Menschliche Knochenfunde

Archäologen entdecken ältestes Menschenfossil Europas

Stand
Autor/in
Jacqueline Gehrke
Onlinefassung
Lilly Zerbst

Forschende stießen in Thüringen auf 45.000 Jahre alte menschliche Knochen. Die Funde belegen, dass unsere Vorfahren schon viel früher im mittleren und nördlichen Teil Europas lebten als bislang angenommen.

Scherben alter Vasen, löchrige Stofffetzen und Steine wirken auf den ersten Blick nicht unbedingt spannend – für Archäologen sind sie jedoch oftmals faszinierende Wissensschätze, verraten sie nicht zuletzt vieles über die Gewohnheiten und Kulturen unserer Vorfahren.

Erst kürzlich stießen Archäologen bei einer Ausgrabung in der Ilsenhöhle im thüringischen Rinsa auf einen beeindruckenden Fund. Im Labor offenbarten die gefundenen Knochenfragmente ihre Geschichte.  

Fundstelle des ältesten Menschenfossils Europas: Ilsenhöhe unter der Burg Ranis in Thüringen (links) und gefundenes menschliches Knochenfragment (rechts).
Fundstelle des ältesten Menschenfossils Europas: Ilsenhöhe unter der Burg Ranis in Thüringen (links) und gefundenes menschliches Knochenfragment (rechts).

Menschenfossil zeigt: Homo sapiens war früher als gedacht im Nordosten Europas

Ein Forschungsteam vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig grub sich durch mehrere Schichten dicker Steinsegmente und stieß in acht Metern Tiefe auf 13 Knochenfragmente. DNA-Analysen und Radiocarbon-Datierungen ergaben, dass die Knochen vom modernen Menschen, dem Homo sapiens, stammen. Die Ergebnisse wurden in einer Studie im Nature Journal veröffentlicht.

 

Für die Archäologen ein erstaunliches Ergebnis, denn bislang datierten sie den Einzug des Homo sapiens im Nordosten Europas auf die Übergangsperiode vom Jung- zum Mittelpaläolithikum vor 40.000 Jahren. Die Funde belegen nun aber eindeutig, dass diese Siedlungsbewegung Richtung Norden bereits 5.000 Jahre früher einsetzte. 

Lebten Homo sapiens und Neandertaler zusammen in Europa?

Diese Entdeckung liefert Archäologen Indizien dafür, dass der Homo sapiens einer verwandten Spezies auch in Nordosteuropa begegnet sein könnte: dem Neandertaler. Während sich dort also, wie man nun weiß, vor rund 45.000 die ersten kleinen Menschengruppen ausbreiteten, lebten zugleich Neandertaler in südwestlichen Gebieten Europas, die im heutigen Frankreich und Spanien liegen – das belegen paläolithische Neandertalerfundstätten.

Knochenfunde zeigen, dass der  Neandertaler etwas kleiner und stämmiger als der heutige Mensch, der Homo sapiens, war. Modell eines Neandertalers.
Knochenfunde zeigen, dass der Neandertaler etwas kleiner und stämmiger als der heutige Mensch, der Homo sapiens, war.

Eine Begegnung von Homo sapiens und Neandertalern im heutigen Thüringen nachzuweisen, ist aber schwierig. „Wir wissen, dass sie sich in Südwestasien begegnet sind und sich genetisch vermischt haben. Für Europa konnten wir das bisher noch nicht zeigen“, so Dr. Marcel Weiß, Co-Autor der Studie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Es bleibt damit unbekannt, was sich zwischen diesen Gebieten abspielte. 

Moderner Mensch war erstaunlich gut an eisige Kälte angepasst

Dank der Funde wissen Archäologen nun auch: Der moderne Mensch war bereits gut an die Wetterbedingungen dieser Zeit angepasst. Damals war es in mittleren und nördlichen Teilen Europas im Durchschnitt etwa 7 bis 15 Grad kälter als heute. Außerdem glichen Landschaft und Temperaturen etwa den kargen Gebieten im heutigen Sibirien und Nordskandinavien.

Unter den Knochenfunden identifizierten die Archäologen zudem Überreste von Rentieren, Pferden und Wollnashörnern – reichhaltige Beute an Fleisch und Fellen. Außerdem fanden sie Knochen von Hyänen, die zu jener Zeit von Großbritannien bis Mitteleuropa heimisch waren, und sich Höhlen wie jene in Rinsa vermutlich mit Menschen teilten. Die Archäologen gehen sogar davon aus, dass kleine Gruppen von Homo sapiens gezielt in diese Regionen vordrangen, um dort zu jagen. 

Entdeckung zeigt: Homo sapiens erfanden Werkzeuge aus der frühen Steinzeit  

Zum Jagen nutzten unsere Vorfahren aus Stein und Knochen gefertigte Werkzeuge. Frühere Funde brachten unterschiedliche solcher Steinwerkzeuge zutage, die die Wissenschaftler in sogenannte Technokomplexe – also Handwerkskünste - einteilen. Funde unterschiedlicher Handwerkskunst sprechen dafür, dass es zu jener Zeit vor 45.000 Jahren unterschiedliche menschliche Populationen in Nordosteuropa gegeben haben muss. Doch wer sie waren, blieb bis zur jüngsten Entdeckung in Thüringen unklar.  

Bereits früher stießen Archäologen in der Fundstätte, in der nun auch die ältesten Menschenfossilien Europas gefunden wurden, auf Werkzeug wie diese beidseitig bearbeitete Klingenspitze (links) und die bifazielle Blattspitze (rechts).
Bereits früher stießen Archäologen in der Fundstätte, in der nun auch die ältesten Menschenfossilien Europas gefunden wurden, auf Werkzeug wie diese beidseitig bearbeitete Klingenspitze (links) und die bifazielle Blattspitze (rechts).

Bereits in den 1930er Jahren stieß man in der Fundstätte in Ranis auf Steingeräte, sogenannte Steinblattspitzen des LFJ-Technokomplexes (Lincombian-Ranisian-Jerzmanowician), die als Speerspitzen verwendet wurden. Diese Werkzeuge wurden in derselben Steinschicht gefunden und sind in etwa genauso alt wie die jüngst gefundenen Knochenfragmente: Sie wurden also nicht vom Neandertaler, wie man bislang vermutete, sondern von Homo sapiens gefertigt.  

„Wir konnten zum ersten Mal diese Steinwerkzeuge auch mit einer Menschenform verbinden“, sagt Marcel Weiß. „Da war sicherlich noch viel mehr los, was wir heute noch nicht sehen. Das macht natürlich Hoffnung auf neue Forschung.“  

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