Stillen stärkt kindliche Abwehrkräfte

Auch Kaiserschnittbabys erhalten wichtige Mikroben der Mutter

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Elena Weidt
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Antonia Weise

Eine neue Studie widerlegt teilweise das Vorurteil, dass bei einem Kaiserschnitt nützliche Bakterien, das sogenannte Mikrobiom, dem Baby nicht mitgegeben werden. Werden Kinder nicht auf natürlichem Weg geboren, erfolgt demnach die Besiedelung auf anderen Wegen wie Hautkontakt und Stillen.

Ein niederländisches Forschungsteam hat herausgefunden: Ein Kaiserschnitt führt nicht unbedingt dazu, dass dem Baby wichtige Mikroorganismen der Mutter fehlen. Bisher dachten viele Wissenschaftler, dass Kindern, die nicht den Geburtskanal passieren, stärkende Keime nicht mit auf den Weg bekommen. Auch für den Geburtsmediziner Henrich, der nicht an der Studie beteiligt war, ist diese Erkenntnis erstaunlich:

Das ist überraschend, weil man vorher immer davon ausgegangen ist, dass der Kontakt zum Geburtsweg oder zur Scheide so wichtig sei und dass dort die Übertragung primär und vorwiegend stattfindet.

Es klingt wie eine kleine Sache, die Erkenntnisse dieser Studie. Für werdende Mütter oder Mütter, die bereits per Kaiserschnitt entbunden haben, ist das aber alles andere als klein. Denn das mögliche Defizit im kindlichen Mikrobiom war als ein möglicher Grund für die leicht erhöhten Risiken von Kaiserschnittgeborenen für bestimmte Erkrankungen wie Asthma, Allergien oder Übergewicht in einigen Studien vermutet worden.

Ich bin froh über diese Studie, die vielleicht auch Ängste nimmt, dass Frauen, die einen Kaiserschnitt bekommen oder bekommen müssen, hier nachhaltig etwas Positives für ihr Neugeborenes versäumen.

Fast 60 Prozent des kindlichen Mikrobioms stammen von der Mutter

Die niederländischen Forschenden sammelte für ihre Studie Proben von der Haut, aus dem Speichel, der Nase und dem Darm von 120 Babys. Gleichzeitig entnahmen sie auch Proben der Mütter, um die Quellen für das kindliche Mikrobiom herauszufinden. Das Ergebnis: Im Durchschnitt stammen immerhin fast 60 Prozent des gesamten Mikrobioms bei Säuglingen von der Mutter – und das unabhängig davon, wie das Kind auf die Welt gekommen ist. Fehlt der Vaginalkontakt, können laut der Studie andere Mikrobenquellen wie Hautkontakt und Muttermilch das teilweise ausgleichen.

Die Natur versetzt auch das Neugeborene in die Lage, sich zu adaptieren, wenn ‚der natürliche Weg‘ der Spontangeburt nicht eingeschlagen werden kann.

Ein Neugeborenes Baby liegt auf dem Bauch der Mutter mit engen Hautkontakt.
Laut der Studie können andere Mikrobenquellen wie Hautkontakt und Muttermilch den fehlenden Vaginalkontakt teilweise ausgleichen.

Allerdings stellten die Forschenden aus Utrecht sehr wohl Unterschiede bei den Kindern fest: Babys, die per Kaiserschnitt geboren wurden, erhielten weniger Mikroben aus dem Vaginal- und Darmsekret, dafür mehr aus der Muttermilch. Stillen und viel Kuscheln sei deshalb nach einem Kaiserschnitt besonders wichtig, so die Autorinnen und Autoren der Studie. Welche Rolle die unterschiedliche Zusammensetzung allerdings spielt, ob es wichtig ist, welche Bakterien zuerst das Kind besiedeln, das hat die Studie nicht beantwortet, kritisiert Kinderarzt Härtel:   

Das Stillen kann die Darmbesiedlung zwar fast eins zu eins günstig beeinflussen und es reduziert das Asthmarisiko, wir wissen aber nicht, ob unterschiedliche Pionierbakterien als ‚erste Saat‘ die entscheidende Rolle dafür spielen. Hierfür benötigt es langfristige Studien, die dann auch Auswirkungen auf andere Komponenten, wie zu Beispiel das Immunsystem oder den Stoffwechsel.

Viele Fragen rund um das Mikrobiom nicht geklärt

Unser Mikrobiom ist ein komplexes Ökosystem und vieles davon noch unerforscht. Prof. Wolfgang Henrich von der Charité bezweifelt sogar, dass das mütterliche Mikrobiom tatsächlich immer das Beste für das Baby ist. Man müsse sich laut Henrich natürlich auch die Frage stellen, ob man möglicherweise mit Übertragungen des mütterlichen Mikrobioms nicht sogar dazu beitrage, auch negative Bakterien im Neugeborenendarm zu besiedeln. Denn die Mütter seien nicht alle gesund und nicht alle hätten ein gesundes Mikrobiom.

Jetzt denke ich nicht nur an Krankheitserreger wie Coli-Bakterien oder Streptokokken, sondern auch an ein Mikrobiom, das selbst bei den Müttern bereits zur Nahrungsunverträglichkeit,  Diabetes oder zu anderen auch psychischen Erkrankungen mitbeiträgt.

Das sei auch wichtig zu klären, wenn es darum geht herauszufinden, warum Kaiserschnittkinder eher an bestimmten Krankheiten wie Asthma und Allergien erkranken. Was man weiß: Eine krankhaft veränderte Zusammensetzung der Bakterien im Darm spielen bei den Kindern dabei eine Rolle.

An was das nun aber genau liegt, ob am veränderten Mikrobiom der Kaiserschnittkinder oder an dem, was die Mutter oder später auch die Väter übertragen haben, das ist nach wie vor unklar.

Eine Mutter mit Kaiserschnittnarbe liegt auf dem Bett - im Arm hält sie ihr Baby.
Kaiserschnittkinder erkranken eher an bestimmten Krankheiten wie Asthma und Allergien.

Bedeutung des Mikrobioms möglicherweise überbewertet

Wolfgang Henrich ist der Meinung, dass die Bedeutung des Mikrobioms oft überbewertet wird und andere Ursachen wie Ernährung oder Lebensstil bei der Entstehung von Kinderkrankheiten zu wenig beachtet werden. In Berlin würden beispielsweise 18 Prozent der Schwangeren Rauchen:

Wir wissen, dass das Rauchen beispielsweise zu einer zehnfachen Erhöhung des plötzlichen Kindstodes führt, zum Auftreten von Atemwegserkrankungen und Asthma im Kleinkindalter. Wenn man das betrachtet, dann hat das eine vielfach höhere klinische Relevanz. Wenn man sich also präventiv-medizinisch um die Asthma-Entstehung sorgt, dann würde ich als erstes viel intensiver für das Nichtrauchen werben und entsprechende Hilfsangebote und Präventionsmassnahmen fördern.

Die  niederländischen Wissenschaftler jedenfalls wollen nun weiterforschen und herausfinden, wie genau sich die Entwicklung des Mikrobioms bei Säuglingen auf deren langfristige Gesundheit auswirkt. Und unklar ist auch noch, woher eigentlich die restlichen 40 Prozent der Mikroben, die nicht von der Mutter kommen, bei den Babys stammen.

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