Heuschreckenschwärme können ganze Ernten vernichten
Ein Heuschreckenschwarm kann an einem einzigen Tag so viel Nahrung vertilgen, wie 35.000 Menschen benötigen. Zudem können die Insekten bis zu 150 Kilometer am Tag zurücklegen und vermehren sich über Larven unglaublich schnell. So auch 2020, als in Kenia eine der schlimmsten Heuschreckenplagen seit Jahrzehnten wütete.
Ein riesiger Schwarm, viele Millionen Heuschrecken, die alles kahlfressen. Drei Viertel der Fläche Kenias waren im Sommer 2020 davon betroffen. Für die Menschen in der Region eine unermessliche Katastrophe. Die Biologin Einat Couzin-Fuchs von der Universität Konstanz war damals vor Ort, erlebte das gewaltige Ausmaß der Plage und erinnert sich.
Neueste Forschung zur Schwarmbildung bei Heuschrecken
Einat Couzin-Fuchs ist Neurobiologin und forscht zusammen mit ihrem Mann Iain Couzin, der als Direktor das Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie leitet. Das Forscherpaar interessiert sich vor allem dafür, wie Heuschrecken untereinander kommunizieren, wie sie sich zu Schwärmen vereinen und wie einzelne Tiere das Verhalten des gesamten Schwarms beeinflussen können.
Es ist Grundlagenforschung zu einem noch weitgehend unergründeten Bereich der Biologie.
Dafür haben die Max-Planck-Forscher*innen eine Reihe ungewöhnlicher, technisch aufwändiger Experimente entwickelt.
Monitoring von 10.000 Heuschrecken
Zum Beispiel das „Imaging Hangar“- Experiment. Stundenlang kleben die Helfer dafür insgesamt 10.000 Heuschrecken einen Markierungspunkt auf den Rücken – so vielen wie noch nie zuvor. Bisherige Laborexperimente mit Heuschreckenschwärmen umfassten nur etwa hundert Tiere. Wichtig dabei ist, dass die Markierungen die Heuschrecken in ihren Bewegungen nicht stören.
Ein aufwändiges System erfasst die Daten. 30 Kameras filmen mit 100 Bildern pro Sekunde eine Woche lang den Schwarm. Die Tiere haben in der Halle optimale Bedingungen: 28 Grad Raumtemperatur, das Licht hat die gleiche Wellenlänge wie in der Natur, die Trackingpunkte für die 3D Auswertung stören nicht und jeden Abend macht sich der Schwarm über ausgelegtes Futter her. Die Frage ist: Wer folgt dabei wem?
Schwarm wird nicht von nur einem Tier angeführt
Laut den Forschenden hat der Schwarm keinen einzelnen Anführer. Das hatten sie vorher schon in der Natur beobachtet, nun konnten sie es aber auch mithilfe ihrer Daten zum ersten Mal empirisch belegen. Der Biologe Vishwanath Varma beschreibt dies als eines ihrer Hauptergebnisse.
Um das Ganze zu erkennen, schauen die Forschenden auf einzelne Tiere. Denn wie sich eine Heuschrecke bewegt und wie sie auf ihre Umwelt reagiert, hat Einfluss auf den gesamten Schwarm. Mit diesem Experiment wollen die Wissenschaftler herausfinden, welche neuronalen Impulse eine Heuschrecke laufen und springen lassen.
Studie zur Schwarmbildung mithilfe eines Holodecks
Das Erstaunliche an Heuschreckenschwärmen ist, dass sie völlig unerwartet auftauchen, wie aus dem Nichts heraus entstehen.
Einat Couzin-Fuchs und ihr Team suchen deshalb auch nach den entscheidenden Impulsen, durch die das einzelne Tier zum Schwarmgeschöpf wird. Dafür setzen sie die Heuschrecke in eine Art „3D Kino“ und konfrontieren sie mit dem virtuellen Schwarm, den die Forscher nach Belieben beeinflussen können.
Wenn die Heuschrecke marschiert, erfassen die Forscher ihre Geschwindigkeit und Laufrichtung und durchsuchen diese Daten nach Mustern. So erhoffen sie sich Erkenntnisse darüber, wie die Entscheidungen einzelner Tiere den gesamten Schwarm beeinflussen – um in Zukunft vielleicht solche Schwärme gar nicht erst entstehen zu lassen.