Corona-Impfstoffe

Neue Theorien zu Blutgerinnseln nach Vektorimpfung

Stand
Autor/in
Ulrike Till
Onlinefassung
Julia Otto

In sehr seltenen Fällen können die Corona-Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson Blutgerinnsel auslösen. Auch die Zahl der Blutplättchen ist dann auffällig niedrig. Warum aber kommt es zu diesen Nebenwirkungen?

Ein Forscherteam der Uni Ulm hat in drei Chargen des AstraZeneca-Impfstoffs Verunreinigungen gefunden – diese Entdeckung hat vergangene Woche für Schlagzeilen gesorgt. Dass es diese Verunreinigungen gibt, ist in der Fachwelt unbestritten. Aber was sie im konkreten Fall bedeuten, da gehen die Meinungen weit auseinander.

Hitzeschock-Proteine im Vektorimpfstoff

Menschliche und virale Proteine haben die Wissenschaftler im Vektorimpfstoff entdeckt, insgesamt waren es mehr als 1000 unterschiedliche Eiweißstoffe. Die große Mehrzahl dürfte keine Folgen haben für Geimpfte.

Vekortimpfstoff
Menschliche und virale Proteine haben die Wissenschaftler im Vektorimpfstoff entdeckt – mehr als 1000 unterschiedliche Eiweißstoffe.

Allerdings fanden sich in den untersuchten Chargen auch sogenannte Hitzeschock-Proteine – und die könnten in Einzelfällen durchaus bedenkliche Folgen haben. Sie dienen nämlich dazu, Immunantworten des Körpers zu regulieren. Sie können bestehende Entzündungsreaktionen verstärken. Ob dieser Mechanismus bei seltenen Thrombosen nach AstraZeneca-Impfung eine Rolle spielt, ist im Moment aber noch völlig offen.

Gleich zwei renommierte Experten sehen derzeit keinen Grund zur Sorge: Prof. Stephan Becker, Leiter des Instituts für Virologie in Marburg sagt, dass solche Studien nur verunsichern. Hitzeschock-Proteine fänden sich in allen Körperzellen. Es sei auch nicht verwunderlich, dass sie im Impfstoff noch vorkommen. Ähnlich äußert sich Prof. Leif-Erik Sander, Immunologe an der Charité. Er geht davon aus, dass es vor allem die Impfviren selbst sind, die starke Immunreaktionen auslösen.

Zelle
Hitzeschock-Proteine befinden sich in allen Körperzellen und helfen anderen Proteinen bei der richtigen Faltung.

Unterstützung bekommen die Ulmer Forscher dagegen von Prof. Andreas Greinacher vom Uniklinikum Greifswald: Greinacher hatte Thrombosen nach Vektorimpfung schon vor Wochen mit Autoimmunreaktionen einiger Geimpfter erklärt. Er vermutet nun, dass die Proteine im Impfstoff ein Faktor sein könnten, der den Angriff des Körpers gegen eigene Zellen fördert. Aber eben nur ein Faktor von mehreren. Entscheidend sei immer die Menge der Proteine – deshalb hatte das Ulmer Forscherteam auch vorgeschlagen, den Impfstoff mit weiteren Verfahren noch besser zu reinigen.

Vektorimpfstoffe gelangen in den Zellkern

Neben der Proteinthese diskutieren Fachleute derzeit noch ein weiteres neues Erklärmodell:

Vektorimpfstoffe wie AstraZeneca und Johnson & Johnson funktionieren auf der Basis von DNA und dringen bis in den Zellkern vor. mRNA-Impfstoffe wie Biontech oder Moderna gelangen dagegen nicht in den Zellkern, sondern bleiben im Zytoplasma, wo sie in das Spike-Protein übersetzt werden. Ein entscheidender Unterschied.

Der zentrale Bestandteil beider Impfstofftypen ist gleich: Der Körper bekommt die Bauanleitung für das Spike-Protein, also die stachelige Hülle des Coronavirus geliefert. Das führt dann zur Bildung von Antikörpern und schützt die Geimpften.

Coronaviren gehören zu den RNA-Viren. Eine Impfung auf der Basis von mRNA ist ideal, da so nicht erst die Kopie – also die mRNA – der DNA hergestellt werden muss.

Vekortimpfstoff
Durch die Impfstoffe bekommt der Körper die Bauanleitung für das Spike-Protein geliefert – also die stachelige Hülle des Coronavirus.

Verkürzte Spike-Varianten verursachen Entzündungsreaktionen

Die Impfung mit Vektorviren hingegen kann aber Probleme machen. Denn im Impfstoff kann die DNA des Adenovirus, die als Transportmittel für die Spike-Protein RNA dient, zum sogenannten „Splicing“ führen. Das Splicing ist ein wichtiger Schritt in der Herstellung der fertigen mRNA aus der DNA im Zellkern, in dem unwichtige Teile der DNA heraus geschnitten werden und die wichtigen Teile für das Protein wieder zusammengefügt werden.

RNA-Viren brauchen normalerweise kein Splicing, weshalb die Spike-Protein RNA dafür auch nicht vorgesehen ist. Normalerweise erfolgt das Splicing an dafür vorgesehenen Stellen in der DNA, diese fehlen aber offensichtlich in der Spike-Protein RNA. Deshalb können Teile der RNA beim Splicing willkürlich herausgeschnitten werden und dadurch entstehen teilweise auch verkürzte Spike-Varianten – und gelangen in die Blutbahn. Dort können sie an Zellen binden und durch die produzierten Antikörper werden starke Entzündungsreaktionen in den Gefäßen ausgelöst, so die Vermutung eines Forscherteams um den Biologen Professor Rolf Marschalek von der Uni Frankfurt.

Emtzündetes Blutgefäß
Durch das Splicing können verkürzte Spike-Varianten entstehen und in die Blutbahn gelangen – und starke Entzündungsreaktionen in den Gefäßen auslösen.

Vektorimpfstoffe entsprechend verändern

Vektorimpfstoffe lassen sich vermutlich entsprechend verändern, sodass kein unbeabsichtigtes Splicing mehr stattfindet. Johnson & Johnson soll deshalb bei den Frankfurter Forschern schon angefragt haben.

Splicing, Proteine oder Autoimmunreaktionen – möglicherweise gibt es nicht nur einen Auslöser gefährlicher Thrombosen. Denkbar ist auch, dass alle Erkläransätze auf einmal zutreffen. Dazu ist nun weitere Forschung nötig.

Stand
Autor/in
Ulrike Till
Onlinefassung
Julia Otto