Manchmal gibt es die skurrilen Begegnungen der dritten Art. Wenn man auf dem Bahnsteig wartet und neben einem steht ein junger Mann, der von Nebelschwaden umhüllt ist, eine dampfende menschliche Säule. Der Mann pafft eine E-Zigarette. Die ist etwas größer als ein Feuerzeug, oft knallbunt und hat Geschmacksrichtungen wie Himbeere, Passionsfrucht oder Wassermelone-Kaugummi.
Ob auf dem Sportplatz, in der Einkaufszone oder auf dem Schulhof immer mehr Jugendliche greifen zu diesen sogenannten Vapes. Selbst Zwölfjährige sieht man mit Einweg-E-Zigaretten. Umstritten ist, wie gesundheitsschädlich diese Zigaretten tatsächlich sind: sehr gefährlich, halb gefährlich, überhaupt nicht gefährlich.
Ein Gespräch mit dem Ärztlichen Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Uniklinikum Hamburg, Rainer Thomasius.
Ralf Caspary, SWR2: Eine hypothetische Frage: Würden Sie ihrem 16-jährigen Sohn E-Zigaretten verbieten?
Professor Rainer Thomasius: Ja, auf jeden Fall. Diese E-Zigaretten, die nun seit 15 Jahren auf dem Markt sind, enthalten, teilweise recht giftige Stoffe: Propylen, Glykol, Glycerin, Aromen und vor allen Dingen dieses stark süchtig machende Nikotin. Das hat ungünstige Auswirkungen: Reizungen im Mund-Rachenraum, Husten, Augenreizungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Müdigkeit, Schlaflosigkeit. Die sind gut dokumentiert.
Und die Langzeitfolgen des Gebrauchs sind noch nicht so richtig gut erforscht. Immer wieder werden Spuren von Formaldehyd, Acetaldehyd, Acrolein, Nickel und Chrom nachgewiesen. Es sind also auch in den E-Zigaretten hochgiftige Stoffe.
Ralf Caspary, SWR2: Was machen die Aromen mit der Gesundheit?
Professor Rainer Thomasius: Die Aromen wirken nicht so sehr auf die Gesundheit ein, dafür aber auf die Psyche. Die E-Zigaretten werden in vielfältigen, fruchtigen, Süßigkeiten ähnlichen Geschmacksrichtungen angeboten, in bunter Aufmachung und dabei werden sie als cooles Lifestyle Produkte angekündigt.
Das hat eine sehr hohe Attraktivität für Jugendliche. Und das große Problem ist, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Jugendlichen, die diese E-Zigaretten ausprobieren, dann umsteigen zum Tabakgebrauch. Dazu haben wir eine gute Studienlage. Die Wahrscheinlichkeit zum Übergang ist um hundert Prozent erhöht gegenüber denen, die vorher keine E-Zigaretten geraucht haben. Und aus US-amerikanischen Studien wissen wir, dass die Wahrscheinlichkeit sogar um den Faktor drei bis vier erhöht ist und damit die großen Erfolge der Tabakprävention, die wir in Deutschland verzeichnen, konterkariert werden.
Es gibt keine so günstige Entwicklung in der Suchtprävention wie beim Tabakrauchen. Nur noch sechs bis sieben Prozent der Jugendlichen steigen in das Tabakrauchen ein. Rauchen gilt mittlerweile als uncool, und die Tabakindustrie versucht nun ganz gezielt, den immer schwächer werdenden Absatzmarkt durch diese Produkte wieder aufzumöbeln.
Ralf Caspary, SWR2: Es geht um ein eigenartiges Bild des gefahrlosen Rauchens richtig?
Professor Rainer Thomasius: Ja, ganz genau. Und es kommt noch hinzu, dass die Warnsignale herkömmlicher Zigaretten, also der bittere Geschmack und der Rauch durch diese süßen Aromen überstrahlt und unterdrückt werden. Und das, was die Tabakzigarette mitbringt und bei Jugendlichen häufig dazu führt, dass nach dem Probieren nicht automatisch weitergeraucht wird, das wird mit der E-Zigarette überstrahlt.
Diese wird E-Zigaretten werden so als "cleane Produkte", als "Lifestyle-Produkte" beworben. Es werden Werte wie Gesundheit, Gemeinschaftserleben und Leistungsfähigkeit propagiert. Und dieser psychologische Effekt, der ist es, der uns so große Sorgen macht.
Ralf Caspary, SWR2: Wieviel Nikotin ist in so einer Zigarette enthalten und macht die deshalb süchtig?
Professor Rainer Thomasius: Es gibt E-Zigaretten, die enthalten überhaupt kein Nikotin. Aber viele enthalten pro Kartusche bis zu 20 Milligramm pro Milliliter. Und das sind sehr hohe Dosierungen, die teilweise sogar die Dosierung von Tabak-Zigaretten übersteigen.
Wir wissen, dass Nikotin ein hochpotentes Suchtmittel ist, das wir über Jahrzehnte unterschätzt haben. Mittlerweile ist ganz klar, die Suchtpotenz des Nikotins liegt in der Größenordnung des Opiats Heroin und gehört damit, zu den potentesten Suchtmitteln, die wir überhaupt kennen.
Ralf Caspary, SWR2: Es gibt eine interessante Zahl: Der Anteil der E-Zigaretten-Raucher unter den 14- bis 17-Jährigen hat sich in einem Jahr fast verdoppelt. Wie erklären Sie sich das? Ist es wirklich so trendy?
Professor Rainer Thomasius: Wenn Sie jetzt die Debra Studie, die über die Corona-Pandemie hinweg analysiert hat, zitieren, dann stellen wir beim Tabakrauchen sogar eine Verdopplung und bei den E-Zigaretten eine Verfünffachung des Gebrauchs fest.
Und da muss man sich wirklich fragen, woran liegt das? Ganz genau wissen wir es nicht. Aber während der Corona Pandemie fiel die schulische Sucht-Prävention und Tabak-Prävention vollständig aus. Ein nicht unerheblicher Teil der Jugendlichen litt während der Pandemie unter einem gesteigerten Belastungserleben, und möglicherweise wollten diese Jugendlichen dann dieses Belastungserleben durch das Rauchen kompensieren.
Und wahrscheinlich hat die Werbung gut durchgeschlagen. Die Werbung für die E-Zigaretten, die doch sehr den Anschein eines trendigen Jugendproduktes schafft, welches an allen möglichen Kiosks und Tankstellen vertrieben wird, wo man vermuten darf, dass die Altersbeschränkung oder die Abgabebeschränkung an die Minderjährigen nicht immer eingehalten werden.
Ralf Caspary, SWR2: Ich mache Sie, Herr Thomasius für 30 Sekunden zum Bundesgesundheitsminister, was würden Sie tun?
Professor Rainer Thomasius: Ich würde genauso handeln wie die Australier. Ich würde die künftige Einfuhr von Vapes verbieten. Und wenn Vapes von den älteren Rauchern genutzt werden sollen, um von der Tabakzigarette auf ein nicht ganz so stark gesundheitsschädigendes Produkt umzusteigen, dann kann man die hochreinen Nikotinprodukte in den Apotheken bekommen, aber dort erhält man sie als Entwöhnungsmittel auch schon heute. Also, ganz abschaffen wäre der beste Weg.