In den Tropen werden wertvolle Regenwälder in Monokulturen verwandelt, weil der Westen dort billige pflanzliche Rohstoffe wie Palmöl, Soja oder Kautschuk produzieren lässt. Damit wird nicht nur ein schmerzhafter Rückgang der Biodiversität in Kauf genommen, denn 50 Prozent aller bekannten Arten sind in diesen Urwäldern zu Hause. Auch der aktuelle Klimawandel wird durch die Rodung der Urwälder befeuert.
Für Herstellung von Autoreifen wird viel Naturkautschuk gebraucht
Wegen ihrer hohen mechanischen Belastung sind Autoreifen heute Hochleistungsreifen. Sie müssen elastisch, zugfest und Kälteflexibel sein. Anforderungen, die bisher nur Naturkautschuk erfüllt. Um seine 150 Millionen Reifen pro Jahr herstellen zu können, braucht der viertgrößte Reifenhersteller der Welt, die Continental AG in Hannover, jedes Jahr viele Millionen Tonnen Naturkautschuk. Genaue Angaben wollte der Konzern nicht machen. Für eine Tonne Naturkautschuk braucht es einen Hektar Anbaufläche.
Löwenzahnkraut könnte den Naturkautschuk ersetzen
Für große Kautschukbaumplantagen müssen also zig Millionen Hektar Regenwald gerodet werden. Das will die Chemikerin Carla Recker ändern. Seit 26 Jahren arbeitet sie in der Materialforschung bei Conti. Und seit 15 Jahren forscht sie daran, den Naturkautschuk aus den Kautschukbaumplantagen durch russischen Löwenzahnkautschuk zu ersetzen.
In einem Gewächshaus wird der optimierte Russische Löwenzahn angebaut
Ein automatisches Bewässerungssystem steuert die Wasserpumpe, die den Löwenzahnpflanzen genau die Menge an Flüssigkeit gibt, die sie brauchen. In einem 200 bis 300 Quadratmeter großen Gewächshaus der Uni Münster stehen in einzelnen Kammern große Flächen mit Russischem Löwenzahn. Ihre gelbe Blüte ist deutlich größer als beim heimischen Löwenzahn.
Das Gewächshaus ist klimatisiert, von der Decke hängen starke 500 Watt Lampen. Seit 2010 haben hier der Molekularbiologe Professor Dirk Prüfer und sein Team Russischen Löwenzahn gezüchtet. Nach mehr als zehn Jahren haben die Wissenschaftler das Ergebnis erreicht, dass der Kautschukgehalt lukrativ ist, das heißt wirtschaftlich sinnvoll.
Naturkautschuk steckt in den Wurzeln des Löwenzahns
Der für die Forschende interessante Rohstoff, der Naturkautschuk steckt als Rohstoff vor allem in den Wurzeln Löwenzahns. Während in einheimischen Löwenzahn nur ein bisschen von diesem Polymer, dem Biopolymernaturkautschuk, enhalten ist, hat der russische Löwenzahn dagegen eine signifikante Menge an Naturkautschuk und das spezifisch in seinen Wurzeln. Deswegen interessieren sich die Forschenden für diese Wurzeln.
Die weiße Wurzel ist 30 cm lang, so dick wie ein Zeigefinger und wiegt etwa 200 Gramm. Zuerst mussten Prüfer und der Laborleiter Dr. Christian Schulze Gronover vom Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie in Münster verstehen, wie der Russische Löwenzahn sich verhält und wächst. Dann konnten sie stabile Hochertragslinien züchten.
Russischer Löwenzahn wurde züchterisch optimiert
Wenn man die beiden Fruchtteile einer Löwenzahnwurzel auseinanderzieht, dann gehen sie nicht auseinander wie eine gebrochene Wurzel, sondern da hängen so weiße kleine Fäden drinnen. Was man da sieht ist dann der Naturkautschuk.
Während in den Wurzeln des Einheimischen Löwenzahns nur ungefähr ein Prozent der Wurzeltrockenmasse aus Naturkautschuk besteht, liegt der Basiswert beim Russischen Löwenzahn ungefähr bei drei bis fünf Prozent. Die Forscher haben den Russischen Löwenzahn mittlerweile züchterisch optimiert, dass sie jetzt etwa bei einem Gehalt von 15 bis 20 Prozent angekommen sind.
Umweltfreundliche Reifen auf der Basis von Löwenzahnkautschuk
Aus Löwenzahn Reifen machen, für die Idee wurde die Chemikerin Carla Recker lange von ihren Kollegen belächelt. Doch die 56-Jährige hat es allen gezeigt. 2012 hielt sie die ersten Gramm des braunen Löwenzahnkautschuks in den Händen, 2014 wurden in Aachen die ersten Prototypen eines PKW- Reifens hergestellt, 2016 der erste LKW Reifen mit Laufflächen aus Löwenzahnkautschuk.
Die neuen Reifen haben umfangreiche Fahr- und Prüfstandversuche bestanden. Der Löwenzahnkautschuk hat die gleiche Qualität und kann den bisherigen Naturkautschuk von den Kautschukbäumen in den Tropen eins zu eins ersetzen. Das hat die Conti-Chefs überzeugt, die Produktion mit Hochdruck umzustellen.
Anbaufläche für Löwenzahn in Mecklenburg
Um am Ende des Tages den gesamten Bedarf der deutschen Industrie mit Naturkautschuk von 500.000 Tonnen pro Jahr zu decken, hat Conti 2018 im mecklenburgischen Anklam ein Forschungszentrum gebaut, als Keimzelle für einen Anbau in industriellem Maßstab. Doch Recker denkt weiter:
Löwenzahn: Wandel vom Unkraut zur lukrativen Einnahmequelle
Recker spricht von einem Marktwert von einer Milliarde Euro, 1.500 bis 2.000 Arbeitsplätze würden allein in der Aufarbeitung der Pflanzen zu Kautschuk entstehen. Die Landwirte müssen künftig auf jeden Fall umdenken. War Löwenzahn bislang für sie ein gefürchtetes Unkraut, das sie aufwändig bekämpfen mussten, bietet seine Wurzel jetzt für die Landwirtschaft eine lukrative Einnahmequelle, erklärt Professor Prüfer.