versammlung einen Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung stellen. Kommt das Präsidium diesem Wunsch im Vorfeld der Versammlung nicht nach, kann die Mitgliederversammlung mit einfacher Mehrheit beschließen, diesen Tagesordnungspunkt trotzdem zu behandeln."