Erfolgsgeschichte im Kampf gegen den Hunger
Jochen Steiner, SWR2: Den weltweiten Hunger bekämpfen, das wollen wir schon ewig. Warum ist uns das bislang nicht gelungen?
Tilman Brück, Professor für wirtschaftliche Entwicklung und Ernährungssicherheit an der Berliner Humboldt-Universität: Es ist uns an ganz vielen Orten und in ganz vielen Jahren schon sehr gut gelungen, den Hunger zu bekämpfen. Uns geht es in Europa zum Beispiel viel besser als es uns je zuvor gegangen ist, auch im Bezug auf die Ernährungssicherheit.
Das Gleiche gilt in vielen Ländern der Welt. Beispiel China: Vor 50 oder 70 Jahren haben dort die Leute noch ganz massiv an Hunger gelitten, oft über Jahre hinweg, und das Land ist mittlerweile wohlhabend. Es gibt vielleicht noch arme Menschen, aber im Ganzen leidet eigentlich keiner mehr dort an Hunger.
Krieg und Unsicherheit verschärfen Hungersnot
Tilman Brück: Aber es gibt noch Länder und Regionen, in denen es strukturell zunehmend schwierig wird, die Menschen richtig zu ernähren – gerade in Afrika, südlich der Sahara und in Südasien. Hier gibt es mehrere Ursachen für den Hunger: Einerseits Krieg und Unsicherheit und mangelnde staatliche Funktionen. Im Somalia zum Beispiel herrscht Bürgerkrieg. Die Institutionen sind schwach, die Regierung kann sich nicht durchsetzen und es gibt Rebellen. In solchen Ländern ist es sehr schwer, eine Marktwirtschaft aufzubauen, Landwirtschaft aufzubauen und vernünftige Märkte zu betreiben. Es ist zum Beispiel sehr unsicher, Handel zu betreiben. In solchen Situationen entsteht struktureller Hunger.
Hungersnot kann situativ wiederkehren
Jochen Steiner: Ein Hunger-Hotspot ist also tatsächlich Subsahara-Afrika. Aber das ist nicht der einzige Ort, oder?
Tilman Brück: Hunger ist in vielen Ländern verbreitet. Allgemein kann man aber sagen: Je besser die Landwirtschaft in einem Land, desto weniger leiden die Menschen an Hunger. Aber wir sehen zum Beispiel in der Ukraine, dass dort Menschen jetzt auch an Hunger leiden, weil sich die Versorgungslage massiv durch den Angriff von Russland erschwert hat. Der Nachschub an Saatgut, an Düngemitteln und Weiterem ist nicht unbedingt gewährleistet. In solchen Extremsituationen kann dann auch wieder Hunger hervorkommen.
Hunger hat viele Gesichter
Tilman Brück: Hunger bedeutet nicht immer, dass man tagelang nichts zu essen hat. Es kann auch sein, dass man regelmäßig etwas zu wenig isstt. Das wäre dann Unterernährung. Es gibt aber auch andere Form der Fehlernährung: In manchen Ländern und sogar in manchen Familien gibt es Menschen, die zu wenig Essen bekommen, und Menschen, die zu viel Essen bekommen. Vielleicht bekommt zum Beispiel der Vater genug Essen, aber die Mutter nicht.
Klimakrise schürt Hunger in Afrika
Jochen Steiner: Die Zusammenhänge, wie es zu Hunger kommt, sind oft sehr komplex, oder?
Tilman Brück: Es gibt verschiedene Faktoren, die zu Hunger führen. Ganz schlimm ist es, wenn sich diese Faktoren vermischt. Die Klimakrise ist zum Beispiel gerade auch in Afrika ein großes Problem, wo sehr viele Menschen direkt von der Landwirtschaft abhängig sind – für die eigene Ernährung oder zumindest für ihr Einkommen. Wenn dort der Boden austrocknet, dann fehlt einfach die Lebensgrundlage für die Menschen. Sie müssen dann in die Städte ziehen, um überhaupt Einkommen zu haben. Das ist natürlich sehr fragil. Die Staaten sind zu arm, um die Menschen zu unterstützen. Eine Art Sozialhilfe gibt es oft nicht, sodass Menschen dann Hunger leiden müssen. Das ist der eine Faktor, die Klimakrise.
Machthaber lassen Menschen in Nordkorea hungern
Tilman Brück: Ein anderer Faktor ist, wenn staatliche Machtstrukturen missbraucht werden, wenn Gewalt ausgeübt wird. In Nordkorea zum Beispiel, gibt es keinen Krieg. Dort ist das Regime einfach nicht interessiert am Überleben und Wohlergehen seiner Bevölkerung. Es kommt dort zu massiven Versorgungsengpässen und auch massiven Hungersnöten, woran viele Menschen auch schon gestorben sind. Obwohl das ein Land ist, das sich gut selbst versorgen könnte. Aber die Regierung handelt eben nicht im Interesse ihrer Bürger. Dieser Machtmissbrauch ist ein zweiter großer Faktor, der dazu führt, dass Hungersnot entsteht.
"Zero Hunger Lab" soll Bewusstsein für Hungersnot schaffen
Jochen Steiner: Mit einigen Kolleginnen und Kollegen wollen Sie mit dem "Zero Hunger Lab" an der Humboldt-Universität in Berlin dem Hunger ein bisschen entgegenwirken. Was ist das für ein Labor? Und was wollen Sie damit erreichen?
Tilman Brück: Wir müssen einerseits die Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Thema lenken. Die Weltgemeinschaft hat sich mit den nachhaltigen Entwicklungszielen verpflichtet, bis 2030 den Hunger zu beenden. Das ist wahrscheinlich schwer zu schaffen. Aber es braucht eben Aufmerksamkeit, sowohl in der Öffentlichkeit, aber auch in der Fachwelt, damit wir besser verstehen, was die Ursachen von Hunger sind und was wirkt im Kampf gegen den Hunger. Das ist nicht immer ganz klar.
Man sollte den Leuten nicht unbedingt einfach Essen geben, sondern man muss ihnen helfen, dass sie sich selbständig gut ernähren können, ein Einkommen haben, gehört werden und ein würdiges Leben habe ohne Angst vor staatlicher Gewalt zum Beispiel. Diese Zusammenhängende wollen wir mit empirischen Arbeiten aufzeigen, sowohl im globalen Süden als auch bei uns. Denn auch in Deutschland und in Europa gibt es leider immer noch Hunger und Unterernährung. Ich denke, da ist es auch wichtig, nicht nur mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen und zu sagen, die haben es noch nicht geschafft. Sondern die gesunde und ausgewogene Diät für alle, die ist auch Deutschland noch nicht komplett erreicht.
Wir müssen den Hunger an der Ursache bekämpfen
Jochen Steiner: Was wären denn gute Schritte, um den Hunger schrittweise zu bekämpfen?
Tilman Brück: Da muss man bei den genannten Ursachen ansetzen, bei der Klimakrise einerseits. Die müssen wir verlangsamen, damit die Lebensgrundlagen von Hunderten von Millionen Menschen in der Welt sich nicht so schnell verändert und verloren gehen. Damit wäre vielen Menschen sehr geholfen, wenn Gebiete nicht so stark überschwemmen, wie wir befürchten oder zum Beispiel die Verwüstung nicht so schnell voranschreitet, wie es zurzeit der Fall ist.
Das Zweite ist, dass wir die willkürliche Macht von einigen Regimen versuchen zu reduzieren. Ich glaube, wir müssen diese Machtstrukturen ansprechen. Wir müssen auch die Ungleichheiten ansprechen, die an vielen Orten herrschen und die Menschen davon abhalten, für sich selbst zu sorgen und ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Das will ja jeder Mensch auf der Welt. Wir müssen alle Menschen in der Welt an der Globalisierung sinnvoll und gerecht beteiligen, damit jeder Mensch auf der Erde satt werden kann.