"Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht,” sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/ Die Grünen) am Tag nach der Invasion Russlands in die Ukraine. Plötzlich ist der Krieg ganz nah, die ukrainische Grenze ist nur etwa 800 km von Berlin entfernt. Gerade für junge Menschen ist diese "neue" Welt mit einem Gefühl besetzt: Angst.
"Angst ist etwas Normales"
Grundsätzlich sei es normal, Angst zu haben, sagt Mazda Adli, Stressforscher an der Charité in Berlin. Zum Problem würde sie erst dann, wenn es nicht mehr gelingt, sie zu kontrollieren.
Den Kontrollverlust beobachtet Mazda Adli vor allem bei jüngeren Menschen häufig. Einen zentralen Grund dafür sieht der Stressforscher im hohen Nachrichtenkonsum der jüngeren Generationen.
Dieses Verhaltensmuster, der übermäßige Nachrichtenkonsum, bezeichnen Fachleute als "need for cognitive closure". Dahinter steckt der Drang, eine Situation voll umfänglich zu verstehen und zu überblicken. Die insgeheime Hoffnung ist, so die Kontrolle über die Situation zu erlangen, um ihr das Bedrohliche zu nehmen.
Eine umfassende Übersicht über das Geschehen ist aber besonders in Krisenzeiten nur schwer erreichbar, da diese Situationen oft sehr dynamisch sind. Anstatt die Kontrolle zu erlangen, führt der übermäßige Nachrichtenkonsum laut Mazda Adli vielmehr dazu, dass die Angst noch größer wird und Betroffene so in einem Teufelskreis aus Nachrichtenkonsum und Bedrohungsgefühl landen.
Angst akzeptieren
Um die Kontrolle nicht zu verlieren und dem Teufelskreis zu entkommen, empfiehlt Adli, die Angst zu akzeptieren und nicht vor ihr wegzulaufen. Nur so könne es gelingen, ihr etwas entgegenzusetzten.
Zudem rät Donya Gilan, Forscherin am Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz, bewusst Nachrichtenpausen einzulegen. So könne es gelingen, sich wieder auf das eigene Leben zu konzentrieren und so das eigene Verhalten besser kontrollieren zu können.
Auch Gilan beobachtet: Älteren Menschen fällt es oft leichter, diese Vogel-Perspektive einzunehmen und damit die Resilienz zu mobilisieren, also die Fähigkeit, in Krisen die mentale Gesundheit beizubehalten, beziehungsweise schnell wiederherzustellen.
Als einen Grund dafür nennt die Wissenschaftlerin die größere Lebenserfahrung, besonders im Umgang mit Krisen. Dadurch falle es diesen Menschen einfacher, eine optimistische Haltung einzunehmen, da sie ein größeres Bewusstsein dafür haben, dass jede Krise auch wieder endet.
Resilienz erlernen
Eine Einstellung, die Jüngeren, vor allem Kindern, oft fehlt, die sie aber erlernen können. Zwar gibt es genetische Veranlagungen für Resilienz, viel entwickelt sich aber auch durch die Interaktion mit der Umgebung. Gerade deshalb sei es so wichtig, dass Kinder und junge Erwachsene eigene Erfahrungen machen und lernen, ihre Probleme selbst zu lösen. Gilan fordert deshalb von Eltern, ihren Kindern genug Freiräume zu geben, diese Erfahrungen zu machen.
Dennoch sind Bezugspersonen wichtig, erklärt Gilan. So können Eltern ihre Kinder unterstützen, indem sie gemeinsam Nachrichten schauen und aktiv nachfragen, wie sie das Geschehen aufnehmen.
Aber auch die Schulen nimmt die Resilienzforscherin in die Pflicht. Hier müssten junge Menschen ein besseres Krisenbewusstsein erlernen.
Oft beobachtet Gilan bei jungen Menschen nämlich eine "Vollkasko-Mentalität", wie sie es nennt, ein Gefühl der vollkommenen Sicherheit. Dieses habe sich, so Gilan, in den letzten Jahrzehnten in den Köpfen festgesetzt, weil junge Menschen keine oder nur wenige großen Krisen miterlebt hätten.
Gilan fordert deshalb einen Paradigmen-Wechsel im Kopf.
Allein schon ein verändertes Krisenbewusstsein, ein verändertes Mindset, kann - so Donya Gilan - dazu führen, dass die Ängste kleiner werden. Dabei ist vor allem der generationsübergreifende Austausch sehr wichtig. Von der Eltern- und vor allem der Großelterngeneration können Kinder sehr viel lernen.