Biodiversitätskrise

Tasmanischer Tiger: Mit Gentechnik ausgestorbene Arten wiederbeleben?

Stand
Interview
Anne Hanschke (Artenschutz-Expertin der Umweltschutzorganisation WWF Deutschland)
Onlinefassung
Elisabeth Theodoropoulos

Können und sollten ausgestorbene Tiere mithilfe von Gentechnik wieder zum Leben erweckt werden? Diese Frage wird derzeit am Beispiel des Tasmanischen Tigers diskutiert, der auch Beutelwolf genannt wird und seit fast 100 Jahren ausgestorben ist.

SWR2 Impuls Redakteur Martin Gramlich sprach mit Anne Hanschke, Artenschutzexpertin beim WWF.

Martin Gramlich: 1936 ist der letzte Tasmanische Tiger gestorben in einem Zoo in Australien. Jetzt gibt es Pläne, diese Tierart sozusagen "wiederzubeleben". Manche halten dies für überhaupt nicht durchführbar, wie der Evolutionsbiologie Jeremy Austin, der solche Überlegungen als eine Art „Märchen-Wissenschaft“ bezeichnet hat. Andere glauben, dass auf diese Weise ein wichtiger Beitrag für den Artenschutz geleistet werden kann. Der Genetiker Andrew Pask führt als Argument für den Versuch an, dass die Menschen die Möglichkeit bekommen, das Unrecht der Ausrottung ungeschehen zu machen.

Wie kann das funktionieren, eine Tierart, die 1936 ausgestorben ist, wieder zum Leben zu erwecken?

Anne Hanschke: Die Wiederauferstehung des Tasmanischen Tigers könnte theoretisch in ein paar Jahren oder ein paar Jahrzehnten mit Hilfe von Gentechnik möglich sein. Es gibt in Alkohol konservierte Exemplare und aus deren Zellen konnte vor ein paar Jahren das Erbgut des Tasmanischen Tigers entziffert werden.

Und aktuell haben Forscher das Beuteltier gesucht, das genetisch am nächsten am Tasmanischen Tiger, welcher auch Beutelwolf genannt wird, dran ist. Am nächsten verwandt ist erstaunlicherweise die Dickschwänzige Schmalfußbeutelmaus. Das ist ebenfalls ein Beuteltier, das in Australien vorkommt.

Und der Plan der australischen Forschergruppe ist es jetzt, die genetischen Informationen dieser Schmalfußbeutelmaus so umzuschreiben und umzukodieren, bis sie ein vollständiges Erbgut eines Beutelwolfs erhalten. Wenn man dann erst mal eine lebende Zelle mit Beutelwolf-DNA hat, dann kann man in weiteren Schritten daraus ein Beutelwolf-Embryo züchten, der dann am Ende auch ausgetragen und geboren werden könnte.

Dickschwänzige Schmalfußbeutelmaus
Die Dickschwänzige Schmalfußbeutelmaus ist das am nächsten verwandte Beuteltier des ausgestorbenen Tasmanischen Tigers.

Soll das Hilfstier, die Dickschwänzige Schmalfußbeutelmaus, die doch auch ein bisschen kleiner ist als der Tasmanische Tiger es war, auch als eine Art Leihmutter fungieren?

Anne Hanschke: Der Größenunterschied bei den ausgewachsenen Tieren ist natürlich enorm. Beutelwölfe wurden so etwa einen Meter lang, 60 Zentimeter groß, und wirklich bis zu 30 Kilo schwer. Und diese Beutelmäuse werden etwa zehn Zentimeter groß und wiegen nur zwischen zehn und 20 Gramm, das ist ein Riesenunterschied.

Aber man muss natürlich bedenken: Beuteltiere gebären ihre Jungtiere ja extrem früh und damit sehr, sehr klein. Bei einem anderen großen Raubbeutler, der auf Tasmanien vorkommt, dem Tasmanischen Teufel, werden die Jungtiere etwa sechs Millimeter groß geboren. Das ist so groß wie ein Reiskorn. Sie entwickeln sich dann erst im Beutel der Mutter weiter.

Von daher würde es funktionieren, dass man diese winzigen Jungtiere bis zur Geburt in der Schmalfußbeutelmaus austragen lassen könnte und dann, theoretisch, den geschaffenen Beutelwolf im Labor weiter aufzieht.

In Alkohol konserviert liegender Embryo eines tasmanischen Tigers.
Beuteltiere gebären ihre Jungtiere extrem früh. Sie entwickeln sich dann im Beutel der Mutter weiter.

Wie sehen Sie das als Artenschutz-Expertin? Sollen wir uns sozusagen wünschen, dass dieses Märchen von der Auferstehung des Tasmanischen Tigers, wahr wird? Oder was spricht dagegen?

Anne Hanschke: Also auf der einen Seite ist es auf jeden Fall ein sehr spannendes Projekt und die Methoden, die dabei entwickelt werden, die können natürlich auch anderen bedrohten Arten zugutekommen. Und für mich persönlich, wäre es irgendwie auch schön, wenn man die Zeit sozusagen zurückdrehen könnte und der Beutelwolf wieder durch seinen früheren Lebensraum streifen könnte. Weil immerhin sind wir Menschen für seine Ausrottung verantwortlich. Ein Großteil der Arten wird direkt oder indirekt durch unsere Lebensweise bedroht. Daher stehen wir in der Verantwortung, das Artensterben aufzuhalten.

Aber auf der anderen Seite, neben den positiven Aspekten, ist es doch einfach sehr fraglich, ob auf so eine Weise wirklich ein Beutelwolf erschaffen werden kann, der den früheren Beutelwölfen entspricht. Vielleicht kann man da schon einen Beutelwolf erschaffen, der genetisch ein solcher ist. Aber ob der dann wirklich die gleichen Verhaltensweisen an den Tag legt, die gleiche ökologische Nische besetzt wie früher, das ist doch sehr unsicher.

Zeichnung von zwei tasmanischen Tigern, welche auch Beutelwolf genannt werden und seit fast 100 Jahren ausgestorben sind.
Selbst wenn es gelingt, mit unserer heutigen Gentechnik einen Beutelwolf zu erschaffen, ist die Frage, ob er die gleichen Verhaltensweisen aufweisen würde und dieselbe ökologische Nische besetzen würde wie früher.

Meine Sorge als Artenschützerin bei so einem Projekt ist vor allen Dingen auch, dass es ein bisschen die Gefahr birgt, dass wir jetzt nicht die notwendigen Schritte zur Erhaltung von bedrohten Arten gehen, weil man sie ja notfalls später einfach wiedererschaffen kann, wenn sie dann doch ausgestorben sind.

Es ist einfach so: Wir Menschen verursachen gerade ein riesiges Artensterben, und solche Projekte stellen für uns vom WWF leider nicht den Ausweg aus der Biodiversitätskrise dar. Wir sollten nicht versuchen, die Symptome zu kurieren, sondern wir müssen uns dafür einsetzen, die Ursachen des Artensterbens zu beheben. Also: die Zerstörung der Lebensräume, die Übernutzung, die Klimakrise und die Umweltverschmutzung. Solche gentechnischen Forschungen sind einfach sehr teuer. Und die Mittel könnten auch im direkten Naturschutz eingesetzt werden.

Was wären da sinnvollere Forschungsprojekte für erfolgreichen Artenschutz als jetzt der Versuch, ein ausgestorbenes Tier wieder zum Leben zu erwecken?

Anne Hanschke: Es gibt extrem viel, was wir auch heute noch nicht über die verschiedensten Arten wissen. Ich meine wir wissen noch nicht einmal, wie viele Arten es überhaupt auf unserer Erde gibt. Wir brauchen unbedingt Forschungen zu unserer biologischen Vielfalt: Was für Arten gibt es? Wo kommen diese vor? Wie viele Individuen gibt es noch von den Arten? Was bedroht sie? Das nennt man auch Biomonitoring. Da brauchen wir einfach sehr verlässliche und auch vergleichbare Daten.

Und da gibt es auch ganz interessante genetische Methoden, wie zum Beispiel DNA-Spuren aus Wasserstellen oder aus Bodenabdrücken zu extrahieren, wenn man in der naturwissenschaftlichen Richtung bleibt.

Man kann aber auch in die sozialwissenschaftliche Richtung denken und zum Beispiel zu Verhaltensänderungen und zu Transformationsprozessen forschen. Denn nur wenn wir unsere Art des Konsumierens und des Wirtschaftens ändern, werden wir die Bedrohungsfaktoren wie die Zerstörung von Lebensräumen oder die Übernutzung der Natur in den Griff bekommen. Auch das ist ein interessanter Forschungsaspekt, der sich am Ende auch wieder auf Artenschutz auswirkt.

Bei diesen gentechnischen Forschungsprojekten wie jetzt beim Tasmanischen Tiger kann die Entwicklung solcher Methoden, trotz aller Unsicherheiten, die damit einhergehen, auch anderen bedrohten Arten zugutekommen, indem es Ansatzpunkte bieten kann. Es gibt auch Projekte zur assistierten Reproduktion, also zum Beispiel künstliche Befruchtung und Embryonentransfer. Und dafür muss eine Art oder darf eine Art ja noch gar nicht gestorben sein. Wir sollten es einfach gar nicht so weit kommen lassen.

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