Hinter den meterhohen Mauern und dem Stacheldraht des Oldenburger Hochsicherheitsgefängnisses arbeiten Häftlinge als Kameraleute, Cutter und Redakteure ihres eigenen Gefängnis-TV-Senders „Gitternet“. Der Sender ist deutschlandweit ein einmaliges Projekt und er bietet den Inhaftierten die Möglichkeit, die Kontrolle über ein zentrales Element ihres Alltags in Isolation zu übernehmen: Unterhaltung. Als gelernter Schreiner hat Björn noch nie mit Schnittprogrammen und Sendeplänen zu tun gehabt. Erst während seiner fünfjährigen Haftzeit kommt er mit der Arbeit eines TV-Senders in Berührung. Dass Fernseher als Tor zur Außenwelt und zum gesellschaftlichen Leben draußen eine große Wirkung auf die Gedanken der Häftlinge haben, merkt er aber schon früh: „Letztes Jahr lief im Fernsehen ‚Alcatraz‘ und nachdem der Film zu Ende war, ging in Lingen Alarm los. Da haben Zwei versucht, auszubrechen und wollten über den Zaun klettern. Ich weiß nicht, ob die solche Filme geguckt haben und das genutzt haben und sich die Idee rausgezogen haben.“
Autor Mahyar Goudarzi zum Film
Filmischer Ehrgeiz
So vielfältig die Hintergründe und Straftaten der Inhaftierten sind, so breit gefächert sind auch ihre Wünsche an den gefängniseigenen Kanal: Während Justizdramen und biographische Stoffe von Kriminellen allgemein beliebt sind, schauen Mörder und Gewaltverbrecher ungerne Filme, die ihre Taten thematisieren. So resümiert ein inhaftierter Zuschauer von Gitternet: „Wenn Sie eine Straftat mit schwerer Körperverletzung oder Mord haben, reicht das Fernsehen schon aus, um diese Bilder wieder zu haben. Das werden Sie nie wieder los. Sie machen das Fernsehen an, sehen den nächsten Tatort und können sich darin vergleichen.“
Die rar gesäten und im Gefängnis beliebten und gefragten Jobs bei „Gitternet“ bringen abwechslungsreiche Privilegien mit sich: So dürfen die Inhaftierten bei dem Filmfest Oldenburg persönlich die Schauspieler wie Burkhard Driest und Stephan Kampwirth treffen und sie interviewen. Dabei schwingt für sie auch stets die Sorge mit, als Laien auf ihrem Gebiet zu versagen und nicht ernst genommen zu werden. Vor allem Wolfgang, der seine Haft wegen Betäubungsmittel-Delikten verbüßt, möchte einen professionellen Eindruck ausstrahlen. Weil er sich ohne Internetanbindung nur bedingt auf seine Interviewpartner vorbereiten kann, ist er unzufrieden mit seinem Auftreten: „Ich möchte, wenn ich die Leute interviewe, den Eindruck erwecken, das hätte genauso gut bei RTL oder bei denen im Studio sein können. Aber dann stehst du voll doof da, hast keine Fragen, nichts vorbereitet. Und dann stehe ich nämlich so doof da, wie das Außenbild von Gefangenen nach draußen dargestellt wird.“
Isoliert drinnen und draußen
Obwohl sie das einende Übel der Haft plagt, sind echte Freundschaften für die Inhaftierten keine Option. Zu groß ist die Angst vor Verrat und Missgunst und damit einem Abbruch des großen Ziels der Freiheit: „Ich habe ja auch eine Straftat gemacht, die haben vielleicht auch Straftaten begangen. Ich lasse meinen Kaffeebecher nirgendwo stehen. Weiß man, ob irgendwo jemand was reinschmeißt? Freundschaften gibt’s nicht. Bekanntschaften.“ Der Regisseur Mahyar Goudarzi begleitet die Häftlinge hinter „Gitternet“ über drei Jahre hinweg im Lauf der Jahreszeiten und fängt dabei einen authentischen Einblick in die Realität von Menschen ein, die trotz unterschiedlichsten Hintergründen ein Punkt eint: Die Isolation vom Rest der Gesellschaft. Er dokumentiert auf eine beobachtende und humorvolle Art die Arbeit von Deutschlands einzigem Fernsehsender von Inhaftierten für Inhaftierte und eröffnet dabei die Frage nach dem Stellenwert und der Bedeutung von Unterhaltung – in Haft und in Freiheit.