Der 10. November 2009 ist ein Tag, den Timo Baumgartl bis heute nicht vergessen hat. "Ich war 13", erinnert sich der Fußball-Profi, "und ich weiß noch, dass ich mit meinem Vater vom Training nach Hause gefahren bin, vom SSV Reutlingen damals noch, und dann kam die Meldung."
Die Meldung, dass sich Nationaltorhüter Robert Enke das Leben genommen hat. Für Baumgartl sei das nur "schwer zu begreifen" gewesen, "aber natürlich hat es mich damals auch kurzzeitig erschüttert". Denn dass Enke an schweren Depressionen litt, war zuvor nicht bekannt. Mentale Probleme - ein Tabuthema.
15 Jahre nach Tod von Robert Enke Enke-Mitspieler Mario Eggimann: "Die Sensibilität ist gestiegen"
Am 10. November 2009 nahm sich Fußball-Nationaltorwart Robert Enke das Leben. Er litt an schweren Depressionen. Mario Eggimann, heute KSC-Vizepräsident, war damals Enkes Teamkollege. Die Erkrankung und der Tod seines Mitspielers veränderten seinen Blick auf den Profifußball.
Timo Baumgartl: "Immer noch ein Tabuthema"
Jetzt, 15 Jahre später, sei das Thema zwar sehr viel präsenter, aber "es ist einfach immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft", sagt Baumgartl im Interview mit SWR Sport, denn "im Sport geht es darum, möglichst stark zu sein und möglichst gut zu performen und Schwäche wird heutzutage immer noch nicht gerne gesehen."
Dass Sportler wie Turnstar Simone Biles öffentlich über mentale Probleme sprechen, könne laut Baumgartl helfen, das Thema weiter in die Gesellschaft zu tragen. Deshalb will auch er als "Vorbild" vorangehen und das Thema weiter enttabuisieren.
Baumgartl über eigene Erfahrungen mit mentalen Problemen
Denn Baumgartl selbst hat in seiner Karriere neben vielen Höhen auch schon einige Tiefen durchlebt. Als er mit 18 Jahren seinen ersten Lizenzspielervertrag beim VfB Stuttgart unterschrieb, sei er "unbekümmert" gewesen. "Aber dann, wenn man den ersten Fehler macht, dann prasselt da was ganz anderes auf einen ein", erzählt der Böblinger. "Auf einmal wird über einen geschrieben, und es wird dann häufig negativ über einen berichtet", sagt der 28-Jährige. Als junger Spieler versuche man irgendwie damit umzugehen, "aber einem wird da nicht wirklich geholfen".
Mentale Gesundheit im Profisport Peter Zeidler: "Die Frage 'Wie geht es dir?' ist ganz wichtig und sollte man als Trainer kennen"
Im Profisport war das Thema mentale Gesundheit jahrelang ein Tabu. Wie sieht es heute aus? Peter Zeidler und Martin Strobel haben mit SWR Sport über ihre Erfahrungen gesprochen.
In Baumgartls Fall waren Schlafstörungen und Versagensängste die Folge. Viele seiner Mitspieler hätten sich vor dem Spiel übergeben oder mit Durchfall zu kämpfen gehabt. "Es sind viele Spieler, die das haben", berichtet Baumgartl, aber "solche Sachen" bespreche man mit seinen Mannschaftskollegen nicht.
Baumgartl übersteht Krebserkrankung
Anders sei das bei Baumgartls Krebserkrankung gewesen. Als bei ihm im Frühjahr 2022 Hodenkrebs festgestellt wurde, habe er mit seinen Mitspielern darüber gesprochen, wie man mit ihm umgehen solle und wie er sich mental fühle.
Im September 2022 feierte Baumgartl nach überstandener Operation und Chemotherapie sein Startelf-Comeback bei Union Berlin. Im Juli 2023 wechselte der Schwabe dann zu Schalke 04. Es folgte der nächste Rückschlag: In der Vorbereitung auf die aktuelle Saison wurde er vom damaligen Trainer Karel Geraerts aussortiert und trainierte individuell auf einem Nebenplatz. Nun haben sich der Verein und Baumgartl auf eine Vertragsauflösung geeinigt.
Wie es sportlich für Baumgartl weitergeht, wollte er noch nicht öffentlich machen. Darüber, dass es "keine Schwäche, sondern eher eine Stärke ist", zu sagen: "Ich brauche professionelle Hilfe", will der 28-Jährige aber weiter sprechen. Denn wenn man es schaffe, "als Person des öffentlichen Lebens" andere Menschen zu diesem Schritt zu bewegen, "dann hab ich das Gefühl, dass wir das machen sollten". Auch in Erinnerung an Robert Enke.