Moderne Kriegsführung

Welche Rolle spielen Cyberangriffe im Ukraine-Krieg?

Stand
Autor/in
Stephanie Bittner

In der Ukraine herrscht derzeit Krieg. Vermehrt gibt es auch Meldungen von wechselseitigen Hacker-Angriffen. Über das genaue Ausmaß der Angriffe ist bislang allerdings nur wenig bekannt.

Steht ein Cyber-Krieg gegen die Ukraine bevor?

Bisher wird in den Medien im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg vor allem über eine Auseinandersetzung mit konventionellen Waffen berichtet. Es gibt aber auch vermehrt Meldungen von wechselseitigen Hacker-Angriffen, die einen zusätzlich entstehenden Cyber-War im Fokus haben. So soll es laut Medienberichten bereits vor den bewaffneten Auseinandersetzungen zu einigen Cyberattacken gegen öffentliche Einrichtungen der Ukraine gekommen sein.

Viele Erkenntnisse darüber, was gerade in der Ukraine passiert, werden über Hörensagen verbreitet, meint der Cyberexperte Matthias Schulze von der Stiftung Wissenschaft und Politik in einem Gespräch mit SWR2 Impuls. Darunter zählen auch Berichte über Cyberattacken und dadurch entstehende Vermutungen eines Cyber-Wars. Dieser finde, so Schulze, zwar so wie einige ihn befürchtet haben, zum Beispiel durch Stromausfälle oder physische Zerstörung, noch nicht statt, die Lage würde sich aber zuspitzen.

Cyber-Krieg in der Ukraine
Die ukrainische Regierung hat Russland beschuldigt, hinter dem Cyberangriff auf Dutzende von Webseiten ukrainischer Beamten zu stecken.

Behördendaten sollten gelöscht werden

Es gebe zum Beispiel unter anderem Hinweise auf Schadsoftware, die bereits im letzten Jahr entwickelt wurde und in ukrainische, lettische und litauische Systeme eingebracht wurde. Zusätzlich wurde laut Meldungen von Microsoft eine weitere Schadsoftware gefunden. Sie trägt den Namen Fox Plate und sollte dazu dienen, Zielsysteme zu löschen.

Durch die schnelle Reaktion von Microsoft konnten größere Schäden des Systems seitens der Ukraine verhindert werden. Bisher, so Schulze, habe es insgesamt drei sogenannte "Wiper" gegeben; das ist eine Software, die auf dem Computer dazu dienen soll, Daten zu löschen. Ziel dieser Attacken war es, Daten von ukrainischen Behörden zu löschen.

Es gab auch bereits mehrere Versuche, mittels eingeschleuster Schadsoftware, die Daten von Behördenseiten zu löschen.
Es gab bereits mehrere Versuche, mittels eingeschleuster Schadsoftware, die Daten von Behördenseiten zu löschen.

Bewusste Manipulation und Entstellung von Webseiten

Bei den Cyberattacken handelt es sich nach Einschätzung von Matthias Schulze bisher nicht um Attacken, die dem taktischen Gefecht dienen, um die Truppen zu unterstützen, sondern um solche mit psychologischen Folgen oder Attacken, die zur Spionage dienen.

„Das kann sich ändern in der zweiten Phase des Krieges, die jetzt einzutreten scheint mit einer Umzingelung und Einschließung von Kiew und Angriffen auf die Zivilbevölkerung.“

Zusätzlich kam es im Zuge von den Cyberattacken auch zu Defacements (Entstellungen), bei denen Websiten übernommen oder verunstaltet und politische Botschaften hinterlegt wurden. Diese dienten vor allem dazu, Unsicherheit zu stiften, indem die normalen Informationsinhalte nicht mehr verfügbar sind, so der Experte Thorsten Holz, Leiter der Forschungsgruppe zu systemnaher Sicherheitsforschung am Helmholtzzentrum für Informationssicherheit, in einem Gespräch des Science Media Centers.

„Wir sehen einerseits schon, dass im Cyberraum einiges passiert, aber ich denke wir haben noch keine wirklichen Anzeichen, dass es eine Eskalation gibt.“

Bisher gab es wohl schon einige wechselseitige Cyber-Attacken von russischer und ukrainischer Seite. Wirklich kritische Infrastruktur ist aber derzeit wohl noch nicht betroffen.
Bisher gab es wohl schon einige wechselseitige Cyber-Attacken von russischer und ukrainischer Seite. Wirklich kritische Infrastrukturen sind aber derzeit wohl noch nicht betroffen.

Bisher keine größeren Schäden durch Cyberangriffe

Dass es noch nicht zu einem verheerenden größeren Schaden durch solche Cyberattacken gekommen ist, erklärt der Experte Matthias Schulze vor allem damit, dass es sich bei dem Krieg um einen bewaffneten Krieg handelt und man den Schaden, den man anrichten möchte, eben auch durch konventionelle Waffen anrichten könnte.

Eine weitere Erklärung wäre, dass die Verteidigung der Ukraine gegen Cyberattacken recht gut war oder auch, dass die Vorbereitungszeit zur Durchführung solcher Attacken nicht ausgereicht hat. Für diese Erklärung würde sprechen, dass es unter den Bodentruppen Hinweise darauf gab, dass diese von einer Invasion der Ukraine durch Russland bis zum Tag davor nichts wussten.

Berichte über Cyberangriffe gegen Russland 

Zusätzlich gibt es Berichte von Cyberangriffen gegen Russland. So soll die Ukraine einen Rekrutierungsprozess für eine IT-Armee gestartet haben, bei dem sich Freiwillige melden können, um russische Ziele anzugreifen, sagt Schulze. Demnach wurden durch die Ukraine Ziellisten verteilt mit russischen Servern, IP-Adressen und Institutionen, die sie angegriffen haben möchten. Weiter berichtet er von einem regelrechten Wettbewerb unter den antirussischen und prorussischen Hackergruppen, bei dem es darum geht, wer was zuerst ausschaltet.

„Es gibt Berichte, dass Putins Yacht gehackt wurde und eine andere Kennung bekommen hat.“

Motoryacht GRACEFUL- Auch die Luxus-Yacht des russischen Präsidenten Putin soll angeblich gehackt worden sein.
Auch die Luxus-Yacht des russischen Präsidenten Putin soll angeblich gehackt worden sein.

Weiteren Berichten zufolge wurden russische E-Ladestationen gehackt, um darauf Anti-Putin-Messages zu verbreiten. Zusätzlich soll es Bewegungen geben, die über Google Ratings die Rezensionen von Orten oder Restaurants bombardieren, um die Staatszensur zu umgehen und öffentlich mitzuteilen, dass Putin den Krieg beenden solle, erklärt Schulze.

Der russische Präsident Vladimir Putin auf seiner Yacht
Welche Rolle der russische Präsident Vladimir Putin bei den Cyber-Attacken auf ukrainische Ziele spielt, ist bisher nicht bekannt.

Andere Cyberattacken gegen Russland fanden zum Beispiel statt, indem Regierungswebsites lahmgelegt oder Staatsmedien blockiert wurden. Außerdem wird von Beeinträchtigungen in der Funktion von Bankautomaten als Folge von Cyberangriffen berichtet.

Eine generelle Beurteilung zum weiteren Konfliktsverlauf des Krieges zwischen Russland und der Ukraine empfindet der Experte Matthias Schulze als schwierig einzuschätzen.

„Aber was man sieht, ist, dass diese Informationsebene, also die Beeinflussung von Narrativen und das Steuern von strategischer Kommunikation, das scheint momentan das elementare zu sein.“

Stand
Autor/in
Stephanie Bittner