Wohnraumsuche

Das Ende der Neubaugebiete? Wohnraum ohne Naturzerstörung

Stand
Autor/in
Jörg Wolf
Onlinefassung
Elisabeth Theodoropoulos

Wohnraum für Alle – das muss kein Traum bleiben. Wenn wir die bereits verfügbaren Flächen in Dörfern und Städten nutzen, können wir teure Neubauten sparen, die Mietpreise senken und gleichzeitig den Bodenverbrauch minimieren.

Wohnraum ist knapp

Die Wohnraum-Knappheit führt fast überall, ob Land oder Stadt, zu astronomisch hohen Summen, egal ob man mieten oder kaufen möchte. Viele Kommunen reagieren nach wie vor mit der Erschließung von Neubaugebieten. Und so wachsen die Städte immer weiter ins Umland.

Ein modernes Neubaugebiet - Die Stadtplanung reagiert auf Wohnungsmangel meist mit Neubauten auf neu erschlossenen Flächen.
Die Stadtplanung reagiert auf Wohnungsmangel meist mit Neubauten neu erschlossenen Flächen.

Am Stadtrand von Stuttgart ist das besonders tragisch, denn hier liegt ein Ackerboden, der besser nicht sein könnte. Der hier über Jahrtausende entstandene Lößboden ermöglicht eine reiche Ernte - selbst in trockenen Jahren. Trotzdem werden die Flächen nach und nach zugebaut. Aber einmal überbaut ist dieser Boden für immer verloren.

Wir gehen im Moment davon aus, das 700.000 Wohnungen in Deutschland fehlen.

Neue Einfamilienhäuser können das kaum ändern. Hier wohnen wenige auf großer Fläche, die kostbaren Ackerboden und wertvolle Natur verdrängt. Ein ökologisches Problem, denn guter Boden ist die Grundlage unserer Existenz. Ihn zu versiegeln, ob durch Wohnungen oder neue Gewerbefächen: fatal!

Eine Hand hält landwirtschaftlichen Boden - Guter Ackerboden baut sich über Jahrtausende auf und ist die Grundlage unserer Existenz.
Guter Ackerboden baut sich über Jahrtausende auf und ist die Grundlage unserer Existenz.

Die Lösung: Wohnraum für Millionen und Platz für Gewerbe, der keinen Boden zerstört und so manches Bauviertel überflüssig macht!  

Es gibt genug Wohnraum für alle – ohne Flächenfraß

Die aktuelle Bundesregierung will den Flächenverbrauch deshalb unbedingt abbremsen. Bis 2045 sogar auf Netto-Null. Das wird schwierig. Denn die Regierung will auch 400.000 neue Wohnungen pro Jahr schaffen.  

Aber wie können ohne Versiegelungen Bauplätze geschaffen werden?

Innerhalb von Städten und Dörfern gibt es frei stehende Flächen, die bebaut werden könnten.
Innerhalb von Städten und Dörfern gibt es frei stehende Flächen, die bebaut werden könnten.

Eine neue Studie des Bundesamts für Raumordnung und Stadtentwicklung bietet einen Ausweg aus dem Dilemma: Die Schaffung von bis zu vier Millionen neuer Wohnungen (!) ohne auf der grünen Wiese zu bauen. Fast 700 Gemeinden in Deutschland wurden befragt, wo bei ihnen mögliche Flächen für Wohnraum zu finden sind. Das Ergebnis: Wohnraum schaffen ohne Bodenzerstörung ist möglich.

Die Kernbotschaft lautet: Wir haben genügend Bauland in Deutschland, um auch bei einem forcierten Wohnungsbau genügend Flächen zur Verfügung zu stellen, im Siedlungsbestand, also ohne dass man nach außen neue Flächen in Anspruch nehmen muss.

Außerdem gibt es neben freien Flächen auch noch jede Menge ungenutzten Wohnraum durch leerstehende Häuser, Dachgeschosse oder ehemalige Kaufhäuser und Büros. Rechnet man die Ergebnisse der verschiedenen Wohnraumstudien zusammen, kommt man auf insgesamt 6 Millionen neue Wohnungen, ohne Flächenfraß.

Bauland ist kostbar. Felder, Wiesen oder landwirtschaftliche Flächen dafür zu opfern, ist allerdings für Natur und Umwelt nicht die beste Lösung.
Bauland ist kostbar. Felder, Wiesen oder landwirtschaftliche Flächen dafür zu opfern, ist allerdings für Natur und Umwelt nicht die beste Lösung.

Steigender Wohnraumbedarf sollte nicht zu Lasten von Acker- und Naturflächen gedeckt werden

Ingrid Hagenbruch ist Mitglied des Bundesbündnis Bodenschutz und kämpft für den Erhalt von Acker- und Naturflächen. Eigentlich ist sie Anwältin. Aber sie hat verstanden, dass der Boden und was auf ihm wächst, unsere Lebensgrundlage bildet.

Es wird auf Wachstum, Expansion nach außen gesetzt. Das ist nicht mehr zeitgemäß, das ist nicht der richtige Weg in dieser Klimakrise. Wir haben in den letzten zwei Generationen mehr Boden zerstört als achtzig Generationen vor uns.

Hauptproblem für die zunehmende Flächenzerstörung ist unser ständig steigender Wohnraumbedarf. 47 Quadratmeter sind die Fläche, die im Durchschnitt aktuell jeder von uns bewohnt. 1965 waren es nur 22 Quadratmeter. Der Platzanspruch hat sich also verdoppelt.

Natürlich braucht nicht jeder gleich viel. In Familien sind es nur 33 Quadratmeter. Also für jedes einzelne Familienmitglied. Bei Singles dagegen fast doppelt so viel. Auf größtem Fuß leben allerdings ältere Singles. Sie wohnen im Durchschnitt auf 78 Quadratmetern.

Weil die freien Flächen immer weniger werden, gibt es immer häufiger Streit um sie. Zwischen Landwirten und der Industrie. Zwischen Naturschützern und der Straßenverkehrslobby.

Naturschützer*innen protestieren gegen die Flächenversiegelung durch Neubauten mit Slogans wie: Wiesen und Wald statt Asphalt!
Naturschützer*innen protestieren gegen die Flächenversiegelung durch Neubauten mit Slogans wie: Wiesen und Wald statt Asphalt!

Flächenfraß auf dem Land – das Kernproblem

Der Raumforscher Stefan Siedentop hat den Flächenfraß in Deutschland erforscht und berät Behörden und Ministerien. Auf seinen Karten zeigt er, dass der Flächenfraß vor allem auf dem Land wütet.

Das liegt einfach daran, dass im ländlichen Raum, aber auch im suburbanen, vorstädtischen Raum vor allem gering verdichteter Wohnungsbau, aber auch gering verdichteter Gewerbebau stattfindet. Und deshalb haben wir dieses paradoxe Phänomen, dass man zwar glaubt es ist noch sehr grün im ländlichen Raum, aber gleichzeitig ist der Flächenverbrauch dort mit Abstand am dynamischsten.

Seit 1965 hat sich der individuelle Wohnraum-Flächenbedarf mehr als verdoppelt.
Seit 1965 hat sich der individuelle Wohnraum-Flächenbedarf mehr als verdoppelt.

Versiegelung von Ackerflächen - Ein fauler Deal

Laut Bundesverfassungsgericht ist es gerade in Zeiten der Klimaerwärmung die gesetzliche Pflicht der Kommunen, Böden zu schützen. Das heißt, bevor Gemeinden zum Beispiel Äcker versiegeln, müssen sie zunächst im Inneren der Stadt die Baulücken und Brachen nutzen. Jedoch ist der gesetzliche Bodenschutz „Abwägungssache“, d.h. meistens finden die Gemeinden Argumente, um ihn zu umgehen.

Mein Eindruck ist, dass die Gemeinde den bisherigen einfacheren Weg geht. Es ist immer einfacher, draußen die Felder zu nutzen, als im Innenbereich mit der Leerstandsentwicklung sich auseinander zu setzen.

Flächensparen muss sich lohnen – Neue Spielregeln für alle

Ein wesentliches Hemmnis der Innenentwicklung ist die fehlende Verkaufsbereitschaft der Eigentümerinnen und Eigentümer. Es gibt vielfältige Gründe, warum ein Eigentümer nicht verkauft. Und das, obwohl es in vielen Kommunen eigentlich genügend Freiflächen und Leerstände im Inneren der Städte gibt.

Mein Apell ist immer: Das Wichtigste ist die Kommunikation. Einfach mit diesen Menschen im Gespräch bleiben und Unterstützung anbieten. Die Gemeinden dürfen nicht der Feind sein, sondern wir müssen wirklich als Partner beiseite stehen.

Risiken und Kosten einer Altbau-Renovierung – Risikominimierung für die Bauherren

Häuser zu sanieren, statt auf der grünen Wiese zu bauen, spart zwar kostbaren Boden, aber natürlich darf die Sanierung nicht teurer werden als ein Neubau. Dafür müssen wichtige Fragen geklärt werden: Sind Fachwerk und Mauern noch gut oder muss man abreißen? Mit den Antworten, ob sich die Sanierung lohnt, sollten die Bauherren nicht allein gelassen werden, sonst kann es sehr teuer werden.

Ein ganz entscheidender Punkt: So lange die Schaffung von Wohnraum im Neubaugebiet für alle günstiger, unkomplizierter und schneller ist, wird der Flächenverbrauch und damit die Bodenzerstörung wohl nie zurückgehen. Hier muss die Politik helfen!

Kleiner Wohnen muss möglich sein – für alle ein Gewinn

Außerdem müssen sich die Kommunen, laut Raumplaner Prof. Stefan Siedentop, in ihrer Bauleitplanung auf eine Gesellschaft, die immer älter wird, einstellen. Bisher hat die Wohnungswirtschaft sich lange auf junge Familien konzentriert. Gerade im ländlichen Raum fehlt aber das, was von älteren Menschen häufig nachgefragt wird. Nämlich bezahlbare, kleinere Mietwohnungen, in Lagen, die infrastrukturell gut erschlossen sind.

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Jörg Wolf
Onlinefassung
Elisabeth Theodoropoulos