Fußball | Meinung

Turbulenzen im Kraichgau: Hoffenheim und seine Fans vor der Zerreißprobe?

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Kersten Eichhorn

Unruhige Zeiten bei der TSG Hoffenheim. Nach der Trennung von Sportgeschäftsführer Alexander Rosen droht das Verhältnis zu den Fans zu eskalieren. Was passiert am Samstag? Eine Einschätzung von SWR-Sportreporter Kersten Eichhorn.

Wenigstens Pellegrino Matarazzo versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Die Bundesliga, so der Hoffenheimer Trainer bei der Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag mit einem feinen Lächeln im Gesicht, sei "etwas ganz Besonderes, ein tolles Erlebnis". Man freue sich "definitiv auf den Start".

Tatsächlich könnte es ja in diesen Tagen auch im Kraichgau so schön sein, so voller Vorfreude. Was wäre das für ein prickelnder Countdown vor dem Auftakt. Prima Sommerwetter ist angesagt zum ersten Heimspiel gegen den Neuling Holstein Kiel, einer durchaus machbaren Aufgabe.

Unschönes Erlebnis am Samstagnachmittag?

Könnte und hätte. Es ist leider nur der Konjunktiv. Denn die Vorfreude in Hoffenheim ist schwer getrübt. Verunsicherung ist wohl eher das richtige Wort, verbunden mit Anspannung. Beim Bundesligisten aus dem Kraichgau hat sich die Angst vor einem unschönen Samstagserlebnis breitgemacht. Die Angst der TSG vor der Ohnmacht, dass die Auseinandersetzungen mit diversen Hoffenheimer Fan-Gruppierungen am Samstag ab 15:30 Uhr im schlimmsten Fall sogar zu einem Spielabbruch gegen Kiel führen könnten.

Die Entlassung von Alexander Rosen als Ursprung der Unruhen

Es ist eine gefühlte Eskalation des Gegeneinanders, die mit der Trennung von der gesamten sportlichen Führung um Geschäftsführer Alexander Rosen am 29. Juli ihren Ursprung hatte und in dieser Woche ihren (vorläufigen) Höhepunkt findet. Dazu muss man wissen, dass sich Rosen, der langjährige Sportchef der Hoffenheimer, im Fanlager großer Beliebtheit erfreute. Er war eine fixe Größe im alljährlichen Jahrmarkt des Kommens und Gehens von Spielern und Trainern. Rosen, der smarte und charmante Plauderer und Manager, wirkte nach außen hin als das beständige Gesicht der TSG. Sein plötzliches Aus an einem Montagmorgen Ende Juli - das Team weilte gerade beim Trainingslager in Kitzbühel - sorgte für heftige Schlagzeilen und Aufruhr bei den Anhängern.

Rosen und die TSG: Auseinandergelebt

Wobei: Elf Jahre intensiver Zusammenarbeit und unterschiedlicher Meinungen hatten längst tiefe Spuren hinterlassen. Es gab Abnutzungserscheinungen, Schrammen im Zusammenspiel der Geschäftsführung, in der Kommunikation. Mit Hauptgesellschafter Dietmar Hopp hatte sich Alexander Rosen nach Informationen von SWR Sport mehr und mehr auseinandergelebt. Die Kreativität im Kader habe zuletzt gefehlt, so hört man, ebenso im Scouting. Der Transferstau in diesem Sommer habe schließlich das Frust-Fass bei den TSG-Gesellschaftern zum Überlaufen gebracht. Von Rosen avisierte Neuzugänge seien bei der Vereinsführung nicht vermittelbar gewesen.

Die Folge: Hoffenheim trennte sich vom Sportgeschäftsführer und seinem engsten Mitarbeiterstab - und stand bis Anfang August noch ohne einen einzigen Neuzugang da. Ein Fiasko.

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Trennung von der sportlichen Führung zur Unzeit

Es mag Gründe für die Trennung gegeben haben. Allerdings fand sie zur absoluten Unzeit statt: Mitten in der Vorbereitung zur Bundesligasaison. Wenn schon Trennung - und Gerüchte darüber gab es schon häufiger in den letzten Jahren in Hoffenheim - dann doch bitte zum Ende der vergangenen Saison. Für einen sauberen Schnitt, eine saubere Trennung und einen sauberen Neuanfang. So aber wirkte das Geschehen überhastet und unüberlegt. Zumal das Großreinemachen (neben Rosen demissionieren zwei weitere TSG-Geschäftsführer Ende Oktober) lediglich mit einer dünnen Pressemeldung unter dem Titel "Neuausrichtung" begleitet wurde. Nachvollziehbare Begründungen fehlten.

Seither versucht Interims-Sportchef Frank Kramer, Leiter der Nachwuchsakademie, die gewaltigen Lücken im Bundesligateam auf einem völlig überhitzten Transfermarkt doch noch kurzfristig auszubügeln. Möge der frühere Schalker Bundesliga-Coach in dieser fast schon verfahrenen Situation und einigen geplatzten Transfers doch noch ein glückliches Händchen haben.

Wieviel Entscheidungsgewalt hat Dietmar Hopp?

Viele Fans, darunter vor allem auch die organisierte Szene, machten Hauptgesellschafter Dietmar Hopp als Hauptverantwortlichen für den Rauswurf von Alexander Rosen aus. Trotz der Rückgabe von Hopps Stimmrechtemehrheit (50+1) sei der Verein nach wie vor nicht Herr seiner Entscheidungen, so die Anhänger. Die Mitgesellschafter des e.V. wie Interims-Präsidentin Simone Engelhardt würden sich Dietmar Hopps Wünschen beugen. Unschöne, weil diffamierende, Plakate und Banner rund ums Trainingszentrum in Zuzenhausen waren unmittelbar nach der Rosen-Tennung die Folge: "Ihr habt einen Krieg begonnen, den ihr nicht gewinnen könnt", hieß es beispielsweise unnötig martialisch.

Fan-Proteste auch am Samstag?

In dieser Woche, wenige Tage vor dem Bundesligaauftakt gegen Kiel, reagierte der Verein, sprach mit Journalisten über die Befürchtungen für den Samstag. Und die Angst vor weiteren persönlichen Diffamierungen und Beleidigungen. Vor allem gegen Dietmar Hopp. Die Fans hätten der TSG "den Krieg erklärt", so der Club. Jetzt wolle man Turbulenzen in der Art verhindern, dass die Partie im schlimmsten Fall sogar abgebrochen werden könnte. Kurios und eigentlich traurig: Jahrelang wurde Mäzen und Milliardär Hopp vor allem von den Fans der sogenannten Traditionsvereine der Bundesliga angefeindet und beleidigt. Jetzt kommt die geballte Kritik aus der eigenen Kurve.

Kein Dialog zwischen Fans und Verein

Aktuell jedenfalls herrscht zwischen den Konflikt-Parteien Sprachlosigkeit. Ein Dialog zwischen der Ultra-Szene und der Vereinsführung findet nicht mehr statt. Mehrere Gesprächsangebote seitens der TSG wurden abgelehnt. Als Reaktion darauf wurden die Fans aufgefordert, ihr Lager in der Arena vor dem Spiel gegen Kiel zu räumen. Fraglich, ob dieser Vorgang als geeignetes Mittel zur Deeskalation weiterhilft.

Vielleicht aber ist die Angst vor Ausschreitungen auch größer als das, was am Samstag tatsächlich passiert oder passieren könnte. Nach Informationen des SWR sei lediglich eine Art stiller Protest geplant, der Verzicht auf den lautstarken Support. Sozusagen 90 Minuten Ruhe in der Fankurve.

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Zu bedauern ist in diesen Tagen vor allem ein Mann, der selbst seit Amtsantritt unter strenger Beobachtung von Fans und Umfeld steht: Trainer Pellegrino Matarazzo. Trotz Rettung im Abstiegskampf 2023 und anschließender Qualifikation über Platz sieben für die Europa League 2024, war der freundliche US-Amerikaner in seinen bislang eineinhalb Jahren als TSG-Coach nie unumstritten.

Und jetzt dieses Drama. Permanente Unruhe in der Vorbereitung, unvollständiger Kader, der Verkaufs von Nationalstürmer Maxi Beier, die Verletzungsmisere um Ozan Kabak und Ihlas Bebou: Matarazzo muss am Samstag gegen Holstein Kiel dennoch wieder liefern. Das wird nicht einfach werden, auch wegen der fehlenden Unterstützung der Hardcore-Fans. Bereits letzte Woche zeigte sich, dass der Aufruhr im Kraichgau nicht völlig unbeeindruckt an der Mannschaft vorbeizieht. Mit Ach und Krach und erst im Elferschießen verhinderte "Rinos" Team ein peinliches DFB-Pokal-Aus beim Viertligisten Würzburger Kickers.

Kann über den Erfolg endlich wieder Ruhe einkehren?

Pellegrino Matarazzo jedenfalls ist schlau genug um - ganz nach Otto Rehhagel - zu wissen: Entscheidend ist auf dem Platz. Ein glatter Auftaktsieg gegen Kiel und vieles wird vergessen und sich beruhigen. Wenn die Saison startet, so der TSG-Trainer am Donnerstag, "dann geht es in diesem dynamischen Geschäft nur noch um den Erfolg. Was war, das war".

Besser kann man es nicht ausdrücken.

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Kersten Eichhorn