Nach Klopps Rücktrittsankündigung

Sportpsychologe Mickler: "Ein Trainer muss lernen, auf sich selbst zu achten"

Stand
Autor/in
Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist

Liverpool-Coach Jürgen Klopp wird im Sommer eine Pause einlegen. Ihm gehe langsam die Energie aus. Wie aufreibend ist dieser Beruf? Sportpsychologe Werner Mickler über die Tücken des Trainerjobs.

SWR Sport: Herr Mickler, Jürgen Klopp sagte, ihm gehe langsam die Energie aus. Wie würden Sie diese Aussage interpretieren?

Werner Mickler: Ich glaube, dass er frühzeitig erkennt, dass er jetzt mal ruhiger treten sollte. Er ist schon sehr lange als Trainer tätig und hatte keine großen Pausen wie andere Trainer. Ich nenne da mal Guardiola, Rangnick oder Tuchel. Er hat auch nie ein Sabbatical gemacht. Ich finde es sehr wichtig, dass er auf seinen Körper und auf seinen Kopf hört. Je älter man wird, umso herausfordernder wird die Aufgabe.

SWR Sport: Sie sprechen das Alter an. Jürgen Klopp ist 56. Auch Freiburg-Trainer Christian Streich (58) sagte kürzlich: "Ich spüre, dass ich älter werde. Die Kraft schwindet, es ist nun mal absehbar." Heidenheim-Coach Frank Schmidt (50) meinte, dass er seinen Job nicht bis ins Rentenalter machen wolle. Ist 50+ ein Alter, in dem viele Trainer ins Grübeln kommen?

Mickler: Die Anforderungen an den Job sind gegenüber früher viel größer geworden. Nehmen wir das Beispiel Freiburg und Christian Streich. Früher hat der Sportclub nicht international gespielt, jetzt aber. Dadurch hat die Zahl der Reisen enorm zugenommen. Der Kader ist größer geworden, der Medienaufwand mit Pressekonferenzen, Interviews und Social Media ist extrem gestiegen. Dazu kommen Sponsorentermine, Einladungen usw. Die gesamte Aufgabenstruktur ist größer geworden. Das kostet alles zusätzliche Körner. Und das kann im Alter eine größere Rolle spielen.

Nennen Sie mir einen Beruf, wo Sie jeden Tag in der Zeitung stehen und wo Ihre Leistung einmal pro Woche daran gemessen wird, ob Ihre Mannschaft gewonnen oder verloren hat!?

SWR Sport: Aber die Cheftrainer haben heute doch einen viel größeren Trainerstab, der sie unterstützt.

Mickler: Das ist richtig. Aber wenn sie einen größeren Trainerstab haben, müssen sie mit diesen Menschen kommunizieren und die Aufgaben delegieren. Sie müssen schauen, dass ihre Vorgaben umgesetzt werden. Sie haben noch mehr Aufgaben als vorher. Eigentlich muss ein Chefcoach heutzutage zwei Teams betreuen - die Fußballmannschaft und den Trainerstab.

Jürgen Klopp spricht über seinen Abschied aus Liverpool

SWR Sport: Trainer stehen nicht nur permanent in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Kritik. Bayern-Coach Thomas Tuchel (50) sagte kürzlich, übermäßige Kritik beeinträchtige sein psychisches Wohl: "Es gibt ein Level, wo es nicht mehr gesund ist und meine mentale Gesundheit beeinflusst, und das will ich nicht." Gibt es einen Trend, dass Trainer nicht mehr bis zur Rente oder bis zum Umfallen arbeiten können oder wollen?

Mickler: Wollen würde ich nicht unterschreiben. Ich glaube, dass Jürgen Klopp jetzt vielleicht ein oder zwei Jahre Abstand gewinnen will. Dann könnte die eine oder andere Aufgaben für ihn wieder interessant werden. Wir haben es bei Bundestrainer Jogi Löw gesehen. Er brauchte auch eine gewisse Zeit, um Abstand zu gewinnen. Jetzt wäre er wieder bereit, bestimmte Aufgaben zu übernehmen.

Pausen sind notwendig, um den Akku wieder aufzuladen. Wir haben mit Ralf Rangnick oder Sportdirektor Max Eberl Beispiele, wo das gut geklappt hat.

SWR Sport: Was benötigt ein Trainer, um auch im Alter leistungsfähig zu sein?

Mickler: Ein Trainer muss lernen, für sich selbst zu sorgen. Das wird häufig unterschätzt. Für den Trainer sind die Mannschaft, der Verein und das Umfeld wichtig. Aber ein Coach muss lernen, auf sich selbst zu achten, damit er nicht total ausbrennt. Das Thema Selfcare wird auch in der Trainerausbildung vermittelt. Es geht vor allem darum, sich Zeiträume für sich selbst zu verschaffen.

Porträt Werner Mickler (2007)
Sportpsychologe Werner Mickler

SWR Sport: So wie Wolfsburgs Trainer Niko Kovac (52) im vergangenen Herbst eine Länderspielpause genutzt hat, um trotz Trainingseinheiten eine Erholungspause einzulegen?

Mickler: Ja, das fand ich vollkommen richtig von ihm. Wann hat denn ein Trainer die Gelegenheit, großartig durchzuschnaufen? Vielleicht mal in der Winter- oder in der Sommerpause. Aber selbst da werden zusätzliche Testspiele oder Trainingslager angesetzt. Eine längere Verschnaufpause gibt es gar nicht.

SWR Sport: Es wird auch im Profifußball zunehmend über mentale Gesundheit gesprochen. Spieler wie Robin Gosens oder Timo Baumgartl haben sich schon dazu geäußert. Wie steht es aber um die Psycho-Hygiene der Fußballtrainer?

Mickler: Die Trainer haben die Möglichkeit, sich psychologische Unterstützung zu holen, wenn sie das möchten. Der entscheidende Faktor aber ist, dass sie selbst wahrnehmen: Jetzt reicht es! Jetzt geht es nicht weiter! Das sollte nicht bis zum Ende ausgereizt werden, sondern es sollte frühzeitig bekannt gegeben werden. Deshalb finde ich das, was Jürgen Klopp gesagt hat, sehr gut. Er sagt: Diese Saison bringe ich noch gut zuende. Aber wenn ich mir vorstelle, den gleichen Aufwand für die nächste Saison zu betreiben, ist für mich eine Grenze erreicht. Es ist ein gutes Zeichen, dass Klopp auf sich selbst hört.

SWR Sport: Jürgen Klopp spricht davon, dass er ab Sommer endlich ein "normales Leben“ führen möchte. Heißt das im Umkehrschluss: Der Trainerberuf lässt ein "normales Leben" gar nicht zu?

Mickler: Genau so ist es. Das können sich Außenstehende gar nicht vorstellen. Wir können ganz normal irgendwo essen gehen. Wir werden in Ruhe gelassen, keiner kommt auf uns zu. Ein bekannter Fußballtrainer wird sofort erkannt, die Leute kommen auf ihn zu, wollen ein Selfie machen oder ein Autogramm. Er kommt gar nicht mehr dazu, in Ruhe zu essen. Wenn er das den Leuten dann mal sagt, sind die noch beleidigt oder schwärzen ihn im Netz noch an.

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