Konstanze aus Rottenburg versucht mit 22 Jahren aus der DDR in den Westen zu fliehen. Sie versteckte sich in einem Autokofferraum. Doch die Flucht ging schief ...
Kritiker in der DDR
„Ich wurde in die DDR hineingeboren. Drei legendäre Buchstaben: Deutsche Demokratische Republik. Wobei das zweite eigentlich nicht zutrifft und nie zugetroffen hat.“ Konstanze wird 1954 in Thüringen geboren und erlebt dort eine unbeschwerte Kindheit. „Doch die Jugendzeit wurde dann schon etwas spannender. Ich war unbequem mit 14 Jahren, weil ich zu viele Fragen gestellt habe. Ich war nicht systemkonform, und die Rache folgte auf dem Fuß.“ Die DDR versagt Konstanze das Abitur und auch für ihre Ausbildung zur Kinderkrankenschwester muss sie kämpfen.
Politische Verfolgung in der DDR
Da war Konstanze schon lange klar, dass sie die DDR verlassen will. „Ich wusste nur noch nicht wie. Ich durfte dann nach Bulgarien in den Urlaub und dachte: Na ja, vielleicht ergibt sich da was.“ Auf dem Weg in die Disco trifft sie Roland, einen jungen Mann aus Rottenburg: Sie verlieben sich und werden ein Paar. Sie treffen sich in Ost-Berlin, telefonieren ein paar Mal, schreiben sich Briefe. „Aber auch nur oberflächlich, wir mussten vorsichtig sein. Heute weiß ich, dass die Staatssicherheit (Stasi) uns ab dem ersten Tag abgehört hat.“ Konstanze stellt zwei Ausreiseanträge, beide werden abgelehnt.
Republikflucht mit Fluchthelfer
Zwei Jahre geht das so mit Roland. „Irgendwann hat er angeboten, er würde sich bei einer Fluchthilfe-Organisation kundig machen.“ Für 25.000 D-Mark soll sie in einem Kofferraum über die Grenze gebracht werden. Am 22. Januar macht sie sich abends auf den Weg. „Kilometerstein 86 bei Dessau, ich habe mich da hinter einem Busch versteckt und gewartet, Angst hatte ich keine. Ich wollte weg.“ Der umgebaute Ford Taunus 17M rollt heran, Konstanze öffnet die Hintertür, bedient zwei Hebel, wodurch sie die Rückbank hebt, und rutscht in den Kofferraum. „Ich hatte nichts dabei, nur eine Handtasche und meine Papiere.“ Zu diesem Zeitpunkt ist Konstanze 22 Jahre alt.
Gescheiterte DDR-Flucht
Beim Grenzübergang wird der Wagen raus gewunken. Volkspolizisten umstellen das Auto, heben mit einer Brechstange den Kofferraum leicht an und ein Hund schnüffelt mit seiner Nase hinein. „Ich war ruhig. Ich habe unter Spannung gestanden. Ich war gespannt, was jetzt passiert. Und dann ging es los.“ Der Kofferraum wird geöffnet und Konstanze schaut in zwei Gewehrläufe. Konstanze wird abgeführt, kommt 5 Monate in ein Stasi-Untersuchungsgefängnis und wird zu 3 Jahren und 3 Monaten Gefängnis verurteilt.
Ehemaliges DDR-Gefängnis: Frauengefängnis Hoheneck
Wegen unerlaubten Grenzübertritts kommt Konstanze dann 1977 ins größte Frauengefängnis der DDR nach Hoheneck. „Die Zustände waren katastrophal: eingekleidet in alte Uniformen, Waschtröge wie bei Schweinen, undefinierbares Essen, ein rauer Umgangston, schlechte bis keine medizinische Versorgung, Zellen mit über 40 Frauen.“ Doch Konstanze gibt die Hoffnung nicht auf: „Ich wusste, ich komme frei. Ich komme zu meinem Freund, der Westen kauft mich frei. Mit dem Freikauf … Das war so ein Gerücht, das man so auf den Fluren hörte.“ Der Freikauf bezeichnete eine Praxis, bei der die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland politisch inhaftierte Menschen der DDR gegen hohe Geldsummen freikaufte.
Der Freikauf von DDR-Häftlingen: Nach 29 Monaten Haft wird Konstanze freigekauft
Im April 1979 ist es dann so weit. „Es fiel der magische Satz, auf den alle warteten: ,Strafgefangene Koch, packen Sie Ihre Sachen.‘ Ich bekam dann die Kleidung zurück, mit der ich festgenommen wurde: ein gelber Friesennerz, ein Rock, ein T-Shirt. Die Sachen haben gemuffelt und waren total verdreckt.“ Konstanze steigt in den Bus, der sie und andere über die Grenze bringt. „An der Grenze hörte man dann, wie sich das Kennzeichen umklappte. Plötzlich fuhren wir mit einem West-Kennzeichen. Das Radio wurde angestellt und dann ,Halli Galli‘. Mir war nicht danach zumute, aber es war eine tolle Stimmung im Bus.“
„Ich habe immer daran festgehalten, in den Westen zu kommen.”
Konstanze kommt nach Gießen in ein Hotel und trifft dort endlich auf ihren Freund. „Wir waren komplett überwältigt. Alles, was ich wollte, waren drei Kugeln Eis.“ Im Bus werden sie und andere noch ermahnt: „Seien Sie still. Erzählen Sie nichts. Schließlich wollen andere auch noch freikommen.“ Konstanze bleibt fast 25 Jahre still. 2004 beginnt sie, ihre Geschichte zu erzählen. 2010 gründete sie den Verein „Süddeutscher Freundeskreis Hoheneckerinnen“ und setzte sich maßgeblich dafür ein, dass das Frauengefängnis nun ein Museum ist. 2022 wird sie für ihr Engagement gegen das Vergessen von DDR-Unrecht mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
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