Corona-Pandemie

Gamen für die Wissenschaft – „EVE Online“ hilft bei Covid-19-Forschung

Stand
Autor/in
Tobias Nowak
Onlinefassung
Vincent Kolominsky

Im Weltraum-Spiel „EVE Online“ können die Spieler kleine Rätselaufgaben lösen und Forscher*innen bei der Untersuchung von Blutzellen bei Covid-19-Patienten erfolgreich unterstützen.

In den Weiten des virtuellen Weltraums haben Spieler des Computerspiels „EVE Online“ schon mehrfach der harten Naturwissenschaft der echten Welt unter die Arme gegriffen. Jüngst fand das Team hinter dem erfolgreichen Rollenspiel in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern einen überraschenden Weg, auch die Erforschung von Covid-19 durch das Zocken voranzutreiben.

Im Juni 2020 versammelten sich die Spielentwickler der isländischen Firma CCP, ein Wissenschaftsvermittler, ein medizinischer Genetiker, ein Professor für Informatik und ein Youtuber in einem Livestream. Sie präsentierten der Spielergemeinde des Weltraum-Abenteuer-Spiels „EVE Online“ die dritte Ausgabe von „Project Discovery“, einem Mini-Game, also einem Spiel im Spiel. Darin können die Gamer*innen kleine Puzzles lösen, die Forschungsteams wichtige Daten über das Coronavirus liefern.

„Project Discovery“ verbindet Spiel und Forschung

„EVE Online“ ist der spielgewordene Traum vieler Science-Fiction-Fans: Mit dem eigenen Raumschiff durch Asteroidengürtel fliegen und nach Rohstoffen suchen, Wurmlöcher auskundschaften, interstellaren Handel betreiben und natürlich in großen Raumschlachten kämpfen. Seit mittlerweile 17 Jahren gilt es als eines der komplexesten Spiele überhaupt, mit einer enorm steilen Lernkurve, einer eigenen Volkswirtschaft und sogar spielerbetriebenen Börsen.

Schon in der Vergangenheit leisteten Spieler*innen des Online-Rollenspiels ihren Beitrag für die Wissenschaft. In den letzten Jahren unterstützten sie Forscher*innen bei der Erstellung des Human Protein Atlas und bei der Suche nach Exoplaneten – und nun im Kampf gegen das Corona-Virus. In „Project Discovery“ können EVE-Piloten und Pilotinnen quasi im Cockpit ihres Raumschiffes spielen, wenn es im Spiel mal langweilig zugeht, etwa beim Asteroiden-Abbau oder langen interstellaren Raumsprüngen.

Spieler sollen Zelltypen im Blut von Covid-19-Patienten markieren

Diesmal sehen sie mikroskopische Aufnahmen von Blutzellen italienischer Covid-Patient*innen. Dafür werden die Blutzellen mit bestimmten fluoreszierenden Proteinen markiert. Daran, wie stark die Zellen leuchten, lässt sich der Zelltyp erkennen. Diese erscheinen in den Aufnahmen dann als Gruppen von Punkten auf einem Bildschirm.

Professor Ryan Brinkman von der University of British Columbia in Vancouver betreut „Project Discovery“ wissenschaftlich und beschreibt den Prozess, in dem die Spieler und Spielerinnen eine zentrale Rolle einnehmen:

„Bestimmte Zelltypen werden auf dem Bild als Cluster von Punkten gezeigt, vielleicht ein großer Haufen links unten, ein kleiner rechts oben. Und die Wissenschaftler wollen wissen, wie viele Punkte es in jeder der gezeigten Gruppen gibt. Um das zu tun, müssen die Gruppen erst definiert werden.“

Dafür müssen die Gamerinnen und Gamer als „Bürger-Forscher“ nun Linien um die verschiedenen Ansammlungen von Punkten herum zeichnen. Indem sie klare Grenzen zwischen den Clustern ziehen, helfen sie den Wissenschaftlern zur nächsten Erkenntnis: Diese wollen nämlich wissen, welche Zellsorten sich in verschiedenen Phasen einer Covid-Infektion in welcher Konzentration im Blut befinden. Beispiele dafür sind T-Zellen, rote Blutkörperchen oder Killerzellen.

Es erstaunt, dass in Zeiten, in denen allerorts und insbesondere in der Medizin von künstlichen Intelligenzen gesprochen wird, kein Computeralgorithmus so eine vermeintlich leichte Aufgabe erledigen kann. Obwohl schon einige Programme für diese Aufgabe entwickelt wurden, funktionieren diese nicht sehr gut. Menschen seien laut Brinkman jedoch von Natur aus extrem begabt darin, visuelle Daten aufzunehmen und Muster zu erkennen.

Bisher 53 Millionen Bilder analysiert

Deshalb helfen nun die Spiel-Piloten in „EVE Online“ aus und malen Kreise um Gruppen von Punkten. Ryan Brinkman war zunächst skeptisch, obwohl er selbst begeisterter Gamer ist. Die Tatsache, dass jedoch täglich tausende Menschen der Wissenschaft helfen würden und manche von ihnen sogar mehr als 200 Bildrätsel am Tag lösten, nahm ihm seine Zweifel. Dem Creative Director bei CCP, Bergur Finnbogason, zufolge hätten bisher 200.000 Menschen mitgemacht. Diese sollen fast 53 Millionen Bilder analysiert haben.

Girl Gamer spielt am Computer
Tausende von Spieler*innen tragen täglich zur Forschung bei. Manche lösen über 200 Bildrätsel pro Tag.

Spieler essentiell für Fortschritt des Projekts

Dabei vermeiden sie durch „Goldstandard“-Bilder und vielfache Bewertungen jedes einzelnen Bildes Fehler. Bisherige Prüfungen ergaben, dass die „Bürger-Forscher“ fast genau so präzise analysieren wie Wissenschaftler*innen. So bringt die Arbeit in „Project Discovery“ vor allem Zeitersparnis. Ein einzelner Wissenschaftler hätte für die Analyse des bisher von den Spielern analysierten Materials 130 Jahre gebraucht. Die fleißige Unterstützung durch die Spielerschaft ist also ein wichtiger Teil des Prozesses. Die gewonnene Zeit können die Wissenschaftler*innen nun für Aufgaben verwenden, die für Laien zu speziell sind. Das wiederum freut die Teilnehmenden. Bergur Finnbogason spricht für die „EVE Online“-Gemeinde und die Spielentwickler.

„Es macht uns ganz demütig, sowohl die Firma als auch die Community, dass wir den Kampf gegen die Pandemie unterstützen können. Denn der einzige Weg, das Virus zu schlagen, ist zusammenzuarbeiten.

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Tobias Nowak
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Vincent Kolominsky