Der Placebo-Effekt dürfte vielen bekannt sein: Wir nehmen ein Medikament, das eigentlich keines ist und trotzdem geht es uns besser. Immer häufiger hören wir aber auch vom Nocebo-Effekt. Er tritt auf, wenn wir ein Medikament nehmen, das keines ist und dennoch Nebenwirkungen erleben. Auch bei tatsächlichen Medikamenten oder Impfungen kann der Nocebo-Effekt auftreten, sodass etwa durch die Erwartung von Nebenwirkungen ihr tatsächliches Auftreten begünstigt wird.
‚Ich werde schaden‘ – das bedeutet Nocebo auf Deutsch
Entgegen vielen Meinungen sind weder Nocebo noch Placebo eingebildet, sondern echte, physiologisch messbare Effekte. Dass unser Kopf Einfluss auf unsere Gesundheit haben kann zeigen psychosomatische Erkrankungen, die sehr ausgeprägt sein können und teils schwere chronische Schmerzen bedeuten.
Den Nocebo-Effekt zeigt auch der Fallbericht eines depressiven Studenten aus dem Jahr 2007. Nach einem Streit mit seiner Freundin, wollte der damals 26-Jährige sich das Leben nehmen und nahm 29 Tabletten, die er über eine Medikamentenstudie erhalten hatte, an der er teilnahm. Sein Blutdruck sackte ab, sein Puls stieg, er wurde ins Krankenhaus eingeliefert.
Über vier Stunden lang hielt dieser Zustand an, bis der Studienleiter mitteilte, dass der Mann in der Placebo-Gruppe der Studie war. In den 29 Tabletten, die er schluckte, war kein Wirkstoff enthalten. Als er davon erfuhr, stabilisierte sich sein Zustand innerhalb von 15 Minuten.
Nocebo-Effekt im klinischen Alltag
Das ist ein extremes Beispiel, aber es zeigt die Macht der Gedanken – in diesem Fall der negativen. Der Nocebo-Effekt ist nicht so gut verstanden wie sein guter Zwilling, der Placebo-Effekt, dabei taucht er ständig im klinischen Alltag auf. Das weiß auch Magnus Heier, Arzt und Wissenschaftsjournalist, der während der Pandemie häufig in Kirchen geimpft hat. Im Podcast ‚Synapsen‘ von NDR Info berichtet er:
Studien bestätigen Zusammenhang von Erwartung und Impfreaktion
Eine Studie der Uniklinik Hamburg Eppendorf bestätigt Heiers Erfahrungen. Demnach stieg die Wahrscheinlichkeit einer oder mehrerer Impfreaktionen der Geimpften mit ihren negativen Erwartungen. Recht schwer ausgeprägte Formen solcher Impfreaktionen waren bei denjenigen mit negativen Erwartungen mehr als 4-mal häufiger als bei denjenigen mit positiven Erwartungen.
Ebenfalls im Podcast ‚Synapsen‘ beschreibt Julia Haas, Psychologin von der Universität Landau, wie sie gemeinsam mit weiteren Forschenden in einer Studie untersuchte, wie häufig der Nocebo-Effekt während den Zulassungsstudien der Corona-Impfstoffe vorkam. Dazu verglichen sie, wie häufig über Nebenwirkungen in der Impfstoff- und in der Placebo-Gruppe berichtet wurde.
Negative Erwartungen, Lerneffekte und falsche Zuordnungen
Entstehen kann so eine Nocebo-Reaktion bereits durch eine negative Erwartung: Eine Person glaube nicht, dass die Impfung wirkt, ist überzeugt davon, dass sie Nebenwirkungen haben wird oder hat sogar regelrecht Angst vor der Impfung. Auch Lerneffekte, wie bei früheren Impfungen erlebte Impfreaktionen, spielen eine Rolle.
Ebenso kann eine falsche Zuordnung stattfinden, sodass beispielsweise zufällig nach der Impfung auftretende Kopfschmerzen auf die Impfung zurück geführt werden, auch wenn sie damit nichts zu tun haben. Normalerweise würden die Kopfschmerzen womöglich nicht bedeutend auffallen, aber wenn ein Zusammenhang mit der Impfung hergestellt wird, steigert man sich in eine negative Erwartungshaltung und die Schmerzen werden schlimmer.
Informationen im Beipackzettel können den Nocebo-Effekt auslösen
Magnus Heier macht unter anderem die Berichterstattung über die Corona-Impfstoffe und deren Nebenwirkungen zumindest zum Teil für den Nocebo-Effekt verantwortlich. Aber auch ohne die mediale Berichterstattung gibt es einen Nocebo-Effekt, der zum Beispiel durch eigene Internetrecherche von Symptomen oder Informationen im Beipackzettel ausgelöst wird.
Doch kann man den Nocebo-Effekt vermeiden? Vertrauen zu einer Impfung kann nicht aus dem Nichts generiert und Ängste nicht einfach weggeweht werden. Trotzdem ist es vor allem Aufklärungsarbeit, die Ärztinnen und Ärzte betreiben müssen. Dabei sollten sie den Fokus auf die positiven Effekte des Medikaments oder der Impfung legen und die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen ins Verhältnis dazu setzen, wie wahrscheinlich es ist, dass keine Nebenwirkungen auftreten – oder wenn sie auftreten, dass es sich um einen eher harmlosen Nocebo-Effekt handeln könnte.
Aber natürlich müssen Ärztinnen und Ärzte auch die Sorgen und Ängste ihrer Patienten ernst nehmen. Der Nocebo-Effekt ist keine Einbildung, die Folgen können genauso unangenehm, schmerzhaft oder zum Teil sogar gefährlich sein, wie durch Wirkstoff ausgelöste Nebenwirkungen.