Der Landwirtschaft geht der Nachwuchs aus. Jedes Jahr machen über 3.500 Bauernhöfe in Deutschland zu. Das Höfesterben hat viele Gründe, aber eine der Ursachen ist, dass Kinder von Landwirt*innen sich oft gegen die Landwirtschaft entscheiden.
Auf der anderen Seite gibt es unter den Betriebsleiter*innen immer noch sehr wenige Frauen. Daran hat sich trotz des Personalproblems der Landwirtschaft in den letzten zwanzig Jahren kaum etwas verändert. Aber warum ist das so?
90 Prozent der Betriebe in Männerhand
Das sagt Janna Luisa Pieper, Wissenschaftlerin an der Uni Göttingen. Sie ist Mitautorin einer neuen Studie, die hilft, zu verstehen, warum Frauen unter den Betriebsleiter*innen immer noch in der Minderheit sind. Über 7.000 Frauen aus ganz Deutschland haben Pieper und ihre Kolleginnen dazu befragt, wie ihr Leben und ihre Arbeit auf dem Hof aussieht. Damit haben die Wissenschaftlerinnen vom Thünen-Institut und der Uni Göttingen die erste, umfassende Studie seit der Wiedervereinigung zu diesem Thema durchgeführt.
An erster Stelle sei die Studie eine – dringend benötigte – Bestandsaufnahme, sagt Pieper. Aber die könnte helfen, Hürden für Frauen in der Landwirtschaft nach und nach abzubauen – beziehungsweise besser zu verstehen, worin diese Hürden liegen. An einer Zahl wird das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen besonders deutlich: 90 Prozent der Betriebe in Deutschland sind in Männerhand, und daran bewegt sich wenig. Seit 2002 ist der Anteil der Betriebsleiterinnen nur um zwei Prozent gestiegen, von neun auf elf Prozent.
Rollenkonflikte erzeugen hohes Burnout-Risiko
Allerdings bedeutet das nicht, dass Frauen für die Landwirtschaft keine große Rolle spielen. Im Gegenteil: Frauen übernehmen vielfältige Rollen. Mehr als drei Viertel der Befragten arbeiten auf den Betrieben im Stall und auf dem Acker mit. Oder sie unterstützen durch eine außerlandwirtschaftliche Berufstätigkeit den Hof mit ihrem Einkommen. Wenn es auf Betrieben Ferienwohnungen oder andere touristische Angebote gibt, dann kümmern sich meistens die Frauen darum.
Die meisten Frauen erledigen außerdem nicht nur eine dieser Arbeiten, sondern bringen gleich mehrere Bereiche unter einen Hut. Dazu kommt unsichtbar gemachte Arbeit im Haushalt, bei der Kinderziehung oder der Pflege von älteren Familienmitgliedern.
Diese Mehrfachbelastung bleibt nicht oft nicht folgenlos. Ein Fünftel der Frauen ist akut von Burnout bedroht, fand die Studie heraus. Zum Vergleich: Unter den Krankenpfleger*innen sind rund 25 Prozent von Burnout betroffen. Als Landwirtin auf einem Betrieb zu leben und zu arbeiten, kann also ähnlich belastend zu sein wie die Arbeit im Krankenhaus.
Risiko durch fruchtbarkeitsschädigende Mittel
Auch die Männer in der Landwirtschaft sind natürlich stark belastet durch ihre Arbeit. Allerdings gab es lange Zeit nur Vermutungen darüber, dass die Gründe für Überlastung bei Frauen teilweise woanders liegen könnten als für Männer. Dank der Studie lassen sich diese Vermutungen jetzt bestätigen beziehungsweise ergänzen. Aber nicht nur der Stress hat eine geschlechtsspezifische Komponente.
In der Tierhaltung zum Beispiel kommen Hormonpräparate zum Einsatz, die, wenn frau ihnen häufig ausgesetzt ist, ihre Fruchtbarkeit schädigen können. Auf Männer, die keinen Monatszyklus haben, wirken diese Stoffe sich nicht aus. Ähnlich fruchtbarkeitsschädligende Stoffe nutzen Landwirt*innen auch im Pflanzenschutz. Viele Frauen wüssten aber gar nicht, dass diese Mittel für sie gefährlich sein können, sagt Pieper. Denn in der Berufsausbildung werde dieses Risiko oft gar nicht angesprochen.
Nur ein Drittel der Frauen hat gute Altersvorsorge
Zu den gesundheitlichen Risiken kommt das Problem hinzu, dass viele Frauen keine ausreichende soziale Absicherung fürs Alter haben: Nur ein Drittel der Befragten ist auch dann im Alter sicher, wenn ihr Partner versterben oder sie sich scheiden lassen sollte. Zwei Drittel der Frauen stehen also bei der Altersvorsorge nicht auf eigenen Füßen.
Trotz all dem: Die meisten Frauen sind alles in allem zufrieden mit ihrer Situation. Auch das ist ein Ergebnis der Befragung. Aber das bedeutete nicht, dass Gleichberechtigung nicht wichtig sei, unterstreicht Janna Luisa Pieper.
Die Daten zeigen auf: Ein Grund für die Behäbigkeit der Landwirtschaft in Sachen Gleichberechtigung sind die veralteten Geschlechterrollen. Viele Frauen seien zum Beispiel überzeugt, es gebe ein Gesetz darüber, dass Betriebe nur vom Vater an den Sohn weitergegeben werden dürfen. Dabei wurde ein entsprechendes Gesetz in Deutschland schon in den 1950er Jahren abgeschafft.
Landwirtschaft stark durch veraltete Geschlechterrollen geprägt
Verinnerlichte patrilineare Vererbung nennt Pieper dieses Phänomen. Patrilinear ist ein Fachbegriff dafür, wenn nur Männer Besitz erben können. Solche Vorstellungen darüber, was Männer und was Frauen in der Landwirtschaft dürfen und was nicht, beeinflussen den Alltag in der Landwirtschaft oft sehr stark. Das wird sehr deutlich, wenn man die Daten über die Aufteilung der Aufgaben zwischen Männern und Frauen betrachtet.
So werde von vielen Frauen immer noch wie selbstverständlich erwartet, dass sie sich um Haus und Kinder kümmern, wenn sie eine Familie gründeten, erklärt Pieper. Und das selbst dann, wenn sie die Betriebsleiterin seien. Schwangere Betriebsleiterinnen fänden oft keinen Ersatz für die Wochenbettzeit – deshalb bedeute Familiengründung oft, dass sie die Betriebsleitung aufgeben müssten.
Enge, aus der Zeit gefallene Rollenbilder, die den Alltag auf vielen Betrieben regeln, erzeugen eine Struktur, in der Frauen schlechtere Arbeitsbedingungen haben und wesentlich schlechtere Chancen, einen Betrieb zu leiten als Männer. Das ist das Bild, das sich aus den Daten der Studie ergibt. Aber was kann getan werden, um die Situation für Frauen zu verbessern?
Förderprogramme speziell für Frauen
Janna Luisa Pieper hat einige Ideen. Über bestimmte Dinge bräuchten die Frauen schlicht bessere Aufklärung. Zum Beispiel darüber, dass auch Frauen Betriebe erben dürfen. Oder darüber, welche Stoffe für sie potentiell gefährlich sein könnten. Da seien die Ausbildungsstätten – also landwirtschaftliche Berufs- und Hochschulen – in der Verantwortung. Diese Themen müssten Teil des Lehrplans in der landwirtschaftlichen Berufsausbildung und im Studium werden, fordert Pieper.
Außerdem schlägt die Forscherin bundesweite Förderprogramme speziell für Frauen vor, die sie bei der Existenzgründung unterstützen. Die gebe es bisher viel zu wenig. Auch Lehrgänge nur für Frauen könnten helfen, Geschlechterrollen aufzuweichen und Frauen zu stärken. Zum Beispiel, um Aufgaben aus einem traditionell männlich dominierten Bereich wie der Maschinenarbeit zu lernen oder über die eigenen Rechte aufzuklären. Aber all das entstehe eben nicht von selbst: Ohne politisches Eingreifen gehe es nicht, resümiert Pieper.
„Die Landwirtschaft wird nicht von selbst geschlechtergerecht werden“, stellt die Forscherin fest. Das zeige sich daran, wie wenig sich in den letzten zwei Jahrzehnten bewegt habe. Aber ihre Forschungsergebnisse demonstrierten eben auch: Wandel ist möglich.