Trennung

Wenn Mütter die Familie verlassen

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Autor/in
Elena Weidt
Bild von Elena Weidt, Multimedia-Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell
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Elisabeth Theodoropoulos
Lena Schmidt

Wenn Mütter nach einer Trennung ausziehen und ihre Kinder beim Vater lassen, ist das oft noch ein Tabu. Woran liegt das?

Vor sechs Jahren trennte sich Sandra Schellhorn aus verschiedenen Gründen von ihrem Mann und zog aus. Die drei Kinder blieben beim Vater. Auch nach der Trennung ist es kompliziert zwischen ihr und ihrem Ex-Mann. Am Ende bricht der Kontakt zu ihren Kindern schließlich ab. Auch wenn sie das heute sehr bedauert, bereut sie ihre Entscheidung zu gehen nicht.

Ihre Geschichte erzählt Sandra Schellhorn mittlerweile öffentlich - auch um Tabus zu brechen, wie sie hier im Nachtcafé-Podcast erklärt. Denn sie merkt schnell: Sie wird teilweise von ihrem Umfeld verurteilt, auch weil sie als Mutter diesen Weg wählte.

Noch immer große Scham

Denn das Thema ist komplex und emotional aufgeladen. Stellen wir uns vor, Sandra Schellhorn wäre ein Mann und er hätte vor sechs Jahren die Familie verlassen und hätte heute kaum oder keinen Kontakt zu seinen Kindern - einige würden vermutlich anders darauf reagieren. Dafür gibt es viele Gründe.

Wir kennen alle, wenn auch nur indirekt, Männer, die bereits in der Schwangerschaft oder auch später die Familie verließen, auch mit der Beschreibung dafür nicht gemacht zu sein. Wenn wir von einem neuen Fall hören, sind wir nicht mehr überrascht.

Schambedingt hören wir aber nur selten die Stimmen der Frauen, erklärt Stefanie Winke. Und haben auf diese Weise auch kein Verständnis für dieses Thema, weil wir die Gründe nicht kennen: "Je mehr Frauen sich dazu äußern, desto besser können wir ihr Handeln eines Tages nachvollziehen".

Das Bild zeigt ein trauriges Kind auf einem Sofa, im Hintergrund streiten die Eltern.
Es ist in der Gesellschaft akzeptierter, wenn Väter die Familie verlassen.

Eine gute Mutter kümmert sich

Denn Frauen, die die Familie verlassen sind noch immer Ausnahmen. Bisher ist es so, dass nach einer Trennung die Kinder meist bei der Mutter bleiben. Oft auch, weil die Mutter sich bereits vor der Trennung mehr gekümmert und der Vater mehr gearbeitet hat. Was wiederum auch an vielen bekannten strukturellen Problemen liegt wie dem Gender Gap, Ehegattensplitting oder fehlenden Betreuungsmöglichkeiten:

In Deutschland ist es noch immer häufig so, dass man als gute Mutter gilt, wenn man sich kümmert, die Betreuungsaufgaben übernimmt, ein guter Vater bringt das Geld nach Hause.

Die klassische Rolle der Mutter wird oft überhöht und die des Vaters unterschätzt. Doch das muss sich ändern. Immerhin sind heute auch 15 Prozent aller Alleinerziehenden Väter, Tendenz steigend. Die Zahlen zeigen aber auch:

Ein Drittel der Trennungsväter hat keinen Kontakt zu ihren Kindern. Darüber wird aber kaum diskutiert.

Muttermythos

Das wiederum hängt auch mit dem hartnäckigen Muttermythos zusammen, der beschreibt: Frauen müssen Mütter werden, sich kümmern und sie müssen als Mutter auch glücklich sein. Sandra Schellhorn war viel allein mit ihren Kindern. Auch sie wollte es als Mutter gut machen, fühlte sich aber überfordert, isoliert und hatte wenig Unterstützung.

Sie bastelte, backte Plätzchen mit den Kindern, ging aber in der Mutterrolle nicht auf, obwohl sie ihre Kinder liebte. Die Verantwortung, die sie als Mutter gehabt habe, sagt Schellhorn, habe sie erst komplett begriffen, als ihre Kinder da gewesen seien. Auch ihre Biographie habe eine große Rolle gespielt, wie sie als Mutter handelte.

Mittlerweile bekennen sich immer mehr Menschen dazu, dass sich Mutterschaft sehr verschieden und nicht immer erfüllend anfühlen kann bis hin zu ”Regretting Motherhood“, einem Phänomen, das die israelischen Soziologin Orna Donath erstmal in einer Studie nachwies, die bis heute sehr kontrovers diskutiert wird.

"Nicht jeder Mensch ist für die Elternrolle gemacht und wächst auch rein. Bei Männern akzeptieren wir schneller, dass es nicht passt - bei Frauen lassen wir den Gedanken erst sehr langsam zu", erklärt Psychologin Stefanie Winke.

Rollenbilder wandeln sich langsam

Auch wenn viele Menschen heute deutlich vielfältiger denken als es in den 1950ern und 1960ern der Fall war, braucht es sehr lange bis sich in einer Gesellschaft Rollenbilder so sehr verändern, dass wir tatsächlich gar keinen Unterschied mehr machen, wer nun die Familie verlässt oder bei wem die Kinder wohnen, bestätigt auch Johannes Kopp, Professor für Soziologie an der Universität Trier.

In anderen Ländern, in Schweden und Belgien, wo es fast normal ist, dass man sich trennt und dass die Kinder dann Kontakt zu beiden Elternteilen haben, da sind dann solche Stigmatisierungen eben seltener.

Die gute Nachricht: Es gibt sie, die Veränderungen. Die erkennt man zaghaft zum Beispiel daran, dass das sogenannte Wechselmodell, also wenn Kinder nach einer Trennung bei beiden Elternteilen annähernd gleich betreut werden, immer häufiger gelebt wird. Doch im Unterschied zu Ländern wie Belgien und Schweden, gibt es in Deutschland noch rechtliche Hürden: "In Belgien ist es so, dass ein Kind nach einer Trennung in zwei Haushalten gemeldet sein kann. Das geht in Deutschland nicht", erklärt Michaela Kreyenfeld.

Mehr Hilfsangebote

In Deutschland gab es 2022 über 1,5 Mio alleinerziehende Familien. Mittlerweile gibt es auch mehr Hilfsangebote für schwierige Situationen nach der Trennung der Eltern. Beratungsstellen wie Pro Familia zum Beispiel oder STARK. Letzteres ist ein Online-Angebot unter anderem vom Deutschen Jugendinstitut, das Eltern sowie Kinder bei der Bewältigung von Trennungsthemen unterstützt.

Das Bild zeigt ein glückliches Kind, das auf seinen Vater zurennt.
Das sogenannte Wechselmodell, also wenn Kinder nach einer Trennung bei beiden Elternteilen annähernd gleich betreut werden, wird immer häufiger gelebt.

Lösungen nach einer Trennung brauchen Zeit

Psychologin Stefanie Winke rät Müttern in so einer Situation, sich etwas Zeit zu geben, sich nicht auf jeden Kompromiss einzulassen oder zu schnell in ein Extrem zu verfallen, wenn es zum Beispiel um die Betreuung der Kinder geht: "Ich fühle mich vielleicht genau jetzt nicht stark genug für meinen Wunsch einzustehen oder der Elternrolle gerecht zu werden. Vielleicht kann ich es aber in ein paar Wochen oder Monaten neu versuchen, wenn sich die Wellen gelegt haben."

Auch Sandra Schellhorn würde mit dem Wissen von heute nicht mehr so abrupt gehen, wie sie es damals getan hat, betont sie. Bis heute leidet sie unter Schuldgefühlen, ist tieftraurig darüber, dass sie keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern hat, den sie sich heute sehr wünscht: "Ich war immerhin 16 Jahre in dieser Familie und bleibe im Herzen immer Mutter."

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