Ein Spieler geht im Strafraum zu Boden. Der Schiedsrichter zeigt auf den Punkt. Eine Szene, die alle Fans kennen – und sich meist darüber freuen. Elfmeter, das Duell Eins gegen Eins! Stürmer gegen Torwart! Oft eine gute Möglichkeit, ein Tor zu erzielen, in dieser Saison jedoch häufig nicht. Davon können vor allem die Stuttgarter und Freiburger Fans ein Lied singen.
Stuttgart und Freiburg mit Horror-Bilanz
Wettbewerbsübergreifend haben die beiden Clubs aus Baden-Württemberg jeweils nur einen von fünf Strafstößen getroffen. Beide Vereine haben drei Chancen vom Punkt in der Bundesliga ausgelassen. Freiburg traf im Pokal einen von zwei Versuchen. Der VfB hingegen steht im Pokal bei 100 Prozent, Atakan Karazor traf den einzigen Elfmeter im Wettbewerb. In der Champions League konnten die Schwaben ihren einen Elfmeter jedoch nicht verwandeln – Enzo Millot scheiterte gegen Juventus Turin vom Punkt.
Schlechte Elfmeter-Bilanzen können viele Ursachen haben. Zunächst ist der Druck, der auf den Schützen lastet, enorm und wird durch viele Faktoren erhöht. Die Erwartungshaltung der Fans und die Rahmenbedingungen zum Beispiel. Alle Augen im Stadion sind nur auf diese eine Szene gerichtet und jeder erwartet, dass der Ball im Tor landet – was nicht so selbstverständlich ist, wie viele es sehen.
Einschätzungen einer Sportpsychologin
Katharina Zollinger ist Sportpsychologin und ordnet im Gespräch mit SWR Sport die besondere Situation bei einem Elfmeter aus sportpsychologischer Sicht ein: "Fußball ist eigentlich ein Teamsport. Bei einem Elfmeter gibt es allerdings ein individuelles Eins gegen Eins. In dem Augenblick entsteht eine erhöhte Drucksituation. Wenn man durch den Elfmeter beispielsweise zum Ausgleich kommen kann und nur noch wenig Zeit auf der Uhr ist, entsteht in dem Moment eine besondere Brisanz."
Außerdem kann auch der Videobeweis in gewisser Weise Einfluss nehmen. Durch die Überprüfung des Video-Assistenten vergeht vom Pfiff bis zur Ausführung mehr Zeit. Das bedeutet natürlich auch mehr Zeit für den Schützen zum Nachdenken. "Das ist ein Moment, in dem man die Möglichkeit hat, sich Gedanken zu machen. Irgendwie muss der Kopf in dem Moment beschäftigt werden, was grundsätzlich eine Fläche für zweifelnde Gedanken, für die Angst des Misslingens bietet", erklärt Zollinger.
Weitere äußere Faktoren sind etwa Zuschauer und die Situation. Es gehe darum, das alles im Inneren auszublenden. "Wenn man schon einmal einen Schuss daneben gesetzt hat oder auch die Zukunft – was könnte passieren. Man muss mit der Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt bleiben und komplett ausblenden, worum es da gerade geht."
Auch Titelrennen kann Druck aufbauen
Das ist nicht immer einfach und kann sowohl im Abstiegskampf als auch im Meisterschaftsrennen eine Rolle spielen. "Interessanterweise haben die wenigsten auf dem Schirm, dass dieses kurz davor stehen, etwas Großes zu erreichen, genauso viel Druck erzeugen kann", so Zollinger. Wenn man Angst vor einem Misserfolg bekommt, sollte man das auch wahrnehmen und akzeptieren, sich aber trotzdem auf das Wesentliche konzentrieren.
Im Grunde genommen gibt es zwei Varianten einen Elfmeter zu schießen. Wobei die eine davon wohl noch härtere Nerven benötigt. Die erste Möglichkeit ist die Torwartunabhängige. Dabei geht man mit einem klaren Plan zum Elfmeterpunkt und zieht diesen durch.
Bei Variante B, der Torwartabhängigen, wird versucht den Torwart zu lesen und den Schuss in der Aktion anzupassen. Den Torwart zu lesen sei die statistisch erfolgreichere Variante, aber das kann auch vom Charakter des Schützen abhängen. Wichtig sei es aber, sich auf eine Variante festzulegen: "Wofür man sich auf keinen Fall entscheiden sollte, ist zwischen den Welten zu schwimmen."
Professionalisirung kann für schlechtere Quote sorgen
Eine Aussage von Katharina Zollinger sorgt im ersten Moment erstmal für Verwunderung: "Ich erkläre mir die gesunkene Statistik auch durch die zunehmende Professionalisierung. Aber das ist jetzt meine These, die ich auch nicht wissenschaftlich untermauern kann." Die Erklärung ist dann jedoch einleuchtend: "Die Torhüter achten auf die Augenbewegung. Das lernen die Schützen mit der Zeit und versuchen ihn quasi auszutricksen."
Das könnte zu zusätzlichen Gedankenspielen führen, die eine negative Auswirkung haben könnten. "Fußball ist einfach professioneller geworden. Das betrifft auch die Torhüter, die Statistiken bekommen, welcher Schütze bevorzugt in welche Ecke schießt."
Die Elfmeter-Statistiken der aktuellen Spielzeit stützen diese These. Betrachtet man die Zahlen der drei Profiligen in Deutschland, ist die der dritten Liga am höchsten. Die Bundesliga ist Schlusslicht. Nur 67 Prozent der Elfmeter landeten dort im Tor. Vergangene Saison waren es noch zehn Prozent mehr. In der zweiten Bundesliga und Liga drei liegen die Quoten bei etwa 80 Prozent.
Auswirkungen von Konkurrenzkampf
Die genauen Ursachen lassen sich nicht definitiv bestimmen, da es zu viele Faktoren gibt, die Einfluss nehmen können. Neben den bereits genannten Faktoren kann beispielsweise auch eine Außenseiter-, beziehungsweise Favoritenrolle Einfluss nehmen oder auch Konkurrenzkampf auf der Position. Dieser kann laut Katharina Zollinger jedoch eine positive und negative Auswirkung haben.
"Ich sehe das im Mannschaftssport sowohl als Vor- als auch als Nachteil. Ich kann es so auslegen, dass irgendjemand mir im Nacken sitzt und auf meine Position will, was Druck aufbaut. Es kann aber auch eine soziale Erleichterung sein zu wissen, ich habe ein gutes Team hinter mir. Ich bin quasi nicht alleine in der Verantwortung, sondern wir holen den Karren gemeinschaftlich aus dem Dreck", so Zollinger.
Tipps für den Elfmeter
Eine Formel um jeden Elfmeter zu verwandeln gibt es nicht, sonst wäre die Statistik der verwandelten Strafstöße wohl auch höher. Das weiß wohl auch jeder, der schon einmal selbst Fußball gespielt hat. Ein paar Tipps, hat die Expertin jedoch: "Lernen, mit Druck umzugehen. Der Körper gerät in Stress. Diese Gefühle muss man akzeptieren und lernen, sie zu regulieren. Beispielsweise zwei tiefe Atemzüge. Das Wichtige von dem Unwichtigen unterscheiden. Sich also voll und ganz auf die Aufgabe zu konzentrieren und Dinge wie den Spielstand ausblenden." Neben dem festlegen, wie man den Elfmeter angehen will, sei eine weitere Sache auch noch wichtig: "Üben, üben, üben!"