Nach Urteil im "Pyro-Prozess"

Anwältin des Fanprojekts Karlsruhe sieht große Gefahr für soziale Arbeit

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Autor/in
Martin Bromber

Angela Furmaniak ist Rechtsanwältin und hat die Mitarbeiter des KSC-Fanprojekts im Prozess wegen des Vorwurfs der Strafvereitelung verteidigt. Im Interview mit SWR Sport spricht sie über den Prozess und das Urteil.

SWR Sport: Sie haben die Mitarbeiter des Fanprojekts Karlsruhe im Prozess wegen des Vorwurfs der Strafvereitelung vertreten. Können Sie uns bitte den Fall noch einmal kurz erläutern?

Der Hintergrund war, dass es im November 2022 im Karlsruher Wildpark Stadion eine größere Pyro-Aktion von Fans gab, die komplett aus dem Ruder lief. Es gab elf Verletzte insgesamt und daraufhin hat dann die Polizei Ermittlungen eingeleitet wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung gegen einzelne Fans. Sie hatte dann in dem Rahmen auch insgesamt 25 Hausdurchsuchungen durchgeführt. Und irgendwann kam dann die Polizei auf die Idee, die Mitarbeitenden des Fanprojekts als Zeugen vorzuladen, weil sie sich erhofft haben, dass da möglicherweise weitergehende Informationen zu erwarten sein.

SWR Sport: Wie ging es dann weiter?

Es ging dann so weiter, dass die Mitarbeiter des Fanprojekt tatsächlich gesagt haben, wir können keine Aussagen machen, weil das zur Folge hätte, dass unsere komplette Arbeit gefährdet wäre. Die Arbeit eines Fanprojekts setzt voraus, dass es ein gewisses Vertrauensverhältnis gibt zwischen den Mitarbeitern, Mitarbeiterinnen und der Klientel. Und wenn dieses Vertrauensverhältnis dadurch in Gefahr gerät, dass Aussagen in Strafverfahren erwartet werden und gemacht werden müssen, dann heißt es letztendlich, dass die ganze Arbeit auf den Prüfstand gestellt werden muss. Und die haben sich dann entschieden, keine Aussagen zu machen.

SWR Sport: Was ist denn das Besondere an diesem Fall?

Das Besondere an dem Fall ist tatsächlich, dass diese Problematik - Aussagen von Sozialarbeitern gegenüber der Klientel - immer wieder schon mal in der Vergangenheit Thema war. An verschiedenen Standorten in ganz Deutschland, auch in verschiedenen Feldern der Sozialen Arbeit. Jetzt nicht nur Fanprojekte, aber auch Streetworker und so weiter. Und in der Regel gelingt es aber durch Gespräche und Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft, Lösungen zu finden, dass es nicht zum Äußersten kommt. Und das ist in dem Fall einfach nicht gelungen. Die Staatsanwaltschaft war völlig kompromisslos. Und so ist das Ganze dann letztendlich soweit eskaliert, dass es dann zu diesem Strafverfahren kam. Das Amtsgericht hat dann auch Verurteilungen ausgesprochen. Das heißt, die ursprünglichen Strafen wurden zwar reduziert, aber es stehen jetzt dennoch Verurteilungen zu jeweils 90 Tagessätzen im Raum. Meines Erachtens nach zu unrecht, weil die Voraussetzungen auch rechtlich nicht vorliegen. Ganz unabhängig von dem weitergehenden Thema: Brauchen Sozialarbeiter Zeugnisverweigerungsrecht - ja oder nein.

Karlsruhe

Urteil vor dem Amtsgericht Karlsruhe Pyro-Eklat beim KSC: Amtsgericht verurteilt Fanprojekt-Mitarbeiter zu Geldstrafen

Das Karlsruher Amtsgericht hat drei Sozialarbeiter des KSC-Fanprojekts zu Geldstrafen verurteilt. Nach einem Pyro-Eklat hatten sie sich geweigert, als Zeugen auszusagen.

SWR Sport: Heute hat sich der Verein Hertha BSC geäußert und Unterstützung für die Fanprojekt-Mitarbeiter angekündigt. Welche Auswirkungen hat das Urteil jetzt auf die zukünftige Arbeit von Fanprojekten?

Das hat ganz große Auswirkungen. Ich gehe davon aus, dass dieses Beispiel aus Karlsruhe möglicherweise Schule machen wird. Das heißt, da ist jetzt ein Dammbruch erfolgt, der in Zukunft, vermute ich, Begehrlichkeiten bei anderen Staatsanwaltschaften und Polizeidienststellen wecken wird. Das heißt also, das Risiko, dass tatsächlich Mitarbeitende von Fanprojekten als Zeuginnen und Zeugen vorgeladen werden können, steigt meines Erachtens. Und das heißt aber wirklich in der Konsequenz, dass möglicherweise die Arbeit der Fanprojekte deutlich gefährdet ist. Und wenn man dann sich die Beschlüsse der Innenministerkonferenz anschaut, die vor wenigen Wochen stattgefunden hat, wo auch so ein bisschen schon die Arbeit der Fanprojekte insgesamt in Frage gestellt wurde, meine ich, dass man da so ein bisschen was ablesen kann. Was ich extrem problematisch finde, weil die Fanprojekte gute Arbeit machen an sehr vielen Standorten. Das sind oft die einzigen, die Zugang zu Fanszenen haben, die da eine wichtige Rolle spielen können, die auch aufgrund eben dieses Vertrauens, dieses "wir kennen uns gegenseitig", dann einfach auch gut arbeiten können. Sowohl in präventiver Hinsicht als auch in ganz unterschiedlichen Bereichen. Und wenn das in Gefahr gerät, das wäre ein riesiges Problem.

SWR Sport: Unterm Strich geht es auch um das Aufklären von Straftaten im Stadion. Handelt es sich hier um eine juristische oder moralische Frage? Oder beides?

Es ist meines Erachtens nach überhaupt keine moralische Frage, sondern eine ganz einfache juristische Frage. In dem Fall war es so, dass die Polizei bereits 25 Tatverdächtige ermittelt hatte. Es sind jetzt auch mittlerweile sehr viele Verurteilungen gegenüber Fans ergangen, die zum Teil noch nicht rechtskräftig sind. Zum Teil wurden sehr hohe Strafen ausgesprochen und es war meines Erachtens nach überhaupt nicht notwendig, zusätzlich noch auf die Aussagen der Mitarbeiter des Fanprojekts zu setzen. Es gab Erkenntnismöglichkeiten, es gab Hausdurchsuchungen, es gab Auswertungen von Handys, es gab Zeugenaussagen, es gab eine ganze Vielzahl an Beweismaterial. Und tatsächlich, und das finde ich einen spannenden Faktor, wurde den Leuten vom Fanprojekt dann im Ergebnis auch vom Gericht gar nicht vorgeworfen, irgendeine Bestrafung verhindert zu haben, sondern es ging da nur um eine versuchte Strafvereitelung und auch nur um den Vorwurf, die Ermittlungen letztendlich verzögert zu haben. Und da fehlt mir völlig das Verständnis. Warum dann im Rahmen einer Abwägung einer Verhältnismäßigkeits-Prüfung im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft nicht hätte sagen können: "Okay, wir brauchen eure Aussage eigentlich nicht. Wir haben genug, wir haben es, es reicht um die Leute zu verurteilen." Stattdessen wurde da konsequent drauf beharrt, und das ist ein riesiges Problem. Dieses Problem lässt sich aber, wie wir jetzt sehen, nicht immer im Wege einer vernünftigen Argumentation mit den Ermittlungsbehörden lösen. Wenn die Ermittlungsbehörden an dem Punkt nicht bereit sind, sich auf vernünftige Argumente einzulassen. Letztendlich braucht es ein gesetzlich geregeltes Zeugnisverweigerungsrecht, um da ein für alle Mal Klarheit zu schaffen.

SWR Sport: Wie könnte das jetzt generell weitergehen, wie man sich diesem Thema annimmt? Was sind die nächsten Schritte?

Also zunächst mal in dem konkreten Fall haben wir Berufung eingelegt. Wir wollen die Sache vom Landgericht klären lassen und ich bin weiterhin fest davon überzeugt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Verurteilung schlicht und einfach nicht vorliegen. Ich verspreche mir insofern, dass es dann beim Landgericht dann auch zu Freisprüchen kommen wird. Der andere Punkt muss aber die politische Diskussion sein. Es ist notwendig, auf der parlamentarischen Ebene dafür zu sorgen, dass dieses Zeugnisverweigerungsrecht ins Gesetz kommt. Dass die bestehenden Zeugnisverweigerungsrechte, die wir jetzt bereits haben, zum Beispiel für Drogenberatungsstellen und für Schwangerschaftskonflikt-Beratungsstellen ausgeweitet werden, auch auf andere Berufsfelder der sozialen Arbeit.

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Martin Bromber