Deutscher Zukunftspreis 2021 – Die Nominierten

Kautschuk aus Löwenzahn

Stand
Autor/in
Werner Nording
Onlinefassung
Ralf Kölbel

Ein Forscherteam aus Münster und Hannover hat eine neue und nachhaltige Quelle für Naturkautschuk gefunden: Den Löwenzahnkautschuk. Der ließe sich in hiesigen Breiten anbauen, würde die weitere Zerstörung des Regenwaldes verhindern und könnte die Autoreifenproduktion revolutionieren.

In den Tropen werden wertvolle Regenwälder in Monokulturen verwandelt, weil der Westen dort billige pflanzliche Rohstoffe wie Palmöl, Soja oder Kautschuk produzieren lässt. Damit wird nicht nur ein schmerzhafter Rückgang der Biodiversität in Kauf genommen, denn 50 Prozent aller bekannten Arten sind in diesen Urwäldern zu Hause. Auch der aktuelle Klimawandel wird durch die Rodung der Urwälder befeuert.

Für Herstellung von Autoreifen wird viel Naturkautschuk gebraucht

Wegen ihrer hohen mechanischen Belastung sind Autoreifen heute Hochleistungsreifen. Sie müssen elastisch, zugfest und Kälteflexibel sein. Anforderungen, die bisher nur Naturkautschuk erfüllt. Um seine 150 Millionen Reifen pro Jahr herstellen zu können, braucht der viertgrößte Reifenhersteller der Welt, die Continental AG in Hannover, jedes Jahr viele Millionen Tonnen Naturkautschuk. Genaue Angaben wollte der Konzern nicht machen. Für eine Tonne Naturkautschuk braucht es einen Hektar Anbaufläche.

Naturkautschuk aus Löwenzahn muss wie der Kautschuk des Gummibaums höchst elastisch sein.
Naturkautschuk aus Löwenzahn muss wie der Kautschuk des Gummibaums höchst elastisch sein.

Löwenzahnkraut könnte den Naturkautschuk ersetzen

Für große Kautschukbaumplantagen müssen also zig Millionen Hektar Regenwald gerodet werden. Das will die Chemikerin Carla Recker ändern. Seit 26 Jahren arbeitet sie in der Materialforschung bei Conti. Und seit 15 Jahren forscht sie daran, den Naturkautschuk aus den Kautschukbaumplantagen durch russischen Löwenzahnkautschuk zu ersetzen.

Aus dem Löwenzahn-Naturkautschuk lassen sich beispielsweise auch Fahrrad- oder Autoreifen herstellen.
Aus dem Löwenzahn-Naturkautschuk lassen sich beispielsweise auch Fahrrad- oder Autoreifen herstellen.

Wir können es direkt in der Nähe der Fabriken, die ja in Europa oder Nordamerika oder wo auch immer auf dem Globus stehen, anbauen und dadurch sind wir natürlich sehr viel effizienter, was die Logistik angeht, zum Beispiel.

In einem Gewächshaus wird der optimierte Russische Löwenzahn angebaut

Ein automatisches Bewässerungssystem steuert die Wasserpumpe, die den Löwenzahnpflanzen genau die Menge an Flüssigkeit gibt, die sie brauchen. In einem 200 bis 300 Quadratmeter großen Gewächshaus der Uni Münster stehen in einzelnen Kammern große Flächen mit Russischem Löwenzahn. Ihre gelbe Blüte ist deutlich größer als beim heimischen Löwenzahn.

Das Gewächshaus ist klimatisiert, von der Decke hängen starke 500 Watt Lampen. Seit 2010 haben hier der Molekularbiologe Professor Dirk Prüfer und sein Team Russischen Löwenzahn gezüchtet. Nach mehr als zehn Jahren haben die Wissenschaftler das Ergebnis erreicht, dass der Kautschukgehalt lukrativ ist, das heißt wirtschaftlich sinnvoll.

Für die Gewinnung von Naturkautschuk eigenet sich am besten Russischer Löwenzahn.
Für die Gewinnung von Naturkautschuk eigenet sich am besten Russischer Löwenzahn, dessen Wurzeln einen höheren Gehalt an dem wertvollen Biopolymernaturkautschuk haben.

Naturkautschuk steckt in den Wurzeln des Löwenzahns

Der für die Forschende interessante Rohstoff, der Naturkautschuk steckt als Rohstoff vor allem in den Wurzeln Löwenzahns. Während in einheimischen Löwenzahn nur ein bisschen von diesem Polymer, dem Biopolymernaturkautschuk, enhalten ist, hat der russische Löwenzahn dagegen eine signifikante Menge an Naturkautschuk und das spezifisch in seinen Wurzeln. Deswegen interessieren sich die Forschenden für diese Wurzeln.

Die weiße Wurzel ist 30 cm lang, so dick wie ein Zeigefinger und wiegt etwa 200 Gramm. Zuerst mussten Prüfer und der Laborleiter Dr. Christian Schulze Gronover vom Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie in Münster verstehen, wie der Russische Löwenzahn sich verhält und wächst. Dann konnten sie stabile Hochertragslinien züchten.

Aus Löwenzahn gewonnener Kautschuk ist nachhaltiger und umweltschonender als der Einsatz von Naturkautschuk von Gummibäumen.
Aus Löwenzahn gewonnener Kautschuk ist nachhaltiger und umweltschonender als der Einsatz von Naturkautschuk von Gummibäumen, für deren Anbau auch schon viel Regenwald abgeholzt wurde.

Russischer Löwenzahn wurde züchterisch optimiert

Wenn man die beiden Fruchtteile einer Löwenzahnwurzel auseinanderzieht, dann gehen sie nicht auseinander wie eine gebrochene Wurzel, sondern da hängen so weiße kleine Fäden drinnen. Was man da sieht ist dann der Naturkautschuk.

Während in den Wurzeln des Einheimischen Löwenzahns nur ungefähr ein Prozent der Wurzeltrockenmasse aus Naturkautschuk besteht, liegt der Basiswert beim Russischen Löwenzahn ungefähr bei drei bis fünf Prozent. Die Forscher haben den Russischen Löwenzahn mittlerweile züchterisch optimiert, dass sie jetzt etwa bei einem Gehalt von 15 bis 20 Prozent angekommen sind.

Die Wurzeln des Russischen Löwenzahns enthalten durch Züchtung jetzt bis 20 Prozent Naturkautschuk.
Die Wurzeln des Russischen Löwenzahns enthalten durch Züchtung jetzt bis 20 Prozent Naturkautschuk.

Umweltfreundliche Reifen auf der Basis von Löwenzahnkautschuk

Aus Löwenzahn Reifen machen, für die Idee wurde die Chemikerin Carla Recker lange von ihren Kollegen belächelt. Doch die 56-Jährige hat es allen gezeigt. 2012 hielt sie die ersten Gramm des braunen Löwenzahnkautschuks in den Händen, 2014 wurden in Aachen die ersten Prototypen eines PKW- Reifens hergestellt, 2016 der erste LKW Reifen mit Laufflächen aus Löwenzahnkautschuk.

Die neuen Reifen haben umfangreiche Fahr- und Prüfstandversuche bestanden. Der Löwenzahnkautschuk hat die gleiche Qualität und kann den bisherigen Naturkautschuk von den Kautschukbäumen in den Tropen eins zu eins ersetzen. Das hat die Conti-Chefs überzeugt, die Produktion mit Hochdruck umzustellen.

Wir gehen davon aus, dass das Ende dieses Jahrzehnts passieren wird mit der Serienproduktion von PKW-Reifen.

(v.l.n.r.) Christian Schulze Gronover, Carla Recker und Dirk Prüfer forschen an der Verwendung von Naturkautschuk auf der Basis von Löwenzahn.
(v.l.n.r.) Christian Schulze Gronover, Carla Recker und Dirk Prüfer forschen an der Verwendung von Naturkautschuk auf der Basis von Löwenzahn.

Anbaufläche für Löwenzahn in Mecklenburg

Um am Ende des Tages den gesamten Bedarf der deutschen Industrie mit Naturkautschuk von 500.000 Tonnen pro Jahr zu decken, hat Conti 2018 im mecklenburgischen Anklam ein Forschungszentrum gebaut, als Keimzelle für einen Anbau in industriellem Maßstab. Doch Recker denkt weiter:

2035, das ist so eine Größenordnung, wo wir denken, dass wir einen ersten eingeschwungenen Zustand erreicht haben. Und in dem Zusammenhang wollen wir dann auch einen maßgeblichen Teil unserer Naturkautschuk-Bedarfe decken, so ist jedenfalls im Moment der Plan.

Geplant ist, dass in den nächsten Jahrzehnten ein großer Teil der Produktion von Naturkautschuk über das vermeintliche Unkraut Löwenzahn erfolgen könnte.
Geplant ist, dass in den nächsten Jahrzehnten ein großer Teil der Produktion von Naturkautschuk über das vermeintliche Unkraut Löwenzahn erfolgen könnte.

Löwenzahn: Wandel vom Unkraut zur lukrativen Einnahmequelle

Recker spricht von einem Marktwert von einer Milliarde Euro, 1.500 bis 2.000 Arbeitsplätze würden allein in der Aufarbeitung der Pflanzen zu Kautschuk entstehen. Die Landwirte müssen künftig auf jeden Fall umdenken. War Löwenzahn bislang für sie ein gefürchtetes Unkraut, das sie aufwändig bekämpfen mussten, bietet seine Wurzel jetzt für die Landwirtschaft eine lukrative Einnahmequelle, erklärt Professor Prüfer.

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Ralf Kölbel