Mathematik

Immer weniger Kinder können analoge Uhren lesen

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Autor/in
Stefan Troendle
Stefan Troendle, Reporter und Redakteur bei SWR Wissen aktuell und SWR Kultur Impuls.
Onlinefassung
Elisabeth Theodoropoulos

Eine analoge Uhr ablesen können – das hat mehr Bedeutung als nur zu wissen wie spät es ist. Denn analoge Uhren fördern auch das allgemeine Verständnis für Zahlen und fürs Kopfrechnen.

Verstehen von Zahlensystemen anhand der analogen Uhr

Wer die Uhr nutzen will, muss erst mal mit dem 12er, 24er und 60er Zahlensystem klarkommen. Und muss begreifen, dass jede Zahl auf dem Zifferblatt – zumindest bei uns im deutschsprachigen Raum für drei Zahlen steht. Zum Beispiel: Die Zwei steht für die zwei selbst, aber – nachmittags auch für die 14 (weil 2 + 12). Oder eben, wenn es nicht um Stunden geht: für die Zehn, für die Zahl der Minuten nach der vollen Stunde. Wer die Uhr kann, hat erst mal gelernt mit analogen Skalen umzugehen – vom Tachometer bis zum Drehzahlmesser.

Eine analoge Uhr mit Sekundenzeiger.
Das Verstehen der Uhr fördert das allgemeine Verständnis für Zahlen und fürs Kopfrechnen.

Als kleines Kind dies zu lernen ist erst mal ziemlich komplex – aber es hilft eben auch zu verstehen, dass der Tag zwei mal 12 – also 24 Stunden hat – und die Stunde 60 Minuten. Das ist zentral, um mit der Uhrzeit an sich umgehen zu können und fördert, wegzukommen vom rein Ereignis orientierten Denken wie Schlafen, Essen, Spielen oder Schule.

Das Erlernen der Uhr ist eine Kulturtechnik, die Eltern ihren Kindern zuhause beibringen können, genauso wie das Schnürsenkel binden. Dabei geht das ganz einfach: Erst mal mit dem kleinen Zeiger anfangen – wenn man bis 12 zählen kann. Das Problem ist allerdings: die Zahl der Eltern, die selbst keine Armbanduhr mehr tragen und sich aufs Handy verlassen, nimmt zu – woher sollen ihre Kinder das dann lernen?

Ein Mädchen hat sich den Wecker auf dem Handy gestellt.
Digitale Uhren verdrängen analoge Uhren. Wenn die Eltern sich nur auf ihr Smartphone verlassen, fehlt den Kindern das Verständnis für eine normale Uhr.

Weniger analoge Uhren - weniger Kinder können sie lesen

Der Lehrerverband schätzt: 10 bis 20 Prozent der Kinder können keine analogen Uhren mehr lesen. Das sind auf jeden Fall keine Einzelfälle mehr. In England ist das Problem wohl sogar noch viel größer als bei uns.

Ein schönes Beispiel ist, wenn es um die Zeitumstellung geht. Die lässt sich sehr viel plastischer darstellen, wenn man sieht, was passiert, wenn sich ein Uhrzeiger beim Umstellen eine Stunde nach vorne bewegt. Und: analoge Uhren können sehr viel besser ein Gefühl für die Zeit an sich vermitteln. Denn bei einer Uhr mit Sekundenzeiger lässt sich gut beobachten, wie sich  – ganz langsam – auch der Minutenzeiger mitbewegt. Man bekommt also ein wesentlich besseres Gefühl für Zeiträume, kann deren Dauer besser abschätzen. Wenn ich also zum Beispiel erkennen kann, wie lange der kleine Zeiger von einer bis zur nächsten Stunde braucht, erst dann kann ich verstehen, was eine Zeitspanne ist und Zeit besser planen.

Analoge Uhren sind wesentlich fürs Zeitgefühl und unsere Sprache

Wie lange brauche ich zur Schule, wann komme ich auf jeden Fall zu spät, wann muss ich los? Wie lange dauert eine Zugfahrt und wie lange habe ich während der Klassenarbeit noch Zeit? Wenn ich nicht mit Uhrzeiten umgehen kann: Wie soll ich dann einen Busfahrplan lesen und verstehen? Das einschätzen zu lernen, ist sehr schwer, wenn Ziffern einfach nur umspringen.

Digitale Uhr auf dem Schreibtisch. Viele Kinder können nur noch die digitalen Uhren lesen. Dabei fördern analoge das Verständnis für Zahlen.
Unsere Sprache, sowie unser Zeitgefühl bauen auf dem Verständnis analoger Uhren auf.

Hinzu kommt: Wie will ich anhand einer Smartwatch oder eines Handys erklären, warum es „halb fünf“ heißt – oder „viertel vor neun“? Was heißt an der Uhr drehen? Das bedeutet: Auch in Sachen Verständnis ist die analoge Uhrzeit elementarer Bestandteil unserer Sprache.

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