Nicht nur fahren, sondern dabei auch Strom tanken. Wenn das speziell ausgestattete Elektroauto über die Teststrecke auf dem Gelände der Universität Stuttgart rollt, wird sein Akku dabei aufgeladen. Die Teststrecke befindet sich auf einem Parkplatz der Universität und besteht aus orangefarbenen und blauen Kunststoffplatten, die wie Puzzleteile aneinander gefügt werden. Die Strecke ist sehr kurz: Um die zwanzig Meter zurückzulegen braucht das Auto keine halbe Minute. Es geht bei diesem Versuchsaufbau aber auch nicht um Distanz, sondern darum etwas zu demonstrieren: Kontaktloses Laden – das klappt gut, sagt Nejila Parspour vom Institut für Elektrische Energieumwandlung.
Ohne Kontakt, nur durchs Fahren wird hier auf der Strecke Energie an das Auto übertragen. „Dynamisches induktives Laden“ heißt die Technologie, an der das Team von Nejila Parspour seit 2020 arbeitet. Im Gegensatz zum sogenannten konduktiven Laden – also dem Aufladen eines E-Autos über ein Kabel – kann der Akku beim induktiven Laden kontaktlos aufgeladen werden.
Die Technologie braucht also keine Steckdose und auch kein dickes Kabel. Stattdessen reicht es, wenn sich das Auto über einer besonderen Ladefläche befindet.
Unterwegs laden statt Lade-Stopps
In Braunschweig gibt es schon seit 2014 einen öffentlichen Bus, dessen Elektroantrieb induktiv aufgeladen wird. Allerdings muss der Bus, den seine Erfinder*innen Emil tauften, dazu zehn Minuten lang auf einer Ladefläche anhalten. Emil lädt also stationär.
Das kann gerade bei einem Bus von Nachteil sein, wenn er eigentlich eine Verspätung aufholen muss, die durch den Stadtverkehr entstanden ist – dann aber erstmal zehn Minuten stehen muss, um zu laden. Besser wäre es, Fahrzeuge könnten einfach laden während sie fahren – dynamisch also.
Genau diese Idee setzt das Stuttgarter Forschungsteam um Parspour in die Tat um. Doch wie funktioniert das Laden während dem Fahren?
Magnetspulen unter dem Asphalt übertragen den Strom
„Unter der Straße sind Spulen eingebaut, durch die fließt ein Wechselstrom. Es gibt ein magnetisches Wechselfeld“, erklärt Nejila Parspour. Straße und Auto sind also durch Magnetfelder miteinander verbunden. In der Straße erzeugen Spulen das Magnetfeld. Unten am Auto sitzt auch eine Magnetspule, die das Magnetfeld empfängt - immerhin mit einem Abstand von zwanzig Zentimetern.
Durch dieses ständig wechselnde Magnetfeld kann Energie übertragen und in Strom umgewandelt werden. Die Straße erkennt genau, wo sich das Auto befindet und überträgt nur dort den Strom. Es lassen sich dabei auch über die Straße Daten übertragen - so kann später auch ermittelt werden, wer wieviel Strom getankt hat.
Israelisches Unternehmen plant Busstrecke in Baden-Württemberg
Eine Vision der Forschenden ist, dass so die Reichweite von Elektrofahrzeugen vergrößert werden kann. Doch wo wird sich die Technik als erstes durchsetzen? Verkehrsplaner Manfred Wacker von der Uni Stuttgart sieht viel Potential:
Auch in Baden-Württemberg und Israel wird an der Entwicklung des dynamischen Ladens geforscht. Electreon heißt das israelische Unternehmen, das schon mehrere funktionierende Ladestrecken in verschiedenen Ländern gebaut hat. Zwei Electreon-Strecken sind jetzt auch in Deutschland geplant. Eine der Strecken soll bis 2025 in Nordbayern entstehen. Die Teststrecke ist mit einer Länge von einem Kilometer geplant – auf einer Autobahn. Daran arbeitet das Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Universität Erlangen.
In Balingen haben Electreon und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) schon konkretere Pläne. Dort findet dieses Jahr ab Mai die Landesgartenschau statt, bei der es einen Shuttle-Bus mit induktivem Ladesystem geben wird. Das Unternehmen und die Forschenden sehen hier eine Mischform aus dynamischen und statischem Laden vor.
Stuttgarter Teststrecke erreicht hohen Wirkungsgrad
In Karlsruhe gibt es schon einen hundert Meter langen Straßenabschnitt, über den ein Bus beladen wird. Allerdings erreicht diese Busladestrecke „nur“ einen Wirkungsgrad von 85 Prozent – die Stuttgarter Forschenden erreichen mit ihrer Strecke einen um einige Prozentpunkte höheren Wirkungsgrad von 92 Prozent. Das sei das wirklich Innovative an ihrer Arbeit, so Nejila Parspour.
Auch für autonome Fahrzeuge soll die Technologie bald getestet werden. Hier fallen dann unnötige Standzeiten weg und eine größere Reichweite ist möglich. Egal, bei welchem Fahrzeugtyp das dynamische Laden künftig zum Einsatz kommt: Manfred Wacker ist überzeugt, dass es E-Autos effizienter machen könnte.
„Das Fahrzeug wird leichter sein, das leichtere Fahrzeug bei gleicher Geschwindigkeit, sonst gleichen Eigenschaften wird weniger Energie verbrauchen. Also wir werden da Strom sparen", sagt der Verkehrsplaner Manfred Wacker.
Induktives Laden womöglich umweltfreundlicher
Aber die neue Lade-Infrastruktur braucht auch Energie, noch geht immer ein bisschen Strom verloren. Ob am Ende wirklich weniger Strom gebraucht wird, steht als noch nicht fest. Allerdings gibt es noch einen weiteren möglichen Vorteil des dynamischen Ladens: Denn wenn der Akku unterwegs ständig laden kann, muss der Akku nicht so groß und schwer sein wie der von herkömmlichen E-Autos. Das würde Lithium und seltene Erden einsparen, die für normale Akkus unverzichtbar sind.
Außerdem braucht ein induktiv ladender Akku nicht jedes Mal voll aufgeladen werden, weil er unterwegs ja immer wieder Strom tanken kann ohne zu halten. Es reicht, wenn der Ladestand konstant bei um die 50 Prozent bleibt. Das verhindert nicht nur das Liegenbleiben, sondern macht die Akkus langlebiger, was wiederum Ressourcen spart.
Technologie noch sehr teuer
Gefährlich sind die Magnetfelder übrigens nicht – auch nicht für Fußgänger auf den umgerüsteten Straßen. Noch ist die Technik aber für einen größeren Ausbau viel zu teuer, denn der Preis liegt bei etwa 1000 Euro pro Meter.
Das könnte sich aber schnell ändern, sagt Nejila Parspour. Ähnlich wie bei Induktionsherden, die am Anfang noch sehr teuer waren, erwartet Parspour, dass die Technologie in Zukunft deutlich günstiger werden könnte als jetzt in der Entwicklungsphase.
Breiter Einsatz schon in zehn Jahren denkbar
Wenn Parspours Einschätzung stimmt, könnten elektrifizierte Autobahnen in Zukunft nur fünf Prozent teurer sein als Strecken ohne Lademöglichkeit. Die Technik könnte schon jetzt zumindest in kleineren Teilabschnitten eingesetzt werden, sagt Marco Zimmer vom Institut für Elektrische Energiewandlung:
Mit einheitlichen Standards, quer hinweg über alle Hersteller, könne es dann sehr schnell gehen. Nur dann kann die aufgebaute Infrastruktur auch später von allen verwendet werden. Jetzt müssen sich die Magnetspulen, das induktive Laden aber erstmal fest in einer Straße verbaut beweisen.