Bäume nehmen das Treibhausgas Kohlendioxid auf und geben den für Lebewesen überlebenswichtigen Sauerstoff wieder ab. Bäume sind aber natürlich auch Holzlieferant. Bis ein Baum gefällt wird, vergehen in der Regel einige Jahrzehnte. Er muss erstmal wachsen, in die Höhe, aber auch an Stammumfang zulegen. Das nennen Botanikerinnen und Botaniker "sekundäres Dickenwachstum". Aber zu welcher Tages- oder Nachtzeit wachsen Bäume eigentlich? Bislang hat man gedacht: gleichmäßig über den Tag verteilt.
Eine Langzeitstudie Schweizer Wissenschaftler*innen von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in Birmensdorf, ist jetzt zu einem ziemlich überraschenden Ergebnis gekommen: Bäume wachsen vor allem nachts, sagt der Hauptautor der Studie, Dr. Roman Zweifel.
Die Botaniker*innen beginnen bereits 2011 mit den Messungen
Die Studie begann bereits 2011. Das Forschungsteam untersuchte die sieben häufigsten Baumarten der Schweiz: Dazu gehören Buche, Fichte, Tanne, Esche und verschiedene Eichenarten.
Technisch haben Roman Zweifel und sein Team ein Messgerät eingesetzt – ein so genanntes Punkt-Dendrometer. An drei Gewindestangen ist eine Karbonplatte montiert, und auf dieser Karbonplatte sitzt ein elektronisches Modul, mit einem beweglichen Messstift, der ganz leicht durch eine leichte Federkraft auf die Stammoberfläche gepresst wird. Der Messstift könne laut Roman Zweifel in Mikrometer-Auflösung schrumpfen oder eben auch das zunehmende Wachsen des Baumstammes messen.
Das Ganze gehe nur in diesem Ausmaß, wenn die Messungen automatisiert passierten, erklärt Zweifel. Alle 10 Minuten hätten diese 170 Bäume, die sie in dieser Studie berücksichtigt hatten, einen Datenpunkt gesendet. Und der sei, so Roman Zweifel, direkt vom Messgerät über einen kleinen Datalogger und das Mobilfunknetz in eine zentrale Datenbank geschickt worden.
Warum Bäume vor allem nachts wachsen
Roman Zweifel geht davon aus, dass Bäume nachts wachsen, weil es in der Nacht keine Transpiration gibt. Transpiration beim Baum heißt: Wasser verdunstet über die Blätter. Das passiert vor allem tagsüber bei Sonne, wenn die Luft warm und trocken ist. Das Wasser, das über die Transpiration verloren gehe, könne nicht zeitgleich über die Wurzeln ersetzt werden. Dadurch entstehe im ganzen Baum ein Unterdruck – auch im Stamm.
Alle elastischen Gewebe in einem Baum zögen sich deshalb tagsüber zusammen. Dieser Unterdruck verhindere, dass die Zellen des Baums sich ausdehnen und teilen. Und da es nachts keine Transpiration gibt und sich die Zellen dann teilen können, wachsen die Bäume vor allem nachts.
Wie viel ein Baum tatsächlich wächst
Roman Zweifel und sein Team haben herausgefunden, dass ein Baum ein paar Zehntel Millimeter in einer guten Nacht am Radius zunimmt. Je nach Baumart bedeute das im Stundenmittel etwa ein bis fünf Mikrometer pro Stunde.
Ergebnisse der Studie können auf alle europäischen Baumarten übertragen werden
Roman Zweifel geht davon aus, dass die Ergebnisse auf alle europäischen Baumarten – oder sogar auf die nördlichen Halbkugel – übertragbar seien. Wo es vielleicht ein bisschen anders aussehe, sei in tropischen Gebieten, weil dort eben auch tagsüber die Luftfeuchtigkeit sehr hoch sei. "Und dementsprechend könnte man sich vorstellen, dass das Wachstum auch ein anderes Muster zeigt, weil eben diese Tag-Nacht-Unterschiede in der Luftfeuchte nicht mehr so groß sind", erklärt Zweifel.
Klima- und Vegetationsmodelle profitieren von den Resultaten
Die Resultate der Forschenden könnten die heutigen Klima- und Vegetationsmodelle verbessern. Man müsse berücksichtigen, dass die klimatischen Bedingungen für die Kohlenstoff-Fixierung, also die Photosynthese, tagsüber stattfinden – die Bedingungen am Tag seien also auch wichtig. Wenn es aber darum ginge, zu beurteilen, wie viel ein Baum wachse, seien die Bedingungen laut Roman Zweifel noch wichtiger. Vorher habe man ein Wachstum von Bäumen mit Jahren, in einer jährlichen Auflösung untersucht –