Steht ein Cyber-Krieg gegen die Ukraine bevor?
Bisher wird in den Medien im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg vor allem über eine Auseinandersetzung mit konventionellen Waffen berichtet. Es gibt aber auch vermehrt Meldungen von wechselseitigen Hacker-Angriffen, die einen zusätzlich entstehenden Cyber-War im Fokus haben. So soll es laut Medienberichten bereits vor den bewaffneten Auseinandersetzungen zu einigen Cyberattacken gegen öffentliche Einrichtungen der Ukraine gekommen sein.
Viele Erkenntnisse darüber, was gerade in der Ukraine passiert, werden über Hörensagen verbreitet, meint der Cyberexperte Matthias Schulze von der Stiftung Wissenschaft und Politik in einem Gespräch mit SWR2 Impuls. Darunter zählen auch Berichte über Cyberattacken und dadurch entstehende Vermutungen eines Cyber-Wars. Dieser finde, so Schulze, zwar so wie einige ihn befürchtet haben, zum Beispiel durch Stromausfälle oder physische Zerstörung, noch nicht statt, die Lage würde sich aber zuspitzen.
Behördendaten sollten gelöscht werden
Es gebe zum Beispiel unter anderem Hinweise auf Schadsoftware, die bereits im letzten Jahr entwickelt wurde und in ukrainische, lettische und litauische Systeme eingebracht wurde. Zusätzlich wurde laut Meldungen von Microsoft eine weitere Schadsoftware gefunden. Sie trägt den Namen Fox Plate und sollte dazu dienen, Zielsysteme zu löschen.
Durch die schnelle Reaktion von Microsoft konnten größere Schäden des Systems seitens der Ukraine verhindert werden. Bisher, so Schulze, habe es insgesamt drei sogenannte "Wiper" gegeben; das ist eine Software, die auf dem Computer dazu dienen soll, Daten zu löschen. Ziel dieser Attacken war es, Daten von ukrainischen Behörden zu löschen.
Bewusste Manipulation und Entstellung von Webseiten
Bei den Cyberattacken handelt es sich nach Einschätzung von Matthias Schulze bisher nicht um Attacken, die dem taktischen Gefecht dienen, um die Truppen zu unterstützen, sondern um solche mit psychologischen Folgen oder Attacken, die zur Spionage dienen.
Zusätzlich kam es im Zuge von den Cyberattacken auch zu Defacements (Entstellungen), bei denen Websiten übernommen oder verunstaltet und politische Botschaften hinterlegt wurden. Diese dienten vor allem dazu, Unsicherheit zu stiften, indem die normalen Informationsinhalte nicht mehr verfügbar sind, so der Experte Thorsten Holz, Leiter der Forschungsgruppe zu systemnaher Sicherheitsforschung am Helmholtzzentrum für Informationssicherheit, in einem Gespräch des Science Media Centers.
Bisher keine größeren Schäden durch Cyberangriffe
Dass es noch nicht zu einem verheerenden größeren Schaden durch solche Cyberattacken gekommen ist, erklärt der Experte Matthias Schulze vor allem damit, dass es sich bei dem Krieg um einen bewaffneten Krieg handelt und man den Schaden, den man anrichten möchte, eben auch durch konventionelle Waffen anrichten könnte.
Eine weitere Erklärung wäre, dass die Verteidigung der Ukraine gegen Cyberattacken recht gut war oder auch, dass die Vorbereitungszeit zur Durchführung solcher Attacken nicht ausgereicht hat. Für diese Erklärung würde sprechen, dass es unter den Bodentruppen Hinweise darauf gab, dass diese von einer Invasion der Ukraine durch Russland bis zum Tag davor nichts wussten.
Berichte über Cyberangriffe gegen Russland
Zusätzlich gibt es Berichte von Cyberangriffen gegen Russland. So soll die Ukraine einen Rekrutierungsprozess für eine IT-Armee gestartet haben, bei dem sich Freiwillige melden können, um russische Ziele anzugreifen, sagt Schulze. Demnach wurden durch die Ukraine Ziellisten verteilt mit russischen Servern, IP-Adressen und Institutionen, die sie angegriffen haben möchten. Weiter berichtet er von einem regelrechten Wettbewerb unter den antirussischen und prorussischen Hackergruppen, bei dem es darum geht, wer was zuerst ausschaltet.
Weiteren Berichten zufolge wurden russische E-Ladestationen gehackt, um darauf Anti-Putin-Messages zu verbreiten. Zusätzlich soll es Bewegungen geben, die über Google Ratings die Rezensionen von Orten oder Restaurants bombardieren, um die Staatszensur zu umgehen und öffentlich mitzuteilen, dass Putin den Krieg beenden solle, erklärt Schulze.
Andere Cyberattacken gegen Russland fanden zum Beispiel statt, indem Regierungswebsites lahmgelegt oder Staatsmedien blockiert wurden. Außerdem wird von Beeinträchtigungen in der Funktion von Bankautomaten als Folge von Cyberangriffen berichtet.
Eine generelle Beurteilung zum weiteren Konfliktsverlauf des Krieges zwischen Russland und der Ukraine empfindet der Experte Matthias Schulze als schwierig einzuschätzen.