Macht KI unser Gehirn weniger leistungsfähig?
Christoph König, SWR2: Ich habe mir das so gemerkt: Das Gehirn ist im Grunde ein Muskel. Wenn wir das Gehirn anstrengend, dann trainieren wir das Gehirn und machen es leistungsfähiger. Und jetzt kommt die Künstliche Intelligenz (KI). Es gibt Kritiker, die sagen, dass die KI das Lernen übernimmt. Das macht unser Gehirn unterm Strich schwächer. Unterschreiben Sie das so, Herr Korte?
Prof. Martin Korte, TU Braunschweig: Es kommt wie bei jeder Technik, wie bei jedem Medium darauf an, wie wir es nutzen. Wenn wir das Medium passiv nutzen wie bei einem Youtube Video und uns das Wissen nicht selbst aneignen, nicht selbst Notizen machen oder Abbildungen anfertigen, dann kann das passieren.
Unser Gehirn ist sehr schlecht darin, sich etwas langfristig zu merken, wenn wir nur passive Beobachter sind. Wir bewerten mit unserem Gehirn eine Aktivität als höherwertig, wenn sie mit einer Aktion verbunden ist, wenn wir dabei etwas tun, wenn die Aktion sozial eingebunden ist und wenn wir dafür eine konkrete Anwendung sehen.
KIs können helfen, Inhalte kritisch zu hinterfragen
Prof. Martin Korte: Im optimalen Fall kann es auch sein, dass uns das Medium hilft, mehr Wissen zu erwerben, weil es uns einen Teil der Suche abnimmt. Es kann uns helfen, kritischer mit Wissenselementen umzugehen, weil es noch deutlicher wird, als wenn wir aus Büchern und von Menschen etwas lernen. Und es kann uns dabei helfen, dass wir alles Wissen, was andere uns präsentieren, kritisch hinterfragen sollten.
KIs ersetzen das Denken nicht
Prof. Martin Korte: Vor allen Dingen muss man wissen, wie die KI selbst ihr eigenes Wissen generiert: Das sind nämlich Prozesse zur Mustererkennung auf Basis von veröffentlichen Daten. Es sind keine tieferen Erkenntnisse. Eine KI hat kein inneres Verständnis von dem, was es sagt.
Zum Beispiel kann ein Chatbot alle Rennen und Medaillen von Weltrekord-Läufer Usain Bolt aufrufen - mit allen Orten, mit präziser Uhrzeit, wann er das bei welcher Temperatur und welcher Luftfeuchtigkeit gelaufen hat. Jetzt fragen Sie aber die gleiche KI, ob Usain Bolt eigentlich sehr schnell laufen kann. Schon kriegen Sie die Antwort: "Das weiß ich jetzt nicht. Dazu kann ich nichts finden." Da sieht man, wo wir auch aufpassen müssen, wenn wir diese KIs einsetzen.
"Um die Ecke denken" mit KI
Christoph König, SWR2: Das heißt bestimmte Tätigkeiten, die früher wichtig waren, die trainieren wir vielleicht tatsächlich nicht mehr. An die Stelle treten aber neue Fähigkeiten, Fähigkeiten, die das Gehirn dann doch wieder auf Trab halten.
Prof. Martin Korte: Das zum Einen. Und es kommt auch darauf an, wie wir sie einsetzen. Ich kann ja, wenn ich bei einem Projekt nicht weiterkomme, einen Chatbot fragen, was dem dazu einfällt an Wissen, vielleicht auch Umstrukturierungen. Ich kann schauen, ist da eine Idee dabei, die mir selber jetzt nicht gekommen wäre, die aber sinnvoll ist.
Ich darf nur auf keinen Fall das dann so übernehmen, wie mir das angeboten wird, weil es immer auch voller Halluzinationen und Fehler ist und ich dann vor allen Dingen das Wissen nicht selber verinnerliche. Aber es kann einem immer auch in bestimmten Situationen weiterhelfen, um größere Wissenssprünge zu machen.
Kann eine KI wirklich mehr als unser Hirn?
Christoph König, SWR2: Da kommt der Computer vielleicht mit Fähigkeiten um die Ecke, die er besser kann als wir Menschen - zum Beispiel Multitasking. Das menschliche Gehirn kommt damit, wenn ich richtig informiert bin, weniger gut oder gar nicht zurecht, der Computer aber stattdessen schon. Da wäre es dann eine sinnvolle Ergänzung.
Prof. Martin Korte: Nicht wirklich. Parallel Processing können wir besser als jeder Computer. Sie können ja mal in einen Chatbot zwei Fragen parallel eingeben, da kriegen Sie nichts raus. Was der kann, ist natürlich die Geschwindigkeit. Unser Gehirn ist im Kilohertz-Bereich getaktet, ein Computer im Gigahertz-Bereich und damit um einen Faktor Millionen schneller.
Ist das Hirn wie ein Computer oder doch wie ein Muskel?
Christoph König, SWR2: Ich bin noch eingestiegen mit dem alten Bild: Wir trainieren einen Muskel. Sie vergleichen das Gehirn, die Taktfrequenz zum Beispiel, schon mit dem Computer. Wir denken also heute von unserem Gehirn auch ja als eine Art Computer. Stimmt das?
Prof. Martin Korte: Ja und Nein. Ein Teil der Ausdrucksweise dessen, wie wir das Gehirn beschreiben, kommt aus der Computerwelt. Das Arbeitsgedächtnis eines Computers ist das, wo alle Programme schnell hochgeladen werden. Das ist bei uns im Gehirn im Stirnlappen etwas, wo wir Prioritäten setzen hinsichtlich unserer Wahrnehmung, wo wir auch schnell zwischen Tätigkeiten hin und her wechseln können, wo wir uns etwas vornehmen können.
Ich muss allerdings sagen, dass ich auch immer noch bei der Muskelmetapher bin - zumal auch Muskelaktivität, sich selber zu bewegen, ein stimulierenden Reiz auf das Gehirn hat. Als Lernforscher weiß ich, dass da, wo wir etwas lernen, neuronale Strukturen wachsen, sich strukturell verändern, so wie ein Muskel wächst, wenn wir ihn trainieren.
Kinder sollten ChatGPT an Schulen einsetzen dürfen
Christoph König, SWR2: Ob die Lehrkräfte es jetzt wollen oder nicht, Schulkinder nutzen durchaus KI-Programme. Das heißt, wir müssen zwangsläufig überlegen, wie wir das schulische Lernen sinnvoll verändern. Was ist da nach ihrer Ansicht nach besonders wichtig?
Prof. Martin Korte: Ich glaube, am wichtigsten ist, den Stier bei den Hörnern zu packen und ChatGPT in die Schule lassen - ChatGPT in den Unterricht einzubauen, dort Fragen zu stellen, die Schüler und Schülerinnen zu bitten, dort etwas zu recherchieren. Sie sollten dann aber auch unabhängig davon eigene Recherchen anstellen, um mit Quellenangaben herauszufinden, was davon denn vielleicht stimmt oder nicht stimmt. Damit könnte man zeigen: Wo kann ich ChatGPT einsetzen? Wo macht es Sinn? Wo ist es auch erlaubt? Und wo verbiete ich das ausdrücklich?
Es zeigt auch, dass man hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung viel stärker auf das eigene mündliche Wort und auf das zurückgreifen muss, was im Unterricht erarbeitet wird und nicht nur das, was zu Hause gemacht wird. Viele Schulen sind ja auch schon dazu übergegangen, im Ganztagsunterricht eine Art Werkstätten einzurichten und nicht mehr die klassischen Hausaufgaben zu machen. Das hat dann den Vorteil, dass mit Anwesenheit einer Lehrkraft eigene, selbständige Aufgaben erarbeitet werden. Und hier hat man dann ein bisschen bessere Kontrolle darüber, was und wie die Schüler nachschauen.