Das traditionelle chinesische Medikament Tongxinluo besteht aus insgesamt sieben pflanzlichen und fünf tierischen Komponenten. Blutegel, Skorpione, Zikaden und Kakerlaken, Wurzeln von Ginseng und Pfingstrosen sind einige der Bestandteile des Medikaments.
Die einzelnen Komponenten werden dafür getrocknet und zu Pulver verarbeitet, anschließend kann man es in Tablettenform zu sich nehmen. Das Mittel ist in China für die Behandlung von verengten Herzkranzgefäßen und Schlaganfällen zugelassen. Bislang wurde die Wirkung des Medikaments bei diesen Erkrankungen noch nicht stichhaltig nachgewiesen.
Ein chinesisches Forschungsteam hat nun eine Studie in der Fachzeitschrift JAMA veröffentlicht, die darauf hinweist, dass das Medikament bei Herzinfarktpatienten tatsächlich wirken könnte.
Tongxinluo zeigt Wirkung in der Nachbehandlung von Herzinfarkten
An der Untersuchung nahmen rund 3.800 chinesische Herzinfarkt-Patientinnen und -Patienten teil. Die eine Hälfte erhielt das chinesische Medikament, die andere eine Placebo-Tablette. Diese roch und schmeckte genauso wie Tongxinluo, enthielt jedoch keine potenziellen Wirkstoffe.
Die Qualität der Studie überzeugt Fachleute: „Sie erfüllt weitestgehend Maßstäbe, die wir an große Studien anlegen“, sagt zum Beispiel Prof. Thomas Voigtländer, Kardiologe und Vorsitzender der Deutschen Herzstiftung.
Symptome erkennen Herzinfarkt bei Frauen
Frauenherzen schlagen anders - und sie unterscheiden sich von den Männerherzen auch bei den Symptomen, die vor einem Herzinfarkt eintreten können.
Seltener Komplikationen bei Tongxinluo-Einnahme
Die Ergebnisse wirken vielversprechend: Alle Probanden und Probandinnen erhielten eine normale Behandlung nach einem Herzinfarkt. Bei Menschen der Gruppe, die zusätzlich die Tongxinluo-Tabletten einnahmen, kam es nach dem ersten Infarkt in den folgenden 30 Tagen seltener zu schweren Komplikationen oder weiteren Herzinfarkten als in der Vergleichsgruppe.
In den Wochen nach ihrem Infarkt verstarben 56 Patienten, die das Medikament erhielten, an Herzversagen. In der Vergleichsgruppe waren es 80 Personen. Das ist ein statistisch signifikanter Unterschied. Ein ähnliches Bild ergab sich ein Jahr später: Tongxinluo schien einen Vorteil in der Behandlung von Herzinfarktpatienten zu bringen.
Daten auf europäische Bevölkerung kaum übertragbar
Der Kardiologe Thomas Voigtländer dämpft allerdings die Euphorie: Die Ergebnisse lassen sich seiner Einschätzung nach nicht einfach auf eine europäische Bevölkerung übertragen. Denn die Studie wurde ausschließlich an chinesischen Kliniken durchgeführt. „Bei so großen Studien versucht man häufig, Patienten von allen Kontinenten einzuschließen“, so Voigtländer. Außerdem hätten an der Studie nur Menschen mit einem geringen Risiko für Komplikationen teilgenommen.
Hinzu kommt, dass im Rahmen der Studie nicht alle nach ihrem Herzinfarkt so umfangreich behandelt wurden, wie es zum Beispiel in Deutschland der Standard ist. Voigtländer: „Das wäre aber wichtig, damit man vergleichen kann: Was sind die Ergebnisse einer optimalen Therapie und was bringt die Tongxinluo-Therapie zusätzlich für Patienten hier?“
Die größte Schwierigkeit sieht der Experte jedoch in der Zusammensetzung des Medikaments: „Ich glaube, es wäre schwierig, zu versuchen dieses Ergebnis mit einer Studie in Deutschland oder in Europa noch einmal nachzugestalten.“ Denn: Wahrscheinlich würde es Probleme mit der Ethikkommission geben.
Besonders schwierig wird es dann, wenn die einzelnen Substanzen in der westlichen Medizin normalerweise nicht eingesetzt werden.
Nobelpreis für Wirkstoff "Artemisinin" aus TCM-Medikament
Wie genau Tongxinluo wirkt, ist bislang nicht bekannt. Möglicherweise ist es ein bestimmter Stoff, der die positive Wirkung bei Herzpatienten erzielt – vielleicht auch eine Kombination aus mehreren Komponenten.
Dass es sich lohnen kann, Mittel der Traditionell Chinesischen Medizin genauer zu untersuchen, zeigt das Beispiel Artemisinin. Die chinesische Forscherin Tu Youyou erhielt für die Entdeckung des Wirkstoffs 2015 den Nobelpreis für Medizin. Das in der traditionellen Arzneipflanze "Einjähriger Beifuß" enthaltene Artemisinin wirkt gegen Malaria.
Youyou erkannte, dass sich die Pflanze an sich nicht als breit eingesetztes Medikament eignete – ihre Effekte schwankten, mal wirkte sie stärker, mal schwächer. Die Forscherin fand jedoch heraus, welche im Einjährigen Beifuß enthaltene Komponente gegen Malaria wirkt. Und einige Zeit und eine Menge Forschungsarbeit später, wurde das so entdeckte Artemisinin weltweit erfolgreich gegen Malaria eingesetzt.
Das chinesische Medikament Tongxinluo ist von so einer steilen Karriere noch weit entfernt. Für den Kardiologen Thomas Voigtländer ist die aktuelle Studie aber ein spannender erster Schritt: „Dieses Ergebnis kann und sollte man nicht ignorieren.“ Die westliche Fachwelt würde nun aufmerksamer auf das Mittel schauen.