Überleben im Weltall

Mondmission: Lehren aus Artemis I

Stand
Autor/in
Ute Spangenberger
Onlinefassung
Lena Schmidt

Das DLR präsentiert knapp drei Monate nach der Artemis I-Mission die beiden Strahlungsmesspuppen „Helga“ und „Zohar“, die an Bord waren. Wie gut konnten sie vor Strahlung geschützt werden?

Für Strahlenphysiker Thomas Berger vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) in Köln geht ein Forschertraum in Erfüllung. Vorsichtig trägt der Strahlenphysiker einen Puppenkopf aus Kunststoff durch sein Labor und setzt ihn auf der Arbeitsplatte ab. Die beiden Phantome sind im Rahmen der NASA-Mission Artemis I um den Mond geflogen. Der Wissenschaftler erklärt:

Dieser Kopf ist ein sehr wertvoller Kopf. Das ist einer der Köpfe der beiden Phantome. Er beinhaltet  viele Strahlungsmessgeräte, die wir verbaut haben. Es ist für jeden Forscher natürlich schön, dass, wenn das Experiment durchgeführt wurde, jetzt die Datenauswertung beginnt.

 

Das Bild zeigt den Kopf einer der beiden Strahlungsmesspuppen.
Der Kopf gehört zu einer der beiden Strahlungsmesspuppen, die an Bord der Artemis I-Mission 25 Tage im Weltraum waren. Bild in Detailansicht öffnen
Das Bild zeigt die Kunststoffscheiben, die zur Messung der Strahlung in den Kopf der Puppen eingebaut waren.
Die Puppen, denen die Forscher die Namen „Helga“ und Zohar“ gegeben haben, setzen sich aus einzelnen Kunststoffscheiben zusammen, die eine unterschiedliche Dichte haben und so menschliche Organe nachbilden. Bild in Detailansicht öffnen

So messen die Puppen Strahlung

In die Scheiben wurden sogenannte aktive und passive Strahlungsdetektoren eingebaut. Mit ihnen möchten die Wissenschaftler herausfinden, wie viel Weltraumstrahlung während eines Flugs zum Mond auf den Körper einwirkt und welche Schutzmaßnahmen man für künftige Langzeitmissionen mit Menschen entwickeln müsste.

Thomas Berger deutet auf eine der Kunststoffscheiben und erklärt, an welchen Stellen die aktiven Strahlungsdetektoren eingebaut waren:

Mehrere aktive Messgeräte waren etwa in den Lungenflügeln, im Magen, in der Gebärmutter und im Rückenmark verbaut. Das sind die strahlungsempfindlichsten Organe des menschlichen Körpers und darum können wir dann nach der Auswertung beispielsweise sagen, wie hoch die Strahlungsdosis in der Lunge am fünften Tag der Mission war.

Die Detektoren sind batteriebetrieben und haben die Strahlungsdosis alle fünf Minuten abgespeichert. Das bedeutet: Nach Auswertung der Messdaten können die Wissenschaftler fast punktgenau sagen, wie hoch die Strahlung zu einem bestimmten Zeitpunkt war, etwa als Orion am Mond vorbeigeflogen ist. Somit liefern die aktiven Detektoren eine zeitaufgelöste Verteilung der Strahlung über die gesamte Mission.

Passive und aktive Detektoren liefern Daten

Auch passive Detektoren werden wichtige Erkenntnisse liefern. In jedem Phantom haben die Wissenschaftler circa 6.000 passive Detektoren – das sind kleine Kristalle – eingebaut, also insgesamt 12.000 Stück. 80 Prozent kamen vom DLR, 20 Prozent von der NASA. Thomas Berger schmunzelt, denn „das ganze Raumschiff war wie ein Weihnachtsbaum mit Detektoren ausgestattet.“

Die Kristalle heißen Thermolumineszenzdetektoren. Im Prinzip speichern sie die ionisierende Strahlung, die im Weltraum auf sie getroffen ist, in ihren Kristallgittern, erklärt Berger. Wenn man diese Kristalle nun für die Auswertung erhitze, senden sie die gespeicherte Energie in Form von Licht aus. Und dieses Licht könne man messen. Der Strahlenphysiker erläutert, dass das Licht, das von den Kristallen ausgesendet wird, proportional zur Strahlungsdosis ist, die sie über die Zeit des Experimentes absorbiert haben.

So können die Forschenden mit diesen Kristallen die Gesamtdosis über die Mission abbilden und am Ende eine dreidimensionale Strahlungsverteilung gewinnen, erklärt Berger.

Endgültige Ergebnisse erst in einem Jahr

Die aktiven Detektoren hat das DLR-Team bereits im Januar am Kennedy Space Center direkt nach der Übergabe ausgelesen, also die Daten für die Nachwelt und die Wissenschaft gesichert. Jetzt werden sie analysiert. Die Auswertung der passiven Detektoren wird bis zu einem Jahr dauern.

Bereits 2024 soll die Artemis II-Mission starten, bei der Astronautinnen und Astronauten an Bord sein werden. Um die Astronauten dann entsprechend zu schützen, sind die Ergebnisse sehr wichtig.

Das Bild zeigt den Mond.
2025 sollen im Zuge der Artemis-Mission die erste Frau und die erste Person of Color auf dem Mond landen. In den 2030er Jahren könnte am Mondsüdpol sogar eine kleine Mondbasis entstehen.

Der Grund, warum bei dem internationalen Puppenexperiment MARE – Matroshka AstroRad Radiation Experiment – zwei Frauenkörper gewählt wurden, ist folgender: Immer mehr Frauen werden in Zukunft als Astronautinnen in den Weltraum fliegen. Leider haben sie aber auch ein höheres Krebsrisiko als Männer. Thomas Berger erklärt:

Das Gesamtkrebsrisiko des Körpers setzt sich aus Krebsrisiken der Organe zusammen und bei Frauen kommt als zusätzlicher Anteil der Brustkrebs hinzu. Und deswegen ist das Gesamtrisiko für Frauen größer als für Männer. Es gibt noch nicht so viele grundlegende Messdaten für den weiblichen Körper und deswegen haben wir diese zwei Frauenkörper geflogen.

Schutz der Strahlenschutzweste noch fraglich

Thomas Berger untersucht im DLR auch eine Strahlenschutzweste, die eine der beiden Puppen während des Flugs getragen hat. „Die Puppe „Zohar“, die von der israelischen Weltraumagentur (ISA) finanziert wird, hat eine 26 Kilogramm schwere Weste getragen, die AstoRad Weste, welche von der israelischen Firma StemRad entwickelt wurde und aus hochdichtem Polyethylen besteht,“ beschreibt Berger. Die Grundidee dieser Weste sei es, dass sie Astronautinnen und Astronauten, wenn sie im Weltraum fliegen – im Rahmen der Orion-Mission oder auch bei zukünftigen Explorationsmissionen zum Mars –, einen zusätzlichen Strahlungsschutz vor allem bei einer Sonneneruption geben soll.

Regelmäßig sendet die Sonne geladene Teilchen aus, die auf die obere Erdatmosphäre treffen und dort Moleküle zum Leuchten anregen. Dieses Leuchten ist dann vom Boden aus als schönes Polarlicht zu erkennen, aber der Teilchenstrom von der Sonne stellt auch ein hohes Risiko für Astronautinnen und Astronauten dar.

Die Wissenschaftler sind sehr gespannt auf die Ergebnisse. Da nur eine der beiden Puppen diese Schutzweste getragen hat, können sie dann sehen, was die Weste wirklich bringt.

Das Bild zeigt die Puppe "Helga" ohne Stahlenschutzweste.
Während „Zohar“ mit einer Strahlenschutzweste ausgestattet war, flog „Helga“ die Mission ohne eine Weste.

Servicemodul der ESA erfolgreich getestet

Nach der Mission ist vor der Mission: Nicht nur beim DLR arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Mission auf. Der ehemalige Wissenschaftschef der NASA, Thomas Zurbuchen, bilanziert:

Es war ein unglaublicher Erfolg. Es war eine Mission mit viel Risiko. Die Rakete war in dieser Konfiguration vorher noch nie geflogen, dazu die Orion-Kapsel mit dem Europäischen Servicemodul. Das hat alles geklappt.

Das Europäische Servicemodul (ESM), von dem Zurbuchen spricht, ist ein zentraler Bestandteil des Orion-Raumschiffs. Es wird im Auftrag der NASA von der Europäischen Weltraumagentur (ESA) gebaut. Hauptauftragnehmer ist Airbus. Das Modul wird in Bremen zusammengebaut, mit Zulieferern aus zehn Ländern. Das Modul sorgt für den Antrieb und versorgt die Astronauten mit Strom, Luft und Wasser. Es ist die Herzkammer des Orion-Raumschiffs.

Geringerer Treibstoffverbrauch als erwartet

Auch bei Airbus zieht man eine positive Bilanz der Artemis I-Mission. Die erste Auswertung der Testdaten habe ergeben, dass das Orion-Raumschiff viel weniger Treibstoff und elektrische Energie verbraucht und gleichzeitig viel mehr Energie erzeugt habe, als berechnet.  

Marc Steckling, der Leiter von Space-Exploration bei Airbus führt aus:

Wir haben die erste Mission tatsächlich dazu genutzt, das Modul auf Herz und Nieren zu testen und haben festgestellt: Es hat 15 Prozent mehr Strom erzeugt, weil es sehr gute Solarzellen sind. Wir haben festgestellt, dass insgesamt das Antriebssystem sehr effizient ist. Wir haben fast 2 Tonnen Treibstoff – was 20 Prozent sind – weniger verbraucht.

Dies ermögliche künftige Missionen mit einer längeren Dauer oder größerer Masse, zum Beispiel bei Modul-Transporten zum Aufbau des sogenannten Lunar Gateway, einer Zwischenstation im Mondorbit. Sie soll noch in den zwanziger Jahren gebaut werden und als eine Art „Bushaltestelle“ im All auf dem Weg zur Mondoberfläche fungieren.

System wird überarbeitet

„Wir sind mehr Manöver geflogen, um Situationen durchzuspielen, die normalerweise nicht vorkommen“, erläutert Steckling. So haben sie beispielsweise die Einstellwinkel der Solarzellen gegenüber der Sonne komplett verändert. Artemis I habe sich dafür angeboten angeboten, weil noch keine Astronauten an Bord gewesen sind und man das System so auf Herz und Nieren testen konnte, berichtet der Leiter von Space-Exploration bei Airbus.

Auch Thomas Zurbuchen sagt: „Das Ziel war es, das System zu bestrafen, um sicherzustellen, dass Artemis II wirklich funktioniert, weil dort Menschen draufsitzen.“ Man habe bei der Mission viel gelernt, jetzt arbeiteten die Teams an Verbesserungen. Beispielsweise sei beim Wiedereintritt der Raumkapsel in die Erdatmosphäre der Hitzeschild an der Unterseite der Kapsel etwas stärker abgeschmolzen als man das erwartet habe.

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