Mikrobiologie

„Zombie-Viren“ aus dem ewigen Eis – Eine Gefahr für den Menschen?

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Autor/in
Leila Boucheligua
Nina Kunze
Nina Kunze ist Reporterin und Redakteurin bei SWR Wissen aktuell
Lena Schmidt

Forschenden gelang es, jahrtausendealte Viren aus dem Permafrost zu reaktivieren. Seitdem geistert der Begriff „Zombie-Viren“ durch die Medien. Was hat es damit auf sich?

Ein internationales Forschungsteam konnte Viren, die tausende Jahre lang im Permafrost konserviert waren, im Labor reaktivieren. Ihre Untersuchungsergebnisse zu den sogenannten „Zombie-Viren“ veröffentlichten sie in einer Preprint-Studie

Das Team um Jean-Marie Alempic von der Universität Marseille hatte bereits 2014 und 2015 zwei funktionsfähige Riesenviren im Permafrost entdeckt. Nun veröffentlichten die Forschenden ihren Forschungsstand zu 13 weiteren, bislang unbekannten Viren aus dem Eis. Eines der Viren könnte sogar seit 50.000 Jahren im Eis schlummern.

Tausend Jahre altes organisches Material konserviert

Doch wie kann es sein, dass Viren, die so lange inaktiv waren, mehrere tausend Jahre später wieder aktiv werden?

Permafrost ist quasi eine natürliche Kühltruhe. Unter solchen Bedingungen ist der Erhaltungsgrad von organischem Material sehr groß.

Die Überreste von Pflanzen und Tieren werden im Eis konserviert. Bakterien, die organisches Material zersetzen, werden erst aktiv, wenn der Permafrost taut.

In einigen Regionen könne man sogar noch Überreste von Mammuts finden: Nicht nur Knochen, sondern auch konservierte Haare, Fleisch und Blut, erläutert Guido Grosse, Leiter der Sektion Permafrostforschung am Alfred-Wegener-Institut. Er war daran beteiligt, vor einigen Jahren die Bodenproben aus Sibirien zu gewinnen, die nun von den Forschenden in Marseille untersucht wurden.

In Zusammenarbeit mit Forscherinnen und Forschern aus Russland wurden mit einem Bohrgerät Proben aus dem Permafrost gezogen. Damals wollten die Permafrostforschenden den Kohlenstoffgehalt bestimmen. „Wir haben aber auch Proben für die mikrobielle Untersuchung bereitgestellt“, erzählt Grosse.

Klimawandel beschleunigt Permafrost-Tauen

Durch den Klimawandel schmilzt sogar das ‚ewige‘ Eis, die Permafrostböden verwandeln sich in Sümpfe. Dass die Böden tauen, ist ein normaler Prozess. Einige bestehen schon seit der letzten Eiszeit und aktuell sei eine Warmzeit, erklärt Grosse. Durch den menschengemachten Klimawandel wird dieser Prozess allerdings deutlich beschleunigt.

Wenn der Permafrost auftaut, sinkt der Boden ab, weil das Eis zu Wasser wird. Die Landschaft verändert sich massiv und Kohlenstoff wird freigesetzt.

Wenn der Klimawandel weiterhin so rasant voranschreitet und die Erderwärmung nicht auf ein Minimum begrenzt wird, könnte ein Großteil der Permafrostböden noch in diesem Jahrhundert verschwinden, prognostiziert der Experte.

Und nicht nur klimaschädigende Treibhausgase werden dabei freigesetzt: Auch Tierkadaver und Pflanzenreste, die über Jahrtausende im Permafrost eingeschlossen waren, tauen auf. Und mit ihnen womöglich auch Krankheitserreger, mit denen sie beim Einfrieren infiziert waren. 

Das Bild zeigt einen schmelzenden Gletscher in Grönland.
Durch den Klimawandel tauen das Eis an den Polkappen, Permafrostböden und Gletscher. Neben dem Anstieg des Meeresspiegels birgt das weitere Risiken.

Unter Laborbedingungen: Schlummernde Permafrost-Viren aufgeweckt

Die Forschenden aus Marseille konnten zeigen, dass diese Viren unter Laborbedingungen wieder vermehren konnten. Sie haben die Viren mit der Amöben-Gattung Acanthamoeba castellanii geködert. Das Ergebnis: Alle 13 Viren wurden virulent und befielen die Amöben.

Dass Viren, die eingefroren waren, nach dem Auftauen wieder aktiv werden, ist nichts Neues. Es sei die gängige Methode, Viren für die Forschung bei Minusgraden zu lagern, beschreibt Albert Osterhaus, Direktor des Research Center for Emerging Infections and Zoonoses an der Tierärztlichen Hochschule Hannover.  

Wie lange die Viren infektiös blieben, sobald sie den Bedingungen in der Natur ausgesetzt sind, ist jedoch unklar.

Das Foto zeigt eine Forscherin, die Permafrostboden untersucht.
Eine Forscherin des Melnikow-Permafrost-Instituts in Jakutsk, Russland, untersucht Permafrostboden.

Auch bakterielle Erreger werden freigesetzt  

Nicht nur Viren, sondern auch bakterielle Erreger werden freigesetzt. In der Preprint-Studie heißt es, dass bis zu 120.000 Jahre alte pathogene Mikroorganismen mit auftauen könnten. Und einige davon sind keine Unbekannten: Verwandte von Erregern wie Bacillus anthracis, der Milzbranderreger, oder auch Streptokokken könnten auftauen.

Das Foto zeigt ein Rentier im Schnee.
Große Rentier-Sterben in der jüngeren Vergangenheit sind vermutlich auf Bacillus anthracis-Sporen zurückzuführen. Durch das Permafrosttauen infolge von überdurchschnittlich heißen Sommern wurden die Sporen freigesetzt und haben zu Milzbrand-Epidemien unter den Tieren geführt. 

Besteht auch eine Gefahr für den Menschen? Das beruhigende Fazit der Forschenden: Mittels der heutigen Antibiotika könne man den bakteriellen Erregern gut Einhalt gebieten. Anders verhält es sich jedoch bei Viren. Die Corona-Pandemie hat zeigt: Für jedes neue Virus müssen sehr spezifische Behandlungen und Impfstoffe entwickelt werden, die nicht sofort verfügbar wären.

Viren aus dem Permafrost – Die Gefahr ist unklar

Es wäre aber durchaus denkbar, dass Viren auftauen, die den Menschen befallen können, erklärt Permafrostforscher Grosse. Man könne noch nicht sagen, was alles im Permafrost lauere. Die Forschenden aus Marseille warnen: Die Studienlage sei noch dünn und die Risiken, die vom Tauen des Permafrosts ausgehen, müssen weiter erforscht werden.

Im Falle der Preprint-Studie haben die 13 neu identifizierten Viren lediglich Amöben befallen – und das unter optimalen Laborbedingungen. Sie gehören zu fünf vorgeschlagenen Viren-Gattungen, die noch nicht vom International Committee on Taxonomy of Viruses offiziell aufgenommen wurden: Cedratviren, Pithoviren, Pacmanviren, Megaviren und Pandoraviren. Hier steht also noch viel Forschung bevor.

„Die Chance, dass solche Viren zu wirklich großen Problemen führen, ist klein, aber niemals 100 Prozent abwesend“

Osterhaus schätzt die Gefahr von Viren, die in jahrtausendealten, eingefrorenen Tier-Kadavern konserviert sind, als gering ein. Bei jüngeren, menschlichen Leichen aus dem Gletschereis ist allerdings Vorsicht geboten. Für Forschende, die zum Beispiel auf ein Grab im Eis stoßen, ist eine Schutzmaske Pflicht. Ansonsten könnte beispielsweise ein alter Influenzastrang ausbrechen, für den unser Immunsystem nicht gewappnet ist, warnt der Virologe.

Das Risiko, dass man sich in einem schmelzenden Gletscher mit einem alten Virus infiziert, ist sehr, sehr klein, aber nicht abwesend.

Wildtiere größeres Risiko

Regionen wie die Arktis werden vermehrt besiedelt und zum Rohstoffabbau genutzt, während das Eis zunehmend taut. Menschen kommen dem Permafrost und allem, was mit ihm auftaut, also näher. Das Risiko, dass Menschen mit den Krankheitserregern in Kontakt kommen, ist damit gestiegen. Ob diese aber für Menschen überhaupt gefährlich sind und wie viele verschiedene Viren und Bakterien im Eis schlummern, ist unklar.

Als deutlich größere Gefahr erachtet Virologe Osterhaus Viren in Wildtieren. Man habe das anhand der Corona-Pandemie erlebt. Fachleute gehen davon aus, dass das Virus von Fledermäusen auf den Menschen übergesprungen ist. 

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Doc Fischer SWR Fernsehen

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