Derby, Derby, Derby - vermutlich wird in den Fankurven nur über Stadionverbote heftiger diskutiert als über die Frage: Ist X gegen Y wirklich ein Derby? Bei VfB Stuttgart gegen den Karlsruher SC scheint der Fall klar. Bei Waldhof Mannheim gegen den FCK vermutlich auch. Aber VfB Stuttgart gegen den SC Freiburg? Da gehen die Meinungen schon auseinander. Und VfB Stuttgart gegen die TSG Hoffenheim? Dabei ist Hoffenheim sogar minimal näher an Stuttgart als Karlsruhe. Also wann genau ist ein Derby ein Derby?
Immer mehr Derbys
Spätestens seit der Sky-Vorgänger "Premiere" angefangen hat, mit Fußball Geld verdienen zu wollen, wimmelt es im Fußball nur so von "Derbys". Da wurde der Meisterschaftskampf zwischen Werder Bremen und dem FC Bayern München kurzerhand zum Nord-Süd-Derby hochgejazzt - als wäre das Duell um Platz eins nicht brisant genug. Und in westdeutschen Redaktionen wurde plötzlich jedes Spiel zwischen zwei Mannschaften aus der ehemaligen DDR-Oberliga zum "Ost-Derby" stilisiert. Selbst der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk ist in Zeiten von Klickzahlen und Social Media nicht davor gefeit, bei Duellen zweier Mannschaften aus "dem Sendegebiet" schnell von einem Derby zu sprechen.
- Wo kommt das Derby überhaupt her?
- Derby ohne Emotionen?
- Derbys mit Geschichte
- Derbys sind eine Frage der Perspektive
- Derbys müssen sich entwickeln
- Derbys sind eine Frage der Anerkennung
- Fazit: Derby oder nicht Derby?
Wo kommt das Derby überhaupt her?
Geht man von jedoch von der Etymologie aus, müssen bei einem Derby beide Mannschaften aus ein und demselben Ort kommen. Denn das erste "Derby" der Geschichte war das "Königliche Shrovetide Fußballspiel", bei dem spätestens seit dem 12. Jahrhundert zwei Teams aus Ashbourne an Faschingsdienstag und Aschermittwoch gegeneinander kickten. Und weil Ashbourne in der englischen Grafschaft Derbyshire liegt, hat sich der Begriff "Derby" eingebürgert. Ausgehend von seinem Ursprung in den englischen East Midlands muss das "Derby" auf jeden Fall "Dahbie" (dɑːbɪʃə) und keinesfalls "Dörbie" (dɜrbi]) oder gar "Derbie" (deʀbɪʃə) ausgesprochen werden.
Das erste "richtige" Derby
Mit Fußball im heutigen Sinne hat das wüste Gebolze jedoch wenig zu tun. Spielzeit ist zweimal acht Stunden, das Spielfeld ist fünf Kilometer lang und anstelle von Aluminium-Toren gibt es zwei Mühlsteine. Tore zählen auch, wenn man die Mühlsteine von hinten oder von der Seite trifft.
Auch das erste "richtige" Fußball-Derby haben 1866 zwei Mannschaften aus ein- und derselben Stadt ausgetragen, nämlich Nottingham Forrest und Notts County. Selbst wenn man es nicht ganz so orthodox auslegen möchte, hat ein Derby stets eine regionale Komponente.
Fußball | Risikospiele KSC gegen Rostock: Wann ist ein Fußballspiel ein Risikospiel?
Immer wieder werden Spiele in Fußball-Deutschland werden als sogenannte Risikospiele bezeichnet. Was ist darunter zu verstehen? Fragen und Antworten.
Derby ohne Emotionen?
Die zweite Komponente sind die Emotionen. Denn zwei Teams können noch so nah beieinander trainieren, wenn die Vereine keine Rivalität verbindet, kommt auch keine Derby-Stimmung auf. Der VfB Stuttgart gegen die SG 07 Untertürkheim ist allenfalls ein gemütlicher Testkick, dabei sind die beiden Klubs gerade einmal 2,5 Kilometer voneinander entfernt. Das Duell gegen den Karlsruher SC geht in beiden Lagern ohne Weiteres als Derby durch, obwohl die beiden Städte etwa 75 Kilometer auseinander liegen. Auch von Kaiserslautern nach Mannheim fährt man etwa 60 Kilometer, dennoch sprechen die meisten Fans von einem Derby, wenn der FCK gegen den Waldhof antritt.
Was ist also wichtiger: Nähe oder Emotionen? Nähe ist auf jeden Fall der wichtigere Faktor. Schließlich kochen auch beim Clásico regelmäßig die Emotionen hoch. Und für die Fans von Real Madrid ist das Spiel gegen den auf der Landkarte entfernteren FC Barcelona deutlich wichtiger als das Spiel gegen den Stadtrivalen Atletico. Dennoch ist das Duell der beiden Dauer-Rivalen, Real Madrid gegen Barcelona kein Derby.
Derbys mit Geschichte
Zudem geht es in jedem Derby um mehr als nur drei (oder früher zwei) Punkte - jedenfalls für die Fans. Denn jedes Derby hat seine eigene Geschichte und seine eigenen Mythen. Viele Rivalitäten basieren auf gemeinsamen Ursprüngen. So wurde die legendäre Anfield Road eigentlich für den FC Everton errichtet. Aber als Brauerei-Boss John Houlding 1892 die Miete für die Anfield Road erhöhte, wichen die "Toffees" auf den Goodison Park und Houlding gründete kurzerhand den FC Liverpool, damit sein Stadion nicht leer blieb.
Häufig sind aber noch ganz andere Konflikte Teil der Derby-Rivalität. Inter Mailand hat sich zum Beispiel 1908 vom AC Mailand abgespalten, weil beim damaligen "Milan Cricket and Football Club" nur Italiener spielen durften und sich die sportbegeisterten Schweizer diskriminiert fühlten. Zudem entwickelten sich die Rossoneri (AC) zum Klub der Arbeiter und die Nerazzurri (Inter) zum Klub der Künstler und Intellektuellen. So war das Derby della Madonnina - benannt nach der berühmten Madonnen-Statue auf dem Mailänder Piazza Duomo - auch immer ein bisschen Klassenkampf.
Ausgewählte Derbys und ihre Geschichte
Auch die Rivalität zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und Waldhof Mannheim basiert nicht nur auf der Nähe der beiden Städte. Sie entzündete sich im Wesentlichen als die Waldhof-Buben 1983 in die Bundesliga aufgestiegen sind und teilweise ins Südweststadion in Ludwigshafen ausweichen mussten, da die eigene Bude nicht bundesligatauglich war. Vorstand und Fans des FCK empfanden die Mannheimer "Expansion" auf die andere Rheinseite als übergriffig. Als der Waldhof im ersten Bundesliga-Jahr dann noch besser war und mehr Zuschauer anlockte als der FCK, war die Derby-Saat gesät. Und es folgten einige spektakuläre Duelle.
Und wenn der VfB Stuttgart gegen den Karlsruher SC antritt, geht es nicht nur um Sieg, Unentschieden oder Niederlage, das Spiel entscheidet mindestens auch darüber, ob Stuttgart die legitime Hauptstadt Baden-Württembergs ist und ob Schwaben oder Badener die besseren Menschen sind.
Auf dem Spielfeld spielen derartige Konflikte häufig keine Rolle mehr, schließlich treten in vielen Fällen mittelständige Konzerne mit ihrer internationalen Belegschaft gegeneinander an. In den Fankurven werden die alten Konflikte jedoch liebevoll und mit mehr und wieder weniger großem Augenzwinkern kultiviert.
Derbys sind eine Frage der Perspektive
Die Diskussion, ob Derby oder nicht Derby, treibt mitunter kuriose Blüten. Deutschland und die Niederlande sind zum Beispiel direkte Nachbarn, die Rivalität zwischen beiden Nationalmannschaften ist riesig. Trotzdem spricht niemand von einem Derby, wenn die DFB-Elf auf die Elftal trifft. Die Derby-Diskussion bezieht sich ausschließlich auf Vereinsmannschaften.
Und während viele Fans des auch nicht mehr ganz so kleinen SC Freiburg (Südbaden) das Duell gegen den "großen" VfB Stuttgart (Württemberg) sehr wohl als Derby begreifen, zählt für die meisten Fans in der Cannstatter Kurve nur das Duell gegen den verschmähten KSC als Derby - zu selten haben Freiburg und Stuttgart um Meisterschaften, Aufstiege oder Europapokal-Plätze konkurriert. Wobei auch der Vergleich mit dem Karlsruher SC erst so richtig Würze erhielt, als sich die Badener zu Beginn der 1990er zum direkten Konkurrenten um die Europapokal-Plätze aufschwangen und der damalige KSC-Trainer lautstark den Underdog heraushängen ließ.
Rhein-Main-Derby oder nicht?
Bei Mainz 05 und Eintracht Frankfurt schaut es ähnlich aus. Auf der einen Seite der kleine Klub aus Rheinhessen, der so gerne Derby-Gegner auf Augenhöhe wäre, auf der anderen Seite die großen Frankfurter, deren Fans eher den spärlichen Duellen gegen die Kickers Offenbach oder Darmstadt 98 entgegenfiebern. Aus Mainz wird hingegen kolportiert, dass sich die Hessen jedes Jahr wie Bolle auf das Rhein-Main-Derby freuen, und es erst hinterher zum "Spiel wie jedes andere" zurückstufen, wenn sich die Eintracht mal wieder bis auf die Knochen blamiert hat. Auch die Fans des 1. FC Kaiserslautern scheinen kein gesteigertes Interesse an einem Derby gegen Mainz 05 zu haben. Die Fans der Rheinhessen zelebrieren es hingegen, wenn die Hauptstadt auf die Provinz trifft.
Derbys müssen sich entwickeln
Lokale, regionale, politische oder religiöse Rivalitäten scheinen also in den Hintergrund zu treten, wenn die beiden Teams sportlich über längere Perioden hinweg nicht auf demselben Niveau agieren. Aber auch Derby-Rivalitäten brauchen Zeit zum wachsen. Und wer weiß: Sollte der SC Freiburg den Stuttgartern in den kommenden Jahren häufiger den letzten Platz in der Champions League vor der Nase wegschnappen, sprechen kommende Generationen von VfB-Fans womöglich auch von einem Derby, wenn es wieder in den Breisgau geht. Vielleicht sind die Freiburger aber schlichtweg zu sympatisch, um sie zu ernsthaft zu veracht.
Aber es geht auch anders herum: VfB Stuttgart gegen die Stuttgarter Kickers war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Derby, das den Kessel elektrisiert hat. Schließlich haben beide Vereine lange um die Vorherrschaft gekämpft und die lokalen und regionalen Meisterschaften häufig unter sich ausgemacht. Doch die Frage, wer der bessere Fußball-Verein ist, wurde in den 1950ern relativ eindeutig geklärt. Das letzte Pflichtspiel in der Bundesliga wurde 1992 ausgespielt - in dem Jahr als "die Roten" Deutscher Meister wurden, und "die Blauen" aus der Bundesliga abgestiegen sind. Die Kickers spielen mittlerweile in der Oberliga Baden-Württemberg und die Derby-Emotionen sind weitgehend abgekühlt.
Derbys sind eine Frage der Anerkennung
Die TSG Hoffenheim hat in den Augen vieler VfB-Fans weder Tradition noch Emotion, weswegen es im Kraichgau auch nie ein Derby geben kann. Und trotzdem wird das Feindbild des unnützen Retortenklubs, der sich seine Erfolge mit fiesem Mäzenatentum hinterrücks erkauft, auch in der Cannstatter Kurve liebevoll gepflegt. Und die Wut, die der TSG Hoffenheim und ihrem ungeliebten Gönner Dietmar Hopp seit dem Bundesliga-Aufstieg 2008 regelmäßig entgegenschlägt, hat mittlerweile auch so etwas wie Tradition.
Teilweise gibt es sogar innerhalb der Fan-Szene unterschiedliche Ansichten. Fans, die in den 1970er und -80er Jahren auf der Südtribüne des 1. FC Köln noch die großen Schlachten gegen Borussia Mönchengladbach miterlebt haben, sehen in den Fohlen vom Niederrhein den großen Derby-Rivalen. Jüngere Fans, die in den 1990er und Nuller-Jahren zu FC-Fans wurden, fiebern eher dem Duell gegen Bayer Leverkusen entgegen.
Also Derby oder nicht Derby?
Derby ist also, wenn Nähe und Rivalität in einem Spiel aufeinandertreffen. Häufig überlagert sich dabei die sportliche Rivalität mit anderen Konfliktlinien, auch wenn viele davon mittlerweile Folklore sind. Nähe ohne Rivalität ist maximal ein Nachbarschaftsduell. Rivalität ohne Nähe ist dann einfach ein sehr, sehr wichtiges Spiel. Ein Derby hat auch viel mit Anerkennung zu tun. Wenn die Fans einem Gegner Derby-Qualitäten zuschreiben, bedeutet das automatisch, dass er ihnen wichtig ist - zumindest wichtiger als all die anderen Gegner.
Wem diese Anerkennung zuteil wird, wird immer wieder neu ausgehandelt. Schließlich haben die Fans des FC Arsenal den langjährigen Derby-Rivalen Tottenham Hotspur nach dem Einstieg von Mäzen Roman Abramowitsch beim FC Chelsea lautstark wissen lassen: "You are not our rivals anymore!" Eines wird sich - sicherlich zum Leidwesen von Fans, Spielern und Trainern gleichermaßen - niemals ändern: Derby-Siege werden in der Tabelle nicht doppelt bewertet. Aber wenigstens können die Fans am Tag danach erhobenen Hauptes zum Bäcker gehen.