Baumgartl beim Spiel Schalke gegen Kiel im August 2023

Fußball | Bundesliga

Ex-VfB-Profi Timo Baumgartl: "Ich hatte Angst zu versagen"

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Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist

Timo Baumgartl, Ex-Bundesligaspieler des VfB Stuttgart, ist ein reflektierter Fußballprofi. Im SWR-Interview spricht er über Schlafstörungen, Versagensängste und seine Persönlichkeitsentwicklung.

Timo Baumgartl hat schon viele Höhen und Tiefen durchlebt. Sportlich war der Profi, der als 18-Jähriger sein Bundesliga-Debüt beim VfB Stuttgart feierte, früh auf der Erfolgsspur. Doch immer wieder musste der Defensivspieler auch mit Rückschlägen umgehen. Mit den Schwaben stieg er zwei Mal aus dem Fußball-Oberhaus ab, privat musste er sich mit einer Hodenkrebserkrankung auseinandersetzen.

Auch aktuell, als Profi beim Zweitligisten FC Schalke 04, befindet er sich in einer schwierigen Situation. Gemeinsam mit seinem Teamkollegen Dominick Drexler wurde er von Trainer Karel Geraerts aus der Profimannschaft aussortiert. Seit dem Trainingsauftakt in der vergangenen Woche muss Baumgartl auf einem Nebenplatz trainieren, darf die Mannschaftskabine nicht mehr betreten und muss sich in einem Container umziehen. Das Tischtuch zwischen Verein und Spieler (Baumgartl hat noch einen Vertrag bis 2025) scheint zerschnitten, die Zeichen stehen auf Trennung.

Baumgartl und Drexler als "Trainingsgruppe 2"
Timo Baumgartl (l.) und Dominick Drexler müssen bei Schalke allein trainieren.

SWR Sport: Timo Baumgartl, wie geht es Ihnen in der aktuellen Situation?

Baumgartl: Es ist nicht ganz einfach. Aber dies ist jetzt meine 11. Saison im Profifußball. Ich habe schon einige Höhen und Tiefen erlebt. Ich könnte mich in die Opferrolle begeben und sagen: Alles ist schlecht, alle sind gegen mich. Aber ich sage mir: So ist die Situation. Sie ist nicht schön, aber ich habe in den vergangenen Jahren schon schlimmere Situationen erlebt. Schlaflose Nächte bekomme ich deswegen aber auf keinen Fall.

Manche stellen Sie als Querkopf oder als Problemprofi dar. Wie sehen Sie sich selbst?

Wenn ich als Problemprofi bezeichnet werde, tut man mir Unrecht. Diejenigen, die mich kennen, werden sagen: Das ist ein guter Junge mit dem Herz am rechten Fleck. Der hat auch eine eigene Meinung. Ich bin vielleicht nicht immer bequem, aber immer ehrlich. Und wer ehrlich ist und Klartext spricht, bekommt auch mal Probleme.

Sie sprechen auch ehrlich über Druck und Versagensängste während Ihrer Profikarriere. Sie machten mit 18 Ihr erstes Bundesliga-Spiel für den VfB Stuttgart. Sie bekamen einen Profivertrag und wurden Stammspieler. Eigentlich ein Bilderbuch-Karrierestart. Aber Lust und Leidenschaft wurden überschattet von Druck und Ängsten. Wann begann das?

Das ging relativ früh los. Ich kam als junger Spieler unbekümmert in den Bundesliga-Kader des VfB Stuttgart, aber wir spielten gegen den Abstieg. Der Druck war groß, und ich nahm das als 18-Jähriger mit nach Hause. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Nach Fehlern oder nach einem schlechten Spiel war ich vor dem nächsten Einsatz nervös und schlief schlecht. Das begleitete mich dann immer wieder in den kommenden Jahren. Vor Spielen lag ich nachts wach, wälzte mich im Bett und grübelte. Das Gedankenkarussell drehte sich. Ich hatte Angst, am nächsten Tag zu versagen. Was ist, wenn mir ein Fehler passiert? Was muss ich dann im Internet lesen? Bin ich überhaupt gut genug? Solche Nächte gehörten für mich zum Alltag eines Profisportlers. Ich dachte, das sei normal.

Mit wem haben Sie über diese Zustände gesprochen?

Viele Jahre habe ich das mit mir selbst ausgemacht. Aber während meiner Zeit bei Union Berlin (2021 – 2023) habe ich mich entschieden, mir Hilfe bei einer Psychologin zu suchen. Ich war nie der Typ, der groß über seine Emotionen redet. Aber durch die Zusammenarbeit mit der Psychologin lernte ich das. Es hat mir unfassbar gutgetan. Bis dahin dachte ich immer: Ich bin Leistungssportler, ich muss meine Sorgen oder Ängste mit niemandem teilen. Zum ersten Mal konnte ich über meine Ängste sprechen, und jemand verstand mich. Jemand hörte mir zu und gab mir Ratschläge. Ich fühlte mich nicht mehr allein. Ich vertraute mich auch endlich meiner Freundin an. Sich vor anderen Menschen, selbst vor der Freundin oder vor Freunden, schwach zu zeigen, ist nicht einfach. Aber ich lernte, dass an dem Satz "Geteiltes Leid ist halbes Leid" tatsächlich was dran ist.

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Wie reagierte Ihr Umfeld?

Meine Freundin und meine Freunde, die ich schon viele Jahre kenne, zeigten volles Verständnis. Sie sagten: Ich könnte auch nicht schlafen, wenn ich vor 70.000 Zuschauern spielen müsste. Sie seien schon nervös, wenn sie einen Vortrag auf der Arbeit halten müssten. Ich lernte, dass jede und jeder sein Päckchen zu tragen hat. Ich bin nicht der Einzige, der nicht schlafen kann. Jeder hat Angst vor bestimmten Situationen oder Furcht zu versagen. Das Spannende war, dass sich durch meine Offenheit auch meine Freunde plötzlich öffneten und von ihren Ängsten erzählten. Dieser Schritt war schwer für mich, aber er tat unglaublich gut.

Baumgartl und Freundin Julia auf der Tribüne bei Union Berlin (2022)
Seit vielen Jahren gemeinsam durch dick und dünn: Baumgartl und Freundin Julia

Was half Ihnen noch?

Am Anfang hatte ich für den "Notfall" pflanzliche Schlafmittel, damit ich innerlich etwas runterfahren konnte. Ich habe sie aber fast nie gebraucht. Es war für den Kopf aber ganz gut, diese Hilfsmittel als Backup zur Verfügung zu haben. Außerdem wurde mir klar: Ängste und Gedanken können auftreten, aber ich weiß, es sind nur Gedanken und keine Realität. Außerdem lernte ich, gedanklich gegenzusteuern und mir positive Emotionen vorzustellen. Mit meiner Freundin habe ich zudem Rituale erarbeitet. Ich meditiere abends oder mache eine Tiefenentspannung. Meine Schlafqualität hat sich dadurch signifikant verbessert.

Haben Sie auch bei Mannschaftskollegen bemerkt, dass diese mit Druck zu kämpfen haben?

Auf jeden Fall. Das äußert sich bei jedem anders. Der eine steckt sich den Finger in den Hals, weil er nichts essen kann oder ihm schlecht wird. Der andere hat Durchfall und rennt dauernd auf die Toilette. Der Dritte hat Kopfschmerzen oder Migräne. Ich sah, dass ich nicht der Einzige bin, der kämpfte. Jeder muss seinen Weg finden, um damit klarzukommen. Zu wissen, dass es professionelle Hilfe durch Psychologen gibt, ist wichtig. Meine Botschaft lautet: Lass dir helfen und mach es nicht mit dir allein aus. Es ist eine große Stärke, sich einzugestehen, dass man Unterstützung braucht.

Wir sind meist stark genug und schaffen die Dinge allein. Aber manchmal brauchen wir Hilfe.

Hat auch Ihre Hodenkrebserkrankung Ihren Blick auf manche Dinge verändert?

Unbedingt. Durch meine Krankheit habe ich gelernt, dass Fußball nicht das Wichtigste im Leben ist. Ich habe mich mit meiner Sterblichkeit und dem Tod auseinandergesetzt, da relativiert sich so manches. Wenn in manchen Nächten diese Ängste wieder auftauchen, sage ich mir: Ja, aber was ich während meiner Krankheit erlebt habe, das hat eine ganz andere Dimension. Ich kann den Fußball jetzt richtig einordnen, ohne dabei meinen Ehrgeiz verloren zu haben.

Sie haben öffentlich über Ihre Krebserkrankung gesprochen; jetzt sprechen Sie offen über Ihre Ängste. Warum tun Sie das?

Ich finde, dass wir Fußballprofis eine Vorbildfunktion haben. Viele schauen auf uns. Die Menschen sollen merken, dass diejenigen, die anscheinend unverwundbar und maximal austrainiert sind, mental Probleme bekommen können. In unserer Fußballbranche möchten das die Wenigsten zugeben, weil sie befürchten, dass ein Verein sie nicht nimmt, wenn sie über das Thema gesprochen haben. Ich persönlich sehe es allerdings als Stärke, wenn Menschen sich mit ihrer mentalen Gesundheit beschäftigen.

Haben Sie in schlechten Phasen daran gedacht, mit dem Profifußball aufzuhören?

Nein, mir macht Fußball noch zu viel Spaß. Aufhören war nie eine Option. Klar, es gibt immer wieder Momente, in denen ich mit diesem System hadere und mit der Art, wie teilweise mit Menschen umgegangen wird. Wir sind Fußballprofis, aber auch Menschen. Wir sehnen uns nach Beziehung und Harmonie. Es kann doch keiner funktionieren, wenn es immer nur Stress gibt. Ich werde meine Karriere beenden, wenn es mir keinen Spaß mehr macht.

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Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist