Verhindern von Heuschreckenplagen

Neue Forschung zur Schwarmbildung bei Heuschrecken mithilfe virtueller Realität

Stand
Autor/in
Michael Ringelsiep
Onlinefassung
Elisabeth Theodoropoulos

Forschende des Konstanzer Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie untersuchen mithilfe eines sogenannten Holodecks, wie Heuschrecken untereinander kommunizieren, wie sie sich zu Schwärmen vereinen und wie einzelne Tiere das Verhalten des gesamten Schwarms beeinflussen können.

Heuschreckenschwärme können ganze Ernten vernichten

Ein Heuschreckenschwarm kann an einem einzigen Tag so viel Nahrung vertilgen, wie 35.000 Menschen benötigen. Zudem können die Insekten bis zu 150 Kilometer am Tag zurücklegen und vermehren sich über Larven unglaublich schnell. So auch 2020, als in Kenia eine der schlimmsten Heuschreckenplagen seit Jahrzehnten wütete.

Fütterung von Heuschrecken
Ein Heuschreckenschwarm kann an einem einzigen Tag so viel Nahrung vertilgen, wie 35.000 Menschen benötigen.

Ein riesiger Schwarm, viele Millionen Heuschrecken, die alles kahlfressen. Drei Viertel der Fläche Kenias waren im Sommer 2020 davon betroffen. Für die Menschen in der Region eine unermessliche Katastrophe. Die Biologin Einat Couzin-Fuchs von der Universität Konstanz war damals vor Ort, erlebte das gewaltige Ausmaß der Plage und erinnert sich.

In Kenia waren wir wirklich überrascht, wie groß und dicht die Schwärme und Gruppen waren. Man konnte Tausende und Abertausende von Individuen auf einer Pflanze finden. Ich hatte davon gehört, Videos gesehen, konnte es aber trotzdem nicht fassen, wie groß der Schwarm war.

Neueste Forschung zur Schwarmbildung bei Heuschrecken

Einat Couzin-Fuchs ist Neurobiologin und forscht zusammen mit ihrem Mann Iain Couzin, der als Direktor das Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie leitet. Das Forscherpaar interessiert sich vor allem dafür, wie Heuschrecken untereinander kommunizieren, wie sie sich zu Schwärmen vereinen und wie einzelne Tiere das Verhalten des gesamten Schwarms beeinflussen können.

Wir wollen die Heuschrecken besser verstehen und erfahren, was sie dazu bringt sich zu bewegen, zu wandern, und wo sie Orientierungspunkte in ihrer Umgebung suchen, damit wir in Zukunft ihr Verhalten besser vorhersagen können.

Es ist Grundlagenforschung zu einem noch weitgehend unergründeten Bereich der Biologie.

Wir setzen sowohl Technologien ein, mit denen wir Individuen im Labor präzise verfolgen können, als auch neue Computer-Vision-Algorithmen, mit denen wir die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung untersuchen.

Dafür haben die Max-Planck-Forscher*innen eine Reihe ungewöhnlicher, technisch aufwändiger Experimente entwickelt.

Monitoring von 10.000 Heuschrecken

Zum Beispiel das „Imaging Hangar“- Experiment. Stundenlang kleben die Helfer dafür insgesamt 10.000 Heuschrecken einen Markierungspunkt auf den Rücken – so vielen wie noch nie zuvor. Bisherige Laborexperimente mit Heuschreckenschwärmen umfassten nur etwa hundert Tiere. Wichtig dabei ist, dass die Markierungen die Heuschrecken in ihren Bewegungen nicht stören.

Bisher ist es uns noch nie gelungen, Heuschrecken im Labor dazu zu bringen, natürliche Schwärme zu bilden. Wir können nun zum ersten Mal 10.000 einzelne Tiere in diesem „Imaging Hangar“ digital verfolgen, wie sie einen naturgetreuen Schwarm bilden. Das ermöglicht uns, zu verstehen, wie die Individuen interagieren, wie ihre Interaktionen im Zentimeterbereich zu Schwärmen führen, die sich dann über Hunderte von Quadratkilometern erstrecken können.

Markern der Tiere für das Heuschrecken Experiment
Die Helfenden haben insgesamt 10.000 Heuschrecken einen Markierungspunkt auf den Rücken geklebt.

Ein aufwändiges System erfasst die Daten. 30 Kameras filmen mit 100 Bildern pro Sekunde eine Woche lang den Schwarm. Die Tiere haben in der Halle optimale Bedingungen: 28 Grad Raumtemperatur, das Licht hat die gleiche Wellenlänge wie in der Natur, die Trackingpunkte für die 3D Auswertung stören nicht und jeden Abend macht sich der Schwarm über ausgelegtes Futter her. Die Frage ist: Wer folgt dabei wem?

Schwarm wird nicht von nur einem Tier angeführt

Laut den Forschenden hat der Schwarm keinen einzelnen Anführer. Das hatten sie vorher schon in der Natur beobachtet, nun konnten sie es aber auch mithilfe ihrer Daten zum ersten Mal empirisch belegen. Der Biologe Vishwanath Varma beschreibt dies als eines ihrer Hauptergebnisse.

Das andere betrifft den sozialen Zusammenhalt. Auch hier haben wir in der Praxis gesehen, dass Heuschrecken, die sich von der Gruppe entfernen, manchmal umkehren und zur Gruppe zurückkehren. Es scheint also eine Art soziale Anziehungskraft oder sozialer Zusammenhalt zu sein, der die Heuschrecke in den Schwarm zurückzieht, das belegen unsere empirischen Daten.

Um das Ganze zu erkennen, schauen die Forschenden auf einzelne Tiere. Denn wie sich eine Heuschrecke bewegt und wie sie auf ihre Umwelt reagiert, hat Einfluss auf den gesamten Schwarm. Mit diesem Experiment wollen die Wissenschaftler herausfinden, welche neuronalen Impulse eine Heuschrecke laufen und springen lassen.

Studie zur Schwarmbildung mithilfe eines Holodecks

Das Erstaunliche an Heuschreckenschwärmen ist, dass sie völlig unerwartet auftauchen, wie aus dem Nichts heraus entstehen.

Heuschrecken marschieren
Die Forschenden können zum ersten Mal mit einer solch großen Anzahl von Heuschrecken untersuchen wie Heuschrecken untereinander kommunizieren, wie sie sich zu Schwärmen vereinen und wie einzelne Tiere das Verhalten des gesamten Schwarms beeinflussen können.

Einat Couzin-Fuchs und ihr Team suchen deshalb auch nach den entscheidenden Impulsen, durch die das einzelne Tier zum Schwarmgeschöpf wird. Dafür setzen sie die Heuschrecke in eine Art „3D Kino“ und konfrontieren sie mit dem virtuellen Schwarm, den die Forscher nach Belieben beeinflussen können.

Es ist eine Spezialanfertigung, die Einzige, die es gibt. Wir haben das entwickelt, um das Verhalten von Heuschrecken zu studieren und zu sehen, was die Heuschrecken dazu bringt, die Laufrichtung zu ändern.

Wenn die Heuschrecke marschiert, erfassen die Forscher ihre Geschwindigkeit und Laufrichtung und durchsuchen diese Daten nach Mustern. So erhoffen sie sich Erkenntnisse darüber, wie die Entscheidungen einzelner Tiere den gesamten Schwarm beeinflussen – um in Zukunft vielleicht solche Schwärme gar nicht erst entstehen zu lassen.

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Michael Ringelsiep
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Elisabeth Theodoropoulos