Archäologie

Neandertaler erfanden Mehrkomponentenkleber

Stand
Autor/in
Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell.
Onlinefassung
Martina Janning
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei Redakteur bei SWR Kultur DAS Wissen.

Neandertaler benutzten bereits vor mehr als 40.000 Jahren einen Klebstoff aus mehreren Komponenten. Forschende der Universität Tübingen machten den bisher frühesten Fund in Europa.

Neandertaler nutzten bereits vor mehr als 40.000 Jahren einen Mehrkomponentenkleber, um ihre Steinwerkzeuge mit Griffen zu versehen. Forschende der Universität Tübingen entdeckten, dass sie dazu eine ausgeklügelte Mischung aus Ocker und Bitumen herstellten.

Es handelt sich um den bisher frühesten Fund eines Klebers aus mehreren Komponenten in Europa. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin Science Advances erschienen.

Mehrkomponentenkleber an Neandertaler-Steinwerkzeugen in Berlin gefunden

Die Forschenden der Uni Tübingen haben den Mehrkomponentenkleber an einer jetzt erst in Berlin aufgetauchten weitgehend unberührten Sammlung aus Steinwerkzeugen der Neandertaler entdeckt.

Das Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin hatte diese Sammlung aus dem Jahr 1907 eingelagert. Die zunächst private Sammlung aus der bekannten französischen Neandertalerfundstelle Le Moustier war seit den 1960-er Jahren dort, doch niemand hatte genau drauf geschaut.

Nun hat ein Team um den Archäologen Patrick Schmidt vom Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Uni Tübingen die einzeln verpackten Fundstücke angesehen und an den Abschlägen, Schabern und Klingen organische Reste in Form von rote Spuren gefunden: 

Wir haben dann angefangen, diese Ockerspuren und organischen Reste zu analysieren. Wir haben Computertomografie gemacht, Infrarotspektroskopie gemacht, noch so ein paar andere Techniken, mit denen zusammen wir herausgefunden haben, dass es sich um ein Gemisch handelt von Bitumen. Das ist so ein Erdölderivat und dickflüssiges Erdölderivat kommt vor in den Regionen, wo auch Erdöl vorkommt.

Diorama mit Neandertalern, die eine Höhle gegen einen Höhlenbär Ursus spelaeus verteidigen. Wiederentdeckt wurden die Werkzeuge aus der Steinzeit jetzt in einem Berliner Museum. Ausgegraben wurden die Funde in Le Moustier,  einem prähistorischen Fundplatz im Tal der Vézère bei Peyzac-le-Moustier im französischen Département Dordogne.
Ausgegraben wurden die Funde in Le Moustier, einem prähistorischen Fundplatz im Tal der Vézère bei Peyzac-le-Moustier im französischen Département Dordogne.

Mehrkomponentenkleber bestand aus Bitumen und Ocker

Dabei fanden das Forschungsteam um Patrick Schmidt heraus, dass für den Kleber Bitumen mit ungefähr 55 Prozent Ocker gemischt wurde. Doch es gelang den Archäologen nicht, diesen Kleber aus getrocknetem Bitumen aus der Nähe der Fundstelle und Ocker herzustellen. Das funktionierte erst, als sie auf flüssiges Bitumen setzten.

Flüssiges Bitumen kommt als teerähnliches Erdöl in sogenannten Bitumenseen - oder besser Bitumentümpeln - an die Oberfläche. Solche Tümpel können sich über Ölquellen bilden. Das Bitumen ist dann zähflüssig und kann so mit Ocker gemischt werden, um an ein Steinwerkzeug eine Art Griff anzubringen.  

Ein Beleg für die Ingenieurskunst der Neandertaler

Bisher war bekannt, dass Neandertaler Birkenpech als Kleber genutzt haben, um solche Griffe an Werkzeuge zu heften. Der Fund des ersten Mehrkomponentenklebers aus Bitumen und Ocker bedeutet nun, dass Neandertaler auch anderes Material nutzten, wenn kein Birkenpech vorhanden war. 

Wenn kein Birkenpech zur Verfügung stand, zum Beispiel weil es keine Birken gab, und aber genau das gemacht werden sollte, dann haben die Neandertaler sich das Material, das sie gebraucht haben, aus anderen Bestandteilen zusammengebaut. Im Prinzip wie frühe Ingenieurskunst, die im Prinzip ja auch nichts anderes ist, als das Beantworten eines Bedarfs damit, dass man ein Material herstellt.

Mit dem Mehrkomponentenkleber konnten Steinwerkzeuge an einen Griff geklebt werden.
Mit dem Mehrkomponentenkleber konnten Steinwerkzeuge an einen Griff geklebt werden.


Hoffnung auf weitere Entdeckungen aus der Zeit der Neandertaler

Das ist eines der ersten Male, dass so etwas in Europa entdeckt wurde. Deshalb sei der Fund so spektakulär, erklärt der Tübinger Archäologe Schmidt. Und möglicherweise haben die Neandertaler noch andere Klebergemische genutzt. Der Archäologe hofft auf weitere Entdeckungen:  

Es ist durchaus vorstellbar, dass andere Klebstoffe benutzt wurden. Es gibt Hinweise darauf. Aber das Problem dabei ist: Es sind ganz, ganz kleine Reste. Eine Fundstelle der Neandertaler in Italien - eventuell Baumharz. Die Quellenlage hier ist aber noch sehr, sehr schlecht, denn es sind sehr schlecht erhaltene Fundstücke. 

Auch ob der Neandertaler seinen Kleber nur für die Steinwerkzeuge benutzt hat oder auch für andere Dinge wie zum Beispiel Behausungen, ist schwer zu sagen. Denn die Quellenlage ist extrem schwierig - immerhin geht es um die Zeit zwischen vor 40.000 Jahren und 200.000 Jahren. Sicher ist:

Wir befinden uns auf jeden Fall ganz in der finalen Phase der Präsenz der Neandertaler. In dieser ganzen Zeit kennen wir eine Handvoll Fundstellen, wo kleine Reste gefunden wurden. Man hat also ein ganz kleines Fenster auf die Vergangenheit, durch das man versuchen muss, die Menschen von damals zu verstehen. 

Neandertaler (Rekonstruktion) : Die Steinzeit begann war vor circa 2,6 Millionen Jahren und endete erst ungefähr 2.200 v. Chr. Die Steinzeit  gilt deshalb auch als der längste Abschnitt der Menschheitsgeschichte. Auf die Steinzeit folgten schließlich die Bronzezeit und die Eisenzeit.
Die Steinzeit begann war vor circa 2,6 Millionen Jahren und endete erst ungefähr 2.200 v. Chr. Die Steinzeit gilt deshalb auch als der längste Abschnitt der Menschheitsgeschichte. Auf die Steinzeit folgten schließlich die Bronzezeit und die Eisenzeit.

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