Kein Zweifel. Ingenuity (dt. Einfallsreichtum) ist geflogen. Der Mini-Helikopter fotografierte dabei seinen eigenen Schatten unter sich. Und der aus 60 Meter Entfernung das Geschehen beobachtende Rover Perseverance hat den Flug gefilmt und ein Zeitraffervideo davon zur Erde geschickt. Mehr und besseres Bildmaterial wird in den kommenden Tagen folgen.
Erschwerte Flugbedingungen auf dem Mars
Abheben konnte der Helikopter auf dem Mars nur deshalb, weil seine Rotorblätter um ein Vielfaches schneller rotieren als jene irdischer Helikopter. Und weil er sehr leicht gebaut ist. Die Marsatmosphäre ist 100mal dünner als die Erdatmosphäre. Flügel oder Rotorblätter generieren in ihr kaum Auftrieb. Das Team im Kontrollzentrum des Jet Propulsion Laboratory in Pasadena/Kalifornien konnte den historischen Flug nicht live verfolgen. Entfernung und zu übertragende Datenmenge waren dafür zu groß.
Erster Mars-Hüpfer des Helikopters war erfolgreich
Übermittelt wurden die Flugdaten vier Stunden nach dem historischen Moment von einem Satelliten in der Marsumlaufbahn, der mit dem Rover auf der Marsoberfläche in Verbindung steht. Der Rover wiederum hatte die Daten vom Mini-Helikopter erhalten und ihn bei seinem Hüpfer auf 3 Meter Höhe auch gefilmt. Nach seinem ersten Hüpfer ist Ingenuity sicher gelandet und technisch intakt. Wenn der nun folgende technische Check nach Plan geht, soll der Marshelikopter am 23. April zu einem etwas längeren Flug abheben.
Ingenuity als Vorbild für weitere Mars-Missionen
Ingenuity hat zwar 1.20 lange Rotorblätter, sein Rumpf ist aber nur so groß wie eine Schachtel für Kosmetiktücher. Ein Winzling im Vergleich zu den Marsrovern, die inzwischen groß wie PKW sind und nuklear angetrieben viele Jahre lang über den Mars rollen können. Aber Marsdrohnen und Helikopter sollen nun ebenfalls weiterentwickelt werden und deutlich wachsen. Ingenuity hat keine wissenschaftlichen Geräte an Bord. Seine Flüge sind als reine Technikdemonstration konzipiert.
Die NASA plant künftigen Marsrovern Helikopter und Drohnen mit mehreren Metern Rotorlänge an die Seite zu stellen – denn sie könnten mit dem Blick von oben das Gelände für die Rover vorerkunden und auch kleinere Lasten auf dem Mars transportieren.
Softwareprobleme sorgten für Verzögerungen
Beim Umschalten vom Vorbereitungs- in den Flugmodus hatte sich Ingenuity vor einer Woche abgeschaltet, anstatt seine Rotorblätter weiterlaufen zu lassen – eine Software hatte falschen Alarm geschlagen. Ein Komplettaustausch dieser Software hätte den Ingenieurinnen und Ingenieuren der NASA die Chance geboten, das Problem zu beseitigen. Aber sie sahen die Gefahr, dass durch das Hochladen des kompletten Programms von der Erde aus auf den Bordrechner in Millionen Kilometer Entfernung auf dem Mars neue Probleme entstehen. Deshalb wurde Ingenuitys Software nun lediglich an einer Stelle ausgebessert. Man nimmt damit in Kauf, dass immer noch ca. jeder siebte Startversuch mit einem Startabbruch enden könnte.
So verliefen die Vorbereitungen für den Flug
Der in zusammengeklapptem Zustand sehr flache Mini-Helikopter war ursprünglich an der Unterseite des Perseverance-Rovers montiert. Ihn von dort zu lösen, aufzuklappen und auf den Marsboden zu stellen dauerte allein ca. 10 Tage. Dazu kommt noch die Zeit, die es braucht, um die technischen Systeme und die Kommunikation vor dem Erstflug zu testen – und das Warten auf günstige Windbedingungen für den ersten Flugversuch.
So leicht, wie möglich
Im Grunde genommen sollte Ingenuity das Abheben auf dem Mars leichter fallen als auf der Erde, denn die Schwere-Anziehung des Mars beträgt nur 38 Prozent der Erdanziehung. Aber tatsächlich ist ein Helikopter-Flug auf dem Mars viel schwieriger als auf der Erde, weil die Mars-Atmosphäre derart dünn ist, dass die Rotorblätter erst bei sehr hohen Drehzahlen genügend Auftrieb für einen Flug erzeugen. Sie drehen mit ca. 2.400 Umdrehungen pro Sekunde fast 10-fach schneller als die Rotorblätter eines Helikopters auf der Erde.
Ingenuity ist deshalb auch sehr leicht gebaut und wiegt gerade mal 1,8 Kilogramm. Dieses Gewichtslimit nicht zu überschreiten war für die NASA-Ingenieurinnen und -Ingenieure die größte technische Herausforderung beim Bau des Geräts.
Testflüge für größere Fluggeräte in der Zukunft
Einen geeigneten Flugplatz für Start und Landung fand man direkt in der Nachbarschaft des Landeplatzes von Perseverance. Das Terrain dort ist sehr flach und frei von größeren Steinen, die vor allem die Landung nach den Testflügen behindern könnten. Bis zu fünf Testflüge sollen im Lauf von 30 Tagen durchgeführt werden.
Die Vorbereitungen
Die NASA geht davon aus, dass die empfindliche Elektronik des Marshelikopters 30 Marstage (31 Erdtage) bei bis zu -50 Grad Kälte durchhalten kann. Das wäre genügend Zeit, um fünf Flüge mit steigendem Schwierigkeitsgrad durchzuführen. Zur Vorbereitung auf den Erstflug waren diese Maßnahmen erforderlich:
1. Schutzabdeckung abwerfen
Der Helikopter hängt zunächst zusammengeklappt an der Unterseite des Rovers. Eine Schutzabdeckung hat bei der Landung des Rovers verhindert, dass Ingenuity durch aufgewirbelten Staub oder Steine hätte beschädigt werden können. Diese Abdeckung wurde am 21. März gelöst und ist unter dem Rover auf den Marsboden gefallen.
2. Fahrt zum Startplatz
Der „Flugplatz“ liegt in direkter Nachbarschaft zu Percy´s (Kosename der Techniker für Perseverance) Landeplatz. Der Rover hat den Platz bereits zentimetergenau auf Hindernisse untersucht. Die Zone, in der der Rover den Helikopter abstellen soll, ist ca. 3x3 Meter groß. Diese Zone ist Teil der 10x10 Meter großen Start- und Landezone. Diese wiederum ist Teil der Flugzone, die sich bis in 90 Meter Entfernung erstreckt.
3. Ausklappen und Absetzen des zusammengeklappten Helikopters
Ein komplizierter Vorgang, der 6 Sol (Marstage) oder umgerechnet ca. eine Erdwoche dauern kann. Weil man sehr vorsichtig vorgehen wird, sind hier Verzögerungen durchaus denkbar.
4. Helikopter-Batterien aufladen
Dazu muss der Rover den Startplatz innerhalb von 25 Stunden verlassen, damit Ingenuity nicht zu lange im Schatten des Rovers steht und eine Chance hat, seine Lithium-Ionen-Batterien in der Marssonne aufzuladen. Allerdings kommt auf dem Mars mit dem Sonnenlicht nur halb so viel Energie pro Fläche an, als auf der Erde.
5. Herstellen einer Datenverbindung zwischen Helikopter und Rover und von dort weiter zur Erde
Eine direkte Kommunikation mit dem Rover bzw. dem Helikopter auf dem Mars ist nicht möglich. Dafür sind immer Verbindungssatelliten in der Marsumlaufbahn notwendig. Für den Kontakt mit Ingenuity braucht es zusätzlich noch den Rover Perseverance als Relaisstation zum Satelliten, der dann wiederum das Signal zur Erde schickt.
6. Heizen
Batterien und Helikopter-Elektronik müssen minus 15 Grad Celsius „warm“ bleiben, trotz der minus 50 Grad kalten Marsnächte. Dafür sollen Heizelemente, isolierende Marsluftkissen und wärmespeichernde Metallelemente sorgen.
7. Testen der Rotoren
Vor dem Erstflug müssen die papierleichten, aber sehr steifen Rotorblätter einen Test am Boden bestehen. Die zwei 1,2 Meter langen Rotoren liegen übereinander und drehen sich gegenläufig.
8. Autonomes Fliegen
Ingenuity hat mehr Rechenleistung als alle Sonden und Rover zusammen, die die USA jemals zu anderen Himmelskörpern geschossen haben. Moderne Prozessoren haben (noch) eine geringe Lebensdauer in der harschen Mars-Umgebung. Deshalb sind in den langlebigen Marsrovern relativ alte und schwache Prozessoren verbaut. Da das Ingenuity-Experiment nur 30 Tage dauern soll, konnte man dafür zu Prozessoren greifen, die denen moderner Smartphones ähneln.
Diese Rechenpower ist notwendig, damit sich der Helikopter im Flug im Gelände orientieren kann und auch zum Ausgangspunkt zurückfindet. Und das alles ohne jede Steuerung von der Erde aus, denn jeder Funkbefehl von der Erde ist mehrere Minuten zum Mars unterwegs. Ingenuity muss sich also in jeder Phase seines Flugs selbst steuern. Dabei wird der Helikopter vom Rover gefilmt, der in sicherer Entfernung von 60 Metern auf einer als Aussichtspunkt günstigen Bodenerhebung geparkt wird.
9. Aufrechtes Landen
Die maximale Flughöhe wird 5 Meter betragen. Aus dieser Höhe kann der Laser-Höhenmesser den Landeanflug noch ausreichend genau vermessen. Sollte Ingenuity bei der Landung trotz aller Vorsicht nicht auf seinen vier dünnen Beinen landen, sondern umkippen, würden die Rotorblätter dabei mit Sicherheit stark beschädigt. Es würde keinen Sinn ergeben, zu versuchen, den Helikopter mithilfe des Rovers wieder aufzurichten. Die Technikdemonstration würde so vorzeitig enden.