Am Montag, den 27. Januar 2020 wurde getestet, am späten Abend stand das Ergebnis fest, und am kommenden Tag ging die Nachricht in die Welt: Deutschland hat seinen ersten Corona-Patienten. Ein damals 33 Jahre alter Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto hatte sich bei einer aus China angereisten Kollegin angesteckt, wo es zu dieser Zeit offiziell 4.500 Erkrankte und knapp über einhundert Tote einer neuen „Lungenkrankheit“ gab. In der Region um München infizierten sich, neben Patient Eins, fünfzehn weitere Menschen mit dem Virus.
Insgesamt 241 Kontaktpersonen wurden identifiziert, viele isoliert und die Infektionskette dadurch gestoppt. Das ging damals noch – und dieses „damals“ ist jetzt bereits zwei Jahre her. Die wenigen Fälle machten eine genaue Nachverfolgung möglich, ein Team aus Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen vieler Fachrichtungen konnte sämtliche Infektionen des sogenannten „Webasto-Clusters“ nachvollziehen.
Anfängliche Hoffnung das Virus in den Griff zu bekommen
Auch Christian Drosten von der Charité in Berlin war an der Studie beteiligt, die genau zeigte, wie das Virus von einem zur anderen sprang, etwa in der Kantine, wo zwei Personen Rücken an Rücken an verschiedenen Tischen saßen. Es wurde rekonstruiert, dass „Patient 5“ sich umdrehte, um sich von „Patient 6“ einen Salzstreuer zu leihen. Das reichte für eine Ansteckung. Durch solche detaillierten Erkenntnisse schürte man in der Öffentlichkeit und der Politik die Hoffnung, die Ausbreitung des neuen Virus in den Griff zu bekommen.
Doch die beteiligten Fachleute sahen das schon damals anders und warnten in ihrer Studie:
Szenario von 2012 beschrieb den hypothetischen Verlauf einer Pandemie in Deutschland
Doch darauf scheint irgendwie niemand gehört zu haben, obwohl eigentlich alles vorhanden war: Das Wissen, die Wissenschaftler und ein Plan, genauer, den "Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz" aus dem Jahr 2012, herausgegeben vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Darin zu lesen ist ein „analysiertes Pandemieszenario“, das den „hypothetischen Verlauf einer Pandemie in Deutschland beschreibt“.
Fachlich dafür verantwortliche Behörde war das Robert Koch-Institut RKI. Bei diesem Szenario, betonte später das RKI, habe es sich aber nicht um eine "Vorhersage", sondern um ein „Maximalszenario“ gehandelt, um das „theoretisch denkbare Schadensausmaß einer Mensch-zu-Mensch übertragbaren Erkrankung mit einem hochvirulenten Erreger“.
Fehleinschätzung von Spahn: Infektionsgeschehen milder als bei der Grippe
Gleichsam eine Horrorvision, mit einem angenommenen Gesamtzeitraum von drei Jahren und mindestens 7,5 Millionen Infektions-Toten allein in Deutschland. Diesen Bericht nahm daher vor einem Jahr kaum jemand in die Hand, obwohl dort über „Schulschließungen“, „Absagen von Großveranstaltungen“ und Maßnahmen wie Lockdown zu lesen ist. Denn, so sagte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn noch Ende Januar 2020:
Und die etwas später auftretenden Infektionsfälle rund um München gingen auch alle relativ glimpflich ab. Es gab keine schweren, vor allem aber keine tödlichen Krankheitsverläufe. Daraus aber zogen die Verantwortlichen falsche Schlüsse. Einer der behandelnden Ärzte sagte später:
Die ersten, wenigen Infektionen in Deutschland führten daher zu dem Trugschluss:
So verging wertvolle Zeit, dauerte es mehrere Wochen, bis die Politik Pandemie-Maßnahmen in Gang setzte, unter dem Druck der immer weiter steigenden Infektionszahlen. Noch am 12. Februar 2020 sagte Minister Spahn im Gesundheitsausschuss, die Gefahr einer Pandemie sei "eine zurzeit irreale Vorstellung".
Zu dieser Zeit, zwei Wochen nach dem ersten Corona-Fall in Deutschland, gab die Weltgesundheitsorganisation dem Virus und der von ihm ausgelösten Krankheit dann offizielle Namen: „SARS-CoV-2“ und „Covid-19“. Seitdem bestimmen diese unseren Alltag.