Insgesamt fallen in Deutschland jedes Jahr rund 100.000 Tonnen Mikroplastik an. Das haben die Bundesanstalten für Gewässerkunde und für Straßenwesen vor Kurzem hochgerechnet. Die winzigen Plastikpartikel gelangen quasi überall hin. Nicht nur in die Gewässer, sondern auch in die Luft und den Boden. Noch weiß die Wissenschaft recht wenig darüber, wie sich Mikroplastik speziell aus Reifenabrieb auf Pflanzen, Tiere und Menschen auswirkt.
Natalie Orlowski, Assistenzprofessorin für Hydrologie an der Universität Freiburg, hat bereits vor drei Jahren hier an der Dreisam ein kleines Forschungsprojekt mit Studierenden gemacht. "Wir haben Wasserproben genommen, die dann im Labor aufgereinigt und lichtmikroskopisch untersucht", sagt sie.
Mikroplastik schwimmt in Freiburger Dreisam
Dabei haben die Forschenden herausgefunden, dass die Dreisam mit Mikroplastik belastet ist. Das Gleiche gilt übrigens nach Informationen der Landesanstalt für Umwelt auch für den Rhein, die Donau und ihre Nebenflüsse. Plastikkügelchen aus Kosmetika etwa hätten sie gefunden und Plastikfasern aus Fleece-Jacken, sagt Orlowski. Aber eben auch Reifenabrieb. Und Reifenabrieb ist laut der Hydrologin in Deutschland die größte Mikroplastik-Quelle in Gewässern.
Nach Regen mehr Reifenabrieb im Wasser
Orlowskis Wasseranalyse wirft ein Schlaglicht auf eine sonst unsichtbare Problematik. Eine, die international zunehmend erforscht wird – und zwar mit teils besorgniserregenden ersten Ergebnissen: So wurde etwa kürzlich gezeigt, dass bei Seattle massenhaft Lachse an dem Umwandlungsprodukt einer Chemikalie starben, die im Reifenabrieb steckt und vom Regen in den Fluss gespült wurde. Auch in der Dreisam, erzählt Orlowsi, sei nach Niederschlägen mehr Abrieb messbar gewesen als sonst. Woran das lag?
Die Wissenschaftlerin zeigt auf einen Ablauf im Beton der Ochsenbrücke, ein paar Meter über ihrem Kopf. Der Reifenabrieb werde bei Regen von der Straße abgewaschen und dann über den Ablauf direkt und ungefiltert in die Dreisam gespült, so Orlowski. Auch für das Schmutzwasser der gesamten B31 wurden ähnliche Direkteinleitungen gebaut – üblich und zulässig in den 1960er-Jahren.
Reifenabrieb schädlich für Mensch und Natur
Warum der Reifenabrieb ein Problem ist, kann Hans-Peter Grossart erklären. Zumindest so gut man das eben erklären kann bei allen noch offenen Forschungsfragen. Grossart ist Professor für Wasser-Ökologie und Biodiversität an der Universität Potsdam und forscht am Leibniz-Institut für Gewässerökologie. Schon heute, sagt er, müsse man davon ausgehen, dass Reifenabrieb ähnlich negative Folgen habe wie andere Mikroplastikarten. Und das seien einige:
Mikroplastik hat nämlich die Eigenschaft, Schadstoffe aus der Umwelt anzuziehen – krebserregende oder erbgutschädigende Chemikalien etwa – und quasi huckepack zu nehmen. Das gilt für Reifenabrieb erst recht. Denn oft werden dem Reifengummi bei der Produktion potentiell umwelt- und gesundheitsgefährdende Substanzen zugegeben. "Das Schlimme ist, dass das Mikroplastik Jahrhunderte in der Umwelt bleiben kann, sodass es eine permanente Gefährdung darstellt", sagt Grossart.
Spezialfilter in Gullys und clever geschaltete Ampeln
Fachleute wie er fordern daher, dass der Reifenabrieb dringend weniger werden müsse. Dafür müsste an vielen Stellschrauben gedreht werden. Mögliche Ansatzpunkte wären: Spezialfilter in Gullys für das Regenwasser von der Fahrbahn und clever geschaltete Ampeln ohne ständiges, abriebreiches Abbremsen und Wiederanfahren.
Und was kann jede und jeder Einzelne tun? Moritz Mottschall von der Berliner Außenstelle des Freiburger Öko-Instituts hat Tipps zusammengetragen: "Es klingt vielleicht banal, aber autofahrende Verbraucher können ihren Reifenabrieb verringern, indem sie das Auto öfter stehen lassen." Wer das nicht wolle oder könne, solle möglichst vorausschauend fahren, also abriebintensives Bremsen und Beschleunigen vermeiden. Außerdem sei es wichtig, den Reifendruck regelmäßig zu prüfen und Winterreifen nicht zu lange zu nutzen, so Mottschall.
Spezialsonde zur Mikroplastikanalyse
Zurück an die Dreisam. Dort tut sich nämlich was: Die Stadt Freiburg hat inzwischen einen großen Teil der B31 und einige Brücken umgerüstet und Regenwasser-Reinigungsanlagen installiert. Und auch der Rest wird bald nachgerüstet – darunter die Ochsenbrücke. Und Natalie Orlowski? Sie entwickelt gerade mit Industrie-Partnern eine tragbare Spezialsonde zur Mikroplastikanalyse direkt im Gewässer.
Die Sonde solle aufwändige Untersuchungen im Labor ersetzen, sagt Orlowski und könne etwa in Kläranlagen eingesetzt werden. Im besten Fall würde sie also helfen, noch schneller und noch genauer zu verstehen, wie groß das Partikelproblem in unseren Gewässern ist – und vor allem: welche Gegenmaßnahme wie gut hilft.