Sendung am 8. April 2016

Wohnen – unbezahlbar?

Stand

Der Schock sitzt tief: Wer in der Großstadt nach einer Wohnung sucht, hört von Vermietern Preise, bei denen einem nicht nur der Mund offen stehen bleibt, sondern die auch wütend machen. Alle zieht es in die Ballungszentren, dort aber hat der harte Kampf um billigen Wohnraum längst begonnen. Um die wenigen Sozialwohnungen buhlen immer mehr Bewerber, auch tausende Flüchtlinge brauchen eine Bleibe. Familien sind die größten Verlierer der grassierenden Mietexplosionen, hingegen blüht für Investoren das Geschäft.

Die Mieten steigen rasant, die Renten aber kaum. Die Konsequenz: Alte müssen raus, denn immer mehr Rentner wissen nicht mehr ein noch aus. Sie sind nach einer kräftigen Mieterhöhung aufgrund Altbausanierung zum Umzug gezwungen, müssen Freunde verlassen, fühlen sich aus ihrer vertrauten Umgebung entrissen. Was bleibt, sind wehmütige Erinnerungen und ein Beigeschmack, der nach Gerechtigkeit ruft.

Leben bald nur noch Besserverdienende in den Ballungszentren? Was kann die Mietexplosionen stoppen? Wer kann dagegen steuern, damit Problemviertel erst gar nicht entstehen?

Portrait von Karin Jünke
Karin Jünke

Rausgerissen aus ihrem alten Leben – so fühlt sich Karin Jünke. Nach 71 Jahren musste die Rentnerin ihre geliebte Wohnung in München verlassen. Nachdem das Haus saniert wurde, kletterte ihre Miete auf 2000 Euro - unbezahlbar für die Witwe. Somit war sie gezwungen, ihre Umzugskartons zu packen: „Ich bin in diesem Haus geboren worden, mein Herz hängt an dieser Wohnung. Dass ich hier weggehen musste, das tut verdammt weh.“

Portrait von Andreas Hoppe
Andreas Hoppe

„Mieter aus ihren Wohnungen zu werfen, in der sie fast ihr ganzes Leben gewohnt haben – das kann es nicht sein. So eine Entwurzelung hat mit Menschlichkeit nicht viel zu tun“, echauffiert sich TATORT-Kommissar Andreas Hoppe. Auch von Mieten, die sich nur noch Gutverdiener leisten können, hält der Schauspieler nichts. „Wenn nur noch das Geld regiert und alle in Betonklötze ziehen, um überhaupt eine Wohnung zu kriegen, dann ist eine Stadt todgeweiht.“

Portrait von Annette Britsch
Annette Britsch

Vier Quadratmeter zu groß, Sie müssen umziehen! Diese Antwort hörte Annette Britsch vom Sozialamt, an das sich die Bad Rappenauerin wandte. Denn ihre Mietkosten, die sie für ihre 50-qm-Wohnung bezahlen musste, waren höher als die ihr zustehende Rente. Doch Annette Britsch wollte sich nicht länger erniedrigen lassen. Nur noch weg hier, beschloss die vierfache Mutter: „Ich bin einfach nach Bulgarien ausgewandert, obwohl ich weder Land noch Sprache kannte. Hier kann ich von meiner Rente wie eine Königin leben.“

Portrait von Andreas Ibel
Andreas Ibel

Andreas Ibels Immobiliengesellschaft kauft in Hamburg Altbauten auf und saniert die Objekte. Was nach der Modernisierung folgt, ist meist eine deutlich höhere Miete. Von einer Mietpreisbremse, die vor Horrormieten schützen soll, hält der Verbandspräsident Freier Wohnungsunternehmen überhaupt nichts. Ganz im Gegenteil: „Die Deckelung der Mieten bremst den Wohnungsbau. Dadurch wird die Knappheit noch verschärft.“

Portrait von Michael Ebling
Michael Ebling

Hingegen sieht der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling die Mietpreisbremse als richtiges Signal, damit Wohnen auch künftig bezahlbar bleibt. Seine Stadt zählt mit zu den teuersten Städten Deutschlands. Wer hier als Durchschnittsverdiener nach einer erschwinglichen Wohnung sucht, braucht Ausdauer. Deshalb kurbelt der Mainzer OB den jahrelang vernachlässigten sozialen Wohnungsbau wieder an: „Bis 2020 sollen 6500 neue Wohnungen geschaffen werden.“

Portrait von Claudia Treuer
Claudia Treuer

Claudia Treuer sucht seit gut fünf Jahren nach einer bezahlbaren, lebenswerten Wohnung. Nachdem die vierköpfige Familie wegen Eigenbedarfs ausziehen musste, ließ die Buchhalterin nichts unversucht, um auf dem freien Wohnungsmarkt fündig zu werden: Fehlanzeige. Das Ehepaar zählt zwar zu den Geringverdienern, bekommt aber keine staatliche Unterstützung: „Unsere aktuelle Wohnsituation ist unerträglich. Deutschland schreit nach mehr Kindern, ist aber gleichzeitig sehr kinderunfreundlich.“

Portrait von Christian Rickens
Christian Rickens

„Menschen mit niedrigem Lohn und Familien mit Kindern – das sind die Verlierer der Wohnungspolitik. Am schlimmsten ist die Kombination aus beidem“, stellt Wirtschaftsjournalist Christian Rickens fest. Erschwerend komme hinzu, dass es immer mehr Menschen in die Großstädte dränge, so der Handelsblatt-Redakteur: „Dennoch hat nicht jeder ein Grundrecht auf Wohnraum in der Stadt, in der er arbeitet. Aber für jeden muss es in einer zumutbaren Entfernung zum Job eine bezahlbare Wohnung geben.“

Stand
Autor/in
SWR