Für Strahlenphysiker Thomas Berger vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) in Köln geht ein Forschertraum in Erfüllung. Vorsichtig trägt der Strahlenphysiker einen Puppenkopf aus Kunststoff durch sein Labor und setzt ihn auf der Arbeitsplatte ab. Die beiden Phantome sind im Rahmen der NASA-Mission Artemis I um den Mond geflogen. Der Wissenschaftler erklärt:
So messen die Puppen Strahlung
In die Scheiben wurden sogenannte aktive und passive Strahlungsdetektoren eingebaut. Mit ihnen möchten die Wissenschaftler herausfinden, wie viel Weltraumstrahlung während eines Flugs zum Mond auf den Körper einwirkt und welche Schutzmaßnahmen man für künftige Langzeitmissionen mit Menschen entwickeln müsste.
Thomas Berger deutet auf eine der Kunststoffscheiben und erklärt, an welchen Stellen die aktiven Strahlungsdetektoren eingebaut waren:
Die Detektoren sind batteriebetrieben und haben die Strahlungsdosis alle fünf Minuten abgespeichert. Das bedeutet: Nach Auswertung der Messdaten können die Wissenschaftler fast punktgenau sagen, wie hoch die Strahlung zu einem bestimmten Zeitpunkt war, etwa als Orion am Mond vorbeigeflogen ist. Somit liefern die aktiven Detektoren eine zeitaufgelöste Verteilung der Strahlung über die gesamte Mission.
Passive und aktive Detektoren liefern Daten
Auch passive Detektoren werden wichtige Erkenntnisse liefern. In jedem Phantom haben die Wissenschaftler circa 6.000 passive Detektoren – das sind kleine Kristalle – eingebaut, also insgesamt 12.000 Stück. 80 Prozent kamen vom DLR, 20 Prozent von der NASA. Thomas Berger schmunzelt, denn „das ganze Raumschiff war wie ein Weihnachtsbaum mit Detektoren ausgestattet.“
Die Kristalle heißen Thermolumineszenzdetektoren. Im Prinzip speichern sie die ionisierende Strahlung, die im Weltraum auf sie getroffen ist, in ihren Kristallgittern, erklärt Berger. Wenn man diese Kristalle nun für die Auswertung erhitze, senden sie die gespeicherte Energie in Form von Licht aus. Und dieses Licht könne man messen. Der Strahlenphysiker erläutert, dass das Licht, das von den Kristallen ausgesendet wird, proportional zur Strahlungsdosis ist, die sie über die Zeit des Experimentes absorbiert haben.
So können die Forschenden mit diesen Kristallen die Gesamtdosis über die Mission abbilden und am Ende eine dreidimensionale Strahlungsverteilung gewinnen, erklärt Berger.
Endgültige Ergebnisse erst in einem Jahr
Die aktiven Detektoren hat das DLR-Team bereits im Januar am Kennedy Space Center direkt nach der Übergabe ausgelesen, also die Daten für die Nachwelt und die Wissenschaft gesichert. Jetzt werden sie analysiert. Die Auswertung der passiven Detektoren wird bis zu einem Jahr dauern.
Bereits 2024 soll die Artemis II-Mission starten, bei der Astronautinnen und Astronauten an Bord sein werden. Um die Astronauten dann entsprechend zu schützen, sind die Ergebnisse sehr wichtig.
Der Grund, warum bei dem internationalen Puppenexperiment MARE – Matroshka AstroRad Radiation Experiment – zwei Frauenkörper gewählt wurden, ist folgender: Immer mehr Frauen werden in Zukunft als Astronautinnen in den Weltraum fliegen. Leider haben sie aber auch ein höheres Krebsrisiko als Männer. Thomas Berger erklärt:
Schutz der Strahlenschutzweste noch fraglich
Thomas Berger untersucht im DLR auch eine Strahlenschutzweste, die eine der beiden Puppen während des Flugs getragen hat. „Die Puppe „Zohar“, die von der israelischen Weltraumagentur (ISA) finanziert wird, hat eine 26 Kilogramm schwere Weste getragen, die AstoRad Weste, welche von der israelischen Firma StemRad entwickelt wurde und aus hochdichtem Polyethylen besteht,“ beschreibt Berger. Die Grundidee dieser Weste sei es, dass sie Astronautinnen und Astronauten, wenn sie im Weltraum fliegen – im Rahmen der Orion-Mission oder auch bei zukünftigen Explorationsmissionen zum Mars –, einen zusätzlichen Strahlungsschutz vor allem bei einer Sonneneruption geben soll.
Regelmäßig sendet die Sonne geladene Teilchen aus, die auf die obere Erdatmosphäre treffen und dort Moleküle zum Leuchten anregen. Dieses Leuchten ist dann vom Boden aus als schönes Polarlicht zu erkennen, aber der Teilchenstrom von der Sonne stellt auch ein hohes Risiko für Astronautinnen und Astronauten dar.
Die Wissenschaftler sind sehr gespannt auf die Ergebnisse. Da nur eine der beiden Puppen diese Schutzweste getragen hat, können sie dann sehen, was die Weste wirklich bringt.
Servicemodul der ESA erfolgreich getestet
Nach der Mission ist vor der Mission: Nicht nur beim DLR arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Mission auf. Der ehemalige Wissenschaftschef der NASA, Thomas Zurbuchen, bilanziert:
Das Europäische Servicemodul (ESM), von dem Zurbuchen spricht, ist ein zentraler Bestandteil des Orion-Raumschiffs. Es wird im Auftrag der NASA von der Europäischen Weltraumagentur (ESA) gebaut. Hauptauftragnehmer ist Airbus. Das Modul wird in Bremen zusammengebaut, mit Zulieferern aus zehn Ländern. Das Modul sorgt für den Antrieb und versorgt die Astronauten mit Strom, Luft und Wasser. Es ist die Herzkammer des Orion-Raumschiffs.
Geringerer Treibstoffverbrauch als erwartet
Auch bei Airbus zieht man eine positive Bilanz der Artemis I-Mission. Die erste Auswertung der Testdaten habe ergeben, dass das Orion-Raumschiff viel weniger Treibstoff und elektrische Energie verbraucht und gleichzeitig viel mehr Energie erzeugt habe, als berechnet.
Marc Steckling, der Leiter von Space-Exploration bei Airbus führt aus:
Dies ermögliche künftige Missionen mit einer längeren Dauer oder größerer Masse, zum Beispiel bei Modul-Transporten zum Aufbau des sogenannten Lunar Gateway, einer Zwischenstation im Mondorbit. Sie soll noch in den zwanziger Jahren gebaut werden und als eine Art „Bushaltestelle“ im All auf dem Weg zur Mondoberfläche fungieren.
System wird überarbeitet
„Wir sind mehr Manöver geflogen, um Situationen durchzuspielen, die normalerweise nicht vorkommen“, erläutert Steckling. So haben sie beispielsweise die Einstellwinkel der Solarzellen gegenüber der Sonne komplett verändert. Artemis I habe sich dafür angeboten angeboten, weil noch keine Astronauten an Bord gewesen sind und man das System so auf Herz und Nieren testen konnte, berichtet der Leiter von Space-Exploration bei Airbus.
Auch Thomas Zurbuchen sagt: „Das Ziel war es, das System zu bestrafen, um sicherzustellen, dass Artemis II wirklich funktioniert, weil dort Menschen draufsitzen.“ Man habe bei der Mission viel gelernt, jetzt arbeiteten die Teams an Verbesserungen. Beispielsweise sei beim Wiedereintritt der Raumkapsel in die Erdatmosphäre der Hitzeschild an der Unterseite der Kapsel etwas stärker abgeschmolzen als man das erwartet habe.