Illustration einer Pflanzenzelle

Biochemie

Forschende entwickeln künstliche Photosynthese

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Autor/in
Lilly Zerbst
Portraitbild der Reporterin Lilly Zerbst.
Onlinefassung
Leila Boucheligua

Es klingt nach Science-Fiction, was Forschenden des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie in Marburg gelungen ist: Sie haben einen Weg gefunden, biologische Prozesse durch elektrischen Strom anzutreiben - ein Ladekabel für die Biologie sozusagen. Was haben die Forschenden nun damit vor?

Menschen und Pflanzen sind gute Energiespeicher

Wer kennt nicht den Kult-Film Matrix: Menschen werden von Maschinen als Energiequelle missbraucht, während ihnen eine virtuelle Scheinwelt – die Matrix – vorgegaukelt wird. Ziemlicher quatsch, hoffentlich. Was aber kein Quatsch ist: Lebewesen sind tatsächlich gute Energiespeicher: Mehr als 130 Terawatt pro Jahr werden an Energie in Biosystemen gespeichert - das ist um ein Vielfaches mehr als der Mensch jährlich an elektrischer Energie speichert.  

Wie cool wäre es also, wenn wir elektrische Energie direkt in biochemische Energie umwandeln könnten - in einer Art “Bio-akku” speichern und dann weiterverwenden? Genau das ist jetzt Forschenden des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie in Marburg erstmals gelungen. Das Prinzip funktioniert, wenn auch erst auf sehr kleinen Skalen.

Ein "Ladekabel" für die Biologie

Was die Forschenden in Marburg entwickelt haben, ist sozusagen ein "Ladekabel" für die Biologie , erklärt Tobias Erb, Direktor der Abteilung "Biochemie und Synthetischer Metabolismus“: 

Ganz ähnlich, wie wenn Sie in den Urlaub fahren und dort das richtige Kabel suchen, um ihr Handy aufzuladen, so haben wir jetzt ein Kabel gefunden, das es uns erlaubt, elektrische Energie direkt in biochemisch Energie umzuwandeln.

Diese biochemische Energie ist Adenosintriphosphat - kurz: ATP. Das Molekül ist besser bekannt als der Energiespeicher einer jeden Zelle. Je mehr ATP, desto mehr Energie haben wir, um zu wachsen, uns zu bewegen und so weiter - genauso ist es auch bei Pflanzen. 

Dr. Shanshan Luo und Prof. Dr. Tobias Erb präsentieren die Reaktionskammer
Dr. Shanshan Luo und Prof. Dr. Tobias Erb vom Max-Plack-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg waren an der Entwicklung der Reaktionskammer beteiligt, in der die künstliche Photosynthese abläuft.

Forschende kürzen aufwendige Photosynthese ab

Pflanzen gewinnen ATP aufwendig aus Sonnenenergie – Stichwort Photosynthese. Mit dem ATP stellen sie dann Traubenzucker her, einen wichtigen Baustein für Stärke und andere komplexe Wertstoffe, die auch für uns nützlich sein können. Diesen energieintensiven Prozess haben die Forschenden jetzt im Labor abgekürzt. Ihre vereinfachte „künstliche Photosynthese“ eröffnet ganz neue Möglichkeiten: 

Das ist ganz verrückt. Wir können mit Elektrizität tatsächlich die Vorläufer-Bausteine der Stärke herstellen und müssen in der Zukunft auf diesem Feld eventuell nicht mehr zuerst mühsam Getreide anzüchten. Das ist natürlich eine super Vision. 

Das neue Verfahren braucht deutlich weniger Energie

Auf dem Weg zu dieser Vision ist das neue Verfahren ein erster Durchbruch: Denn bisher konnte ATP nur mit viel Aufwand chemisch hergestellt oder zum Beispiel aus Bakterien oder Zellen im Labor gewonnen werden. Jetzt ist es dem Marburger Forschungsteam gelungen, das ATP mithilfe von “nur” vier Enzymen herzustellen - ganz ohne eine Zelle drumherum.

Das hat einen entscheidenden Vorteil: Denn anstatt Zellen mit viel Nährstoffen füttern zu müssen, können sie beim neuen Verfahren direkt mit Elektrizität gefüttert werden und so ein chemisches Produkt herstellen, ohne dass die Zellen noch zusätzlich gemästet werden müssten und so viel Energie verloren geht, erklärt Erb.

Forschende stellen Antiobiotika und Biotreibstoff her

Mit dem vereinfachten Verfahren der Wissenschaftler wird jetzt also theoretisch viel weniger Energie benötigt, um ATP herzustellen und daraus wichtige Wertstoffe wie Stärke, aber auch Antibiotika oder Biotreibstoffe herzustellen. Der Wirkungsgrad könnte dem Biologen zufolge sogar fünf- bis zehnmal höher sein als bei der natürlichen Photosynthese – so weit zumindest die Theorie. 

Nahaufnahme eines Blatts
Bei der Photosynthese wird der Energiträger ATP aufwendig aus Sonnenenergie hergestellt. Mithilfe des Moleküls ATP können Pflanzen dann Traubenzucker herstellen und so letztlich Stärke sowie andere komplexe Wertstoffe.

Das Konzept ist vielversprechend

Bis dahin ist aber noch viel Forschungsarbeit nötig. Noch sind die Enzyme nicht stabil genug – sie bauen sich zu schnell ab, um langfristig eingesetzt werden zu können. Und die umgesetzten Energiemengen sind bisher noch zu klein: 

Wie skalierbar das ist und wann das in einem großem Maßstab eingesetzt werden kann, ist eine andere Frage. Aber dass es möglich ist, haben wir gezeigt. 

Tool könnte beim Klimaschutz helfen

Darauf will der Forscher aufbauen: Das nächste Projekt steht bereits in den Startlöchern. Gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut will Professor Erb mit seinem Team jetzt die elektrische ATP-Produktion mit einer weiteren wichtigen Komponente der „künstlichen Photosynthese“ koppeln: Der Entnahme von klimaschädlichem CO2 aus der Atmosphäre.

Dieses CO2 könnte dann - wie in echten Pflanzen auch - zu Wertstoffen weiterverabreitet werden. Dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist, weiß der Biologe. Doch er ist zuversichtlich, schließlich waren selbstfahrende Autos noch vor zehn oder 20 Jahren Zukunftsmusik und so könnte auch die künstliche Photosynthese in zehn oder 20 Jahren eine neue Welle der Nachhaltigkeit darstellen, so Erb.

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