Kaum geöffnet, wurde die "Millenium Bridge" schon wieder unter großem medialem Aufsehen geschlossen. Der Grund: Die Brücke begann zu schwanken, sobald Fußgänger auf ihr unterwegs waren.
Tacoma-Narrows-Brücke in den USA stürzte vier Monate nach Eröffnung ein
Dass Brücken – gerade Hängebrücken, wie die Millennium Bridge – ins Schwanken geraten können, ist nicht neu. Die Tacoma-Narrows-Brücke von 1940 im US-Bundesstaat Washington ist wohl eines der bekanntesten Beispiele. Durch ihre spezielle leichte Bauweise wurde bereits bei leichten Winden die Eigenfrequenz der Brücke angeregt und sie begann auf- und abzuschwingen. Auf historischen Aufnahmen ist der Ausschlag von 60 Zentimetern deutlich zu erkennen.
Dass die Tacoma-Narrows-Brücke nur vier Monate nach ihrer Eröffnung einstürzte, lag aber nicht oder zumindest nicht nur an diesen Schwingungen. Aerodynamische Effekte führten auch dazu, dass sich die Fahrbahn zusätzlich zu den Schwingungen verdrehte. Am 7. November 1940 hielt die Konstruktion diesen Drehungen nicht mehr stand und stürzte ein.
Gleichschritt bringt Brücken zum Schwingen
Dass die Millennium-Bridge ebenfalls ins Schwingen geriet, war aber kein Anfängerfehler der Konstrukteure. Sie berechneten die niedrigste Eigenfrequenz, bei der die Brücke zu schwingen beginnen würde, korrekt auf 1 Hertz, also eine Schwingung pro Sekunde. Würde man die Brücke irgendwie mit dieser Frequenz anregen, dann würde sie ins Schwingen geraten.
Ingenieure wissen auch, dass viele Menschen, die im Gleichschritt marschieren, die Eigenfrequenz einer Brücke anregen können. Ein Beispiel dafür findet sich ebenfalls in England: Die Broughton-Hängebrücke bei Manchester stürzte 1831 ein, weil eine Gruppe Soldaten die Brücke im Gleichschritt überquerte. Die Soldaten begannen ein Lied im Takt der Eigenfrequenz zu singen und verstärkten die Schwingungen absichtlich, bis die Brücke zerbrach und in den Fluss stürzte.
Unterbewusstes Marschieren im Gleichschritt
Da die Millennium-Bridge aber primär eine Brücke für zivile Fußgängerbrücke sein sollte und nicht für Soldaten, gingen die Konstrukteure nicht davon aus, dass große Menschenmengen sie im Gleichschritt überqueren würden. Es müsste schon eine bewusste, koordinierte, fast böswillige Aktion vieler Fußgänger sein, die die Brücke absichtlich zum Schwingen bringen wollten. Was sie allerdings nicht bedachten war, was viele Menschen unterbewusst tun.
Wir Menschen können über unebene und sogar sich bewegende Untergründe gehen und müssen nicht darüber nachdenken, wie wir unsere Beine bewegen müssen, in welchem Winkel wir auftreten müssen oder wie wir unser Gleichgewicht halten. Ohne viel Übung können wir auf einem schwankenden Schiffsdeck auf- und abgehen. Unser Gleichgewichts- und Sehsinn arbeiten mit den Muskeln in unseren Beinen und Füßen zusammen und das alles läuft unbewusst und automatisch ab.
Was auf der Millennium-Bridge genau passierte, ist nicht ganz klar. Vielleicht regte der Wind die Brücke ganz leicht an, vielleicht waren zufällig 10 oder 15 der Fußgänger im Gleichschritt unterwegs. Auf jeden Fall begann die Brücke ganz leicht, erstmal nicht spürbar zu schwanken. Das führte dazu, dass einige Menschen unbewusst ihre Schritte diesem Schwanken anpassten. Dadurch schwankte die Brücke wieder etwas mehr. Was wiederum zur Folge hatte, dass mehr Leute im Gleichschritt gehen.
Den Spitznamen "Wackelbrücke" trägt die Millenium-Bridge bis heute
Es entwickelt sich eine Art Kreislauf: Wurden die Schwingungen zu groß, hielten viele der Fußgänger an, um sich am Geländer festzuhalten, dadurch nahmen die Schwingungen wieder ab. Marschierten die Passanten wieder weiter, ging alles wieder von vorne los.
Dämpfer, Schwingungstilger, fünf Millionen Pfund und eineinhalb Jahre Umbauzeit waren nötig, um das Problem zu lösen. Und obwohl die Schwingungen mittlerweile verschwunden sind, ist die Millennium Bridge auch heute noch, mehr als 20 Jahre später, unter einem Namen bekannt: The Wobbly Bridge. Zu deutsch: die Wackelbrücke.