Wissenschaftler*innen der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg Essen ist es gelungen, den Zustand einer kleinen Patientengruppe über die Gabe eines Leptin-haltigen Medikaments maßgeblich zu verbessern. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin Translational Psychiatry veröffentlicht.
Christoph König hat mit Prof. Johannes Hebebrand, dem ärztlichen Leiter der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie für Kinder und Jugendliche am LVR Klinikum in Essen gesprochen. Er hat diese erste Vorstudie mit drei Patientinnen geleitet.
Dabei wurden die Probandinnen für einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen mit dem Medikaments Metreleptin behandelt, das eigentlich für eine seltene Stoffwechselstörung zugelassen ist. Diese „Zweckentfremdung“ des Medikaments, die man fachsprachlich auch „Off-Label-Use“ nennt, führte zu überraschend positiven Resultaten. Hebebrand betont, das sei ein aber nur ein erster Schritt, um aufzuzeigen, dass diese Behandlung in größeren randomisiert-kontrollierten Doppelblindstudien weiter untersucht werden sollte.
Wie die zusätzliche Gabe des Hormones Leptin wirkt
Leptin ist ein Hormon im Körper. Das hat jeder von uns. Dieses Hormon wird in den Fettzellen gebildet und gelangt über die Fettzellen in die Blutbahn und von dort dann auch unter anderem ins Gehirn und meldet quasi dem Gehirn die vorhandene Energie im Körper in Form von Fettmasse zurück.
Wenn also jemand abnimmt, fällt der Leptinspiegel im Serum oder im Blut einfach deshalb, weil dann weniger Fettmasse vorhanden ist. Und wenn dieses Hormon dann unterhalb von kritischen Schwellenwerten sich bewegt oder abfällt, dann wird sozusagen im Organismus die Anpassung an den Hungerzustand initiiert.
Fällt der Leptin-Spiegel im Blut ab, werden zahlreiche körperliche Funktionen auf Sparflamme gesetzt. Dann kann es auch zu übermäßiger körperlicher Aktivität kommen. Ein Symptom, das auch viele Magersüchtige zeigen, die häufig exzessiv Sport treiben.
Bei Magersüchtigen schaltet der Körper auf Sparflamme
Die Auswirkungen auf den Körper sind drastisch: Das Wachstum wird eingestellt, Haare können ausfallen. Die Körpertemperatur geht runter, der Puls geht runter, er kann manchmal sogar gefährlich runtergehen. Der Blutdruck sinkt. Die Haut kann trocken werden. Es gibt sehr viele Anpassungsvorgänge körperlicher Art.
Das Hirn kreist um den Nahrungsmangel
Wichtig sind auch die psychische Veränderungen. Das fängt damit an, dass man sich gedanklich eigentlich nur noch mit Essen beschäftigt, dass die Stimmung schlechter wird oder dass man anfängt, ein sehr ritualisiertes Essverhalten aufzunehmen oder dass man sehr zwanghaft rigide wird, dass die Spontanität im Leben verschwindet, dass die Kreativität im Leben ein Stück weit verschwindet.
In einem Rechenmodell kann man zeigen, dass zum Beispiel auch Hyperaktivität, also übermäßige Bewegung getriggert wird durch den Abfall des Leptinspiegels. Das sind alles auch zentralnervöse Anpassungsvorgänge an den Hungerzustand, die auch durch das Hormon Leptin mitreguliert werden.
Psychische Stabilität durch Gabe des Hormones Leptin
Durch die Gabe eines Medikamentes mit dem Hormon Leptin wird dem Organismus vorgespielt, dass alles in Ordnung ist, dass noch genügend Fettmasse und damit genügend Energie im Organismus vorhanden sind. Damit können diese Anpassungsvorgänge an den Hunger teilweise wieder ausgeschaltet werden.
Urlaub von der Magersucht
Bei den drei Magersüchtigen, die das Medikament im Rahmen der Studie genommen haben, hat sich die depressive Stimmung sehr rasch gebessert. Und zwar innerhalb von zwei bis drei Tagen so deutlich, dass es nicht nur die drei Patientinnen selbst bemerkten, sondern auch die Eltern und das Behandlungsteam. Auch das Konzentrationsvermögen wurde besser. Und die zwanghaften Handlungen weniger. Eine Patientin beschrieb es so: "ich habe das Gefühl, ich habe jetzt Urlaub von meiner Anorexie ".
Führt die Verbesserung des psychischen Zustands auch zu einer Gewichtszunahme?
Bisher können die Forscher nur psychische Veränderungen durch die zusätzliche Gabe des Hormones Leptin berichten. Und das auch nur an einer sehr kleinen Patientinnengruppe. Nun muss erforscht werden, ob sich das auch mit sehr vielen Betroffenen wiederholen lässt.
Weitere Studien sind notwendig
Ganz wichtig sind jetzt auch Studien, die prüfen, ob die Gabe von Leptin den Magersüchtigen langfristig oder mittelfristig hilft, auch wieder ein normales Gewicht zu erlangen. Sollten diese Studien erfolgreich sein, dann wären leptinhaltige Medikamente zumindest eine Möglichkeit, um die Psychotherapie bei Magersucht sorgsam zu unterstützen.