Im April 2003 gab das International Human Genome Sequencing Consortium bekannt, dass es eine im Wesentlichen vollständige Sequenz des menschlichen Genoms erzeugt hatte – so weit, wie unter den derzeitigen technischen Voraussetzungen möglich war.
Zwei Jahrzehnte später – am 31. März 2022 – gab das Telomere-to-Telomere (T2T)-Konsortium des National Human Genome Research Institute bekannt, dass nun die noch verbliebenen Lücken in der Sequenz gefüllt sind und es die erste wirklich vollständige Sequenz des menschlichen Genoms produziert habe.
Die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts gilt als Meilenstein der Biologie. So richtete bereits im Frühjahr 2000 auch der damalige US-Präsident Bill Clinton in einer Rede große Erwartungen an die Entschlüsselung des menschlichen Genoms: Die Menschheit werde neue Heilkräfte gewinnen und die Genforschung werde unser aller Leben und das unserer Kinder beeinflussen.
Entschlüsselung des Genoms zur Behandlung von Erkrankungen
A, C, G und T – das menschliche Erbgut besteht aus nur vier verschiedenen Bausteinen. 3,2 Milliarden Paare dieser DNA-Basen reihen sich in der DNA Helix aneinander und enthalten in ihrer Abfolge die genetische Information. Mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms hoffte man, Krankheiten wie Krebs endgültig zu besiegen. Ein Meilenstein in der Geschichte der Menschheit, sagt der Leiter des Human Genome Projects, Francis Collins:
Doch die Ernüchterung folgte rasch, denn um den Text des Genoms zu verstehen, muss die Funktion der über 20.000 Gene erforscht werden. An den Antworten tüfteln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bis heute. Wie werden Gene reguliert? Welche Informationen stecken zwischen den Genen?
Genomforschung für individuellere Therapien
Selbstkritisch sagt die Wissenschaft: Etwa 90 Prozent von dem, was ein Genom ist, verstehen wir nur in Ansätzen. Für einige Krankheiten konnten Forscherinnen und Forscher aber bereits die verantwortlichen Gene identifizieren und so Diagnose, Prävention und Therapie verbessern. So hat zum Beispiel die Kenntnis genetischer Komponenten von Alzheimer und Diabetes zu einem besseren Verständnis und gezielteren Behandlungsmöglichkeiten geführt.
Auch zum Verständnis von Krebs hat die Genomforschung einen wichtigen Beitrag geleistet, sodass in Zukunft auch individuellere Therapien für die Betroffenen maßgeschneidert werden können. Dazu konnte die Technik der Genomentzifferung die rasche Entwicklung eines Impfstoffes gegen Covid 19 maßgeblich unterstützen. Das ging auch deshalb so schnell, weil das Virusgenom so rasch entziffert werden konnte und dann auch weltweit veröffentlicht wurde.
Viele Bereiche der Medizinforschung profitieren von dem für alle zugänglichen und kostenfreien Umgang mit Forschungsergebnissen. Das ist eines der Grundprinzipien des Human Genome Projects.
Entschlüsselung wirft neue Fragen in Bezug auf Menschenrechte auf
Doch es gibt auch unschöne Folgen der Entschlüsselung unseres Genoms: Der Schutz der eigenen genetischen Information ist in der Zwischenzeit zu einer wichtigen Frage der Menschenrechte geworden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben im Fachmagazin Science daraufhin gewiesen, dass Kuweit versucht hat, per Gesetz sämtliche Einwohner zur Entschlüsselung ihres Genoms zu verpflichteten.
In China sammele die Polizei unter dem Deckmantel eines Gesundheitsprogramms systematisch Blutproben von Uiguren in der Provinz Xinjiang und die Behörden arbeiteten an einer Datenbank der Y-Chromosome der gesamten männlichen Bevölkerung des Landes. In den USA sei unter der Vorgängerregierung an der mexikanischen Grenze in diskriminierender Weise genetisches Material von Flüchtlingen genommen worden.
Damit – so warnt das Forschungsteam – sei die Gefahr genetischer Überwachung nicht nur in autoritären Staaten gegeben, sondern auch in Demokratien mit schwächer werdenden Bürgerrechten.