Ackerwildkräuter sind an die Landwirtschaft angepasst
Ein Forschungsteam der technischen Hochschule Bingen sucht auf einem kleinen Gerstenfeld in der Südpfalz nach Ackerwildkräutern: Blühende Pflanzen im Feld oder an dessen Rändern. Ihr Bestand soll dokumentiert werden. Doch zwischen den dicht wachsenden Gerstenhalmen ist nicht viel zu finden, außer Kornblumen, Klatschmohn, Windhalm und Gras. In der Nähe des Gerstenfeldes werden Bohnen angebaut. Und an diesem Ackerrand wächst ein seltenes Filzkraut, unscheinbar mit kleinen weißen Blüten - eine Rote-Liste-Art und daher ein wichtiger Fund.
Die gesuchten Ackerwildkräuter haben eine Besonderheit: Über Jahrtausende haben sie sich an die Landwirtschaft angepasst, auf einer normalen Wiese könnten sie sich kaum ausbreiten. Sie brauchen zum Beispiel die regelmäßige Bearbeitung, das Aufbrechen und Umwälzen des Bodens, um überleben zu können.
Sehr viele Ackerwildkräuter-Arten stehen kurz vor dem Aussterben
Doch es steht schlecht um die Ackerwildkräuter. Es ist lange nicht mehr so bunt auf unseren Feldern wie früher. Wie dramatisch die Lage in Rheinland-Pfalz ist, will das Team aus Bingen herausfinden: Mit Kartierungen im ganzen Bundesland.
Dafür fahren sie und viele weitere Freiwillige und Studierende an Äcker in allen Landkreisen. Dort erfassen sie genau, welche Pflanzen wachsen, auf welchem Boden, und wie häufig sie noch sind. Manchmal finden sie kleine Schätze, aber häufig ist es wie am Gerstenfeld in der Südpfalz: Von Artenvielfalt keine Spur.
Gezielter Anbau ist möglich
Doch die Forscherinnen und Forscher gehen weiter: Um dem Artensterben etwas entgegenzuhalten, wurde an der TH Bingen ein Erhaltungs- und Vermehrungsacker angelegt. Hier versuchen die Forschenden unter der Leitung von Elke Hietel Ackerwildkräuter zu kultivieren und sie so zu erhalten. Dies funktioniert nicht bei allen Arten, da einige standortabhängig sind.
Aber viele Arten, auch Rote-Liste-Arten, die sonst überhaupt nicht mehr im Freiland zu finden sind, konnten in großen Mengen kultiviert werden, berichtet Professorin Elke Hietel vom Fachbereich Landschaftsökologie und Biodiversität. Die Professorin war selbst überrascht davon wie gut das bisher funktioniert hat.
Ackerwildkräuter sind ein wichtiges Ökosystem für Insekten
Wenn es auf den Äckern eine Vielfalt an Pflanzen gibt, sieht das nicht nur hübscher aus, erklärt die Landschaftsökologin Hietel. Die Wildpflanzen zeigen auch intakte Ökosysteme an. Wenn wir Monokulturen haben, kommen entsprechend auch keine Tierarten vor, da sie dort keinen Lebensraum finden. Das Projekt beinhaltet auch Insektenuntersuchungen. Die ersten Ergebnisse dieser Forschung sind wenig überraschend: Auf Feldern mit vielen Ackerwildkräutern leben auch deutlich mehr Insekten. Artenvielfalt am Ackerrand ist für sie überlebenswichtig.
Die Gründe für den Rückgang der Ackerwildkräuter sind vielfältig. Zum einen liegt es am Einsatz von Spritzmitteln, Herbiziden, die die Ackerwildkräuter töten. Das Saatgut von Nutzpflanzen wird heutzutage außerdem gereinigt, Samen von Ackerwildkräutern werden dabei mit aussortiert. Professorin Elke Hietel berichtet:
Saatgutbank trägt zum Erhalt von gefährdeten Wildpflanzen bei
Ein großer Teil der Ackerwildkraut-Arten gilt als gefährdet. Erhaltungsacker wie in Bingen reichen nicht aus für ihren Schutz.
Um die genetische Vielfalt langfristig zu bewahren, werden die Samen aus Bingen deshalb nach Mainz in den botanischen Garten gebracht. Hier werden sie vorsichtig getrocknet und haltbar gemacht. So können sie im Gefrierschrank dauerhaft gelagert werden.
Eine solche Saatgutbank für Wildpflanzen ist eine Seltenheit, erklärt Ute Becker, Leiterin der Grünen Schule im Botanischen Garten und der Saatgutbank in Mainz.
Für Wildpflanzen ist dies neu, da die Biodiversitätskrise leider erst jetzt für alle sichtbar geworden ist.
Wofür genau man die Samen einmal brauchen wird, weiß man noch nicht. Aber ein langfristiges Ziel wäre es beispielsweise, die tiefgefrorenen Samen der seltenen Pflanzenarten auf Blühstreifen oder Brachflächen wieder anzupflanzen.