Bei genetischen Untersuchungen hat die Medizin heute enorme technische Möglichkeiten. Doch schnell ist der Punkt erreicht, an dem sich die Frage stellt: Wollen wir das überhaupt? Zum Beispiel wären Fachleute heute in der Lage, bei allen Paaren mit Kinderwunsch zu untersuchen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ihre Kinder bestimmte genetische Erkrankung haben werden.
Welche Auswirkungen diese Information auf werdende Eltern oder Paare mit Kinderwunsch hat, hat eine große Studie in Australien nun untersucht.
Drei Viertel der Paare mit erhöhtem Risiko änderten Familienplanung
In der Studie wurden bei mehr als 9.000 Paaren geschaut, ob sie bekannte Auffälligkeiten in einer Liste von Genen aufweisen. Das geschah entweder vor oder zu Beginn einer Schwangerschaft.
Bei 175 Paaren wurden die Forschenden fündig. Drei Viertel der Paare, die noch nicht schwanger waren, entschieden sich daraufhin, eine künstliche Befruchtung durchzuführen und die Gene des Embryos vor der Verwendung untersuchen zu lassen.
Von den bereits Schwangeren entschieden knapp zwei Drittel der Paare, den Embryo im Bauch genetisch untersuchen zu lassen. In fünf Fällen bestätigte sich der Verdacht, vier der betroffenen Paare führten daraufhin einen Schwangerschaftsabbruch durch.
Insgesamt änderten drei Viertel der Paare mit einem erhöhten Risiko etwas an ihrer bisherigen Familienplanung.
Wahl liegt bei den Eltern
Ziel des Projekts sei es, den Paaren Selbstbestimmung bei der Reproduktion zu geben, erklärt der Studienleiter Dr. Edwin Kirk, Professor für klinische Genetik am Sydney Childrens Hospital. "Wenn sie die Informationen haben, können sie über die bestimmte Erkrankung nachdenken und nach ihren Werten entscheiden, wie sie damit umgehen. Und um diese Wahlmöglichkeit geht es uns.”
Denn, und das ist für den Studienautor wichtig zu betonen: Nicht alle Paare reagierten gleich. Einige hätten sich entschieden, nichts weiter zu unternehmen.
Können werdende Eltern das Risiko auf Erbkrankheiten richtig einschätzen?
Damit Menschen in der Lage sind, eine solche Entscheidung gut zu treffen, müssen sie die Situation richtig begreifen. Das Wichtigste bei dieser Arbeit sei deshalb die Kommunikation mit den Paaren, sagt Edwin Kirk. Vor den Tests und natürlich auch, wenn das Ergebnis vorliegt.
Um eine so große Zahl an Paaren, die getestet werden sollen, zu informieren, bauten die Forschenden eine Website mit allen Informationen auf. Nur, wer ein erhöhtes Risiko für eine der ausgewählten Erkrankungen aufweist, erhält eine Beratung mit einer Spezialistin.
Doch selbst dann könne es schwierig sein, wirklich zu erklären, was die Ergebnisse bedeuten, sagt Christian Schaaf. Er ist Humangenetiker an der Uniklinik Heidelberg.
Und das gelte nicht nur für Menschen mit einer kurzen Schulbildung: „Auch in den höchsten Bildungsebenen ist der Umgang mit Wahrscheinlichkeiten immer noch eine große Herausforderung.“
Tests erkennen eine Auswahl genetischer Erkrankungen
Ein sehr kontroverser Punkt sei gewesen, auszuwählen, nach welchen Erkrankungen man in einem solchen Screening suchen sollte, erklärt der Genetiker Edwin Kirk. Welche Erkrankungen schwer genug seien, damit man vorab davon wissen wolle – das sei eine sehr individuelle Entscheidung. Am Ende einigten sich die Forschenden auf eine Liste von mehr als 1.200 Genen.
Doch viele krankmachende Mutationen entstünden spontan, also erst nach der Befruchtung, sagt Christian Schaaf von der Uniklinik Heidelberg. Die finde man mit einem solchen Screening nicht. „Wir können noch so viel sequenzieren, wir werden nie gesunde Kinder garantieren können.“
Aktuell können Paare sich solche genetischen Tests von kommerziellen Anbietern kaufen, erklärt Edwin Kirk. Doch die seien teuer – im Moment hätten also nur wohlhabendere Menschen Zugang zu solchen Informationen.
Screening der Eltern ist umstritten
Verschiedene Fachleute sehen aber auch ethische Probleme beim Testen der Eltern: Es sei möglich, dass ein solches Screening zum „Aussortieren“ von bestimmten Erkrankungen und Behinderungen führe – auch wenn das nicht das Ziel der Initiatoren sei.
Christian Schaaf von der Uniklinik Heidelberg sagt, dass eine solche Diskussion in Deutschland noch nicht ausreichend geführt wurde.
"Wir alle müssen uns damit beschäftigen, ob wir uns mehr und mehr einem 'System des Utilitarismus' annähern, wo wir sagen, für die gesamte Volksgesundheit ist es gut, wenn wir bestimmte schwere Krankheiten vermeiden können", so Schaaf. "Oder ob wir tatsächlich zu einem Punkt kommen, wo wir sagen, wir versuchen die Krankheiten rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln. Und wir akzeptieren aber auch als Bevölkerung, dass wir nie alle Krankheiten werden vermeiden können."
Es gehe auch darum, einen ethisch, sozialen Umgang mit Erkrankungen und den Betroffenen zu finden, der wertschätzend sei und auch ihre Perspektive wahrnehme.
Edwin Kirk hofft, bereits nächstes Jahr der australischen Regierung einen Vorschlag für ein bevölkerungsweites Screening von Paaren vorlegen zu können, damit diese in Zukunft die Tests für alle finanziert.