Bay und Tam sind schon ein Paar, seitdem sie 20 sind, doch Bay war in dem Haus ihrer Schwiegereltern nie willkommen. Bay war als Bäuerin für die Fischerfamilie von Tam zu arm. In Vietnam bleiben Söhne oft in der Nähe des Elternhauses. Töchter dagegen ziehen zu den Familien ihrer Männer. Man möchte daher lieber Söhne haben, da sie die Familie weiterhin unterstützen können. Bay wurde nie akzeptiert, auch ihre ersten Kinder wollten die Schwiegereltern nicht sehen. Beide starben noch in Vietnam an Grippe, da Bay und Tam sich die medizinische Versorgung ohne Unterstützung der Familie nicht leisten konnten. Für das Paar hatte das Leben in Vietnam keine Zukunft mehr. Sie konnten sich nicht vorstellen, weiterhin unter den Umständen von Armut und familiärer Inakzeptanz zu leben und mögliche weitere Kinder großzuziehen. Bay war mit einem weiterem Kind schwanger – Hien war während der Flucht schon im Mutterbauch. Die Sehnsucht nach einem besseren Leben war groß und so entschieden sie sich, alles zurückzulassen, um zusammen bleiben zu können.
Die Autor:innen Tim Ellrich und Hien Mai zum Film
Flucht ins Ungewisse
Tam musste in Vietnam seine Wehrpflicht bei der Küstenwache ableisten, obwohl er die Idee des Einparteienstaats ablehnte. 1982 versuchte er, alleine zu flüchten, wurde aber festgenommen und musste in Haft. Sieben Jahre später nahmen Bay und Tam ihren ganzen Mut zusammen, um noch einen letzten Fluchtversuch zu starten. Tam versteckte Benzin an verschiedenen Stellen an der Küste von Vung Ro, bevor sie mitten in der Nacht aufbrachen. Insgesamt waren es 26 Erwachsene, 4 Kinder und 2 noch Ungeborene (darunter Hien) auf dem Fischerboot, das Tam auf das offene Meer lenkte. Sie wussten nicht genau, wohin – Hauptsache weg und sie hatten gehört, dass es immer wieder ausländische Boote gab, die Flüchtlingsschiffe entdecken und die Insassen retten.
Nach vier Tagen auf offener See entdeckten sie endlich Licht. Es war ein Handelsschiff mit deutschem Kapitän. Seinen Namen wissen sie nicht, bedauern es aber sehr, da sie sich im Nachhinein nicht mehr richtig bei ihm bedanken konnten. Nach mehr als zwei Monaten Aufenthalt in einem Flüchtlingslager bei Kuala Lumpur kamen sie mithilfe der Caritas mit dem Flugzeug nach München.
Heute: Leben zwischen den Welten
Inzwischen leben sie seit 30 Jahren in Deutschland. Abseits der deutschen Gesellschaft arbeiten sie in leeren Büroräumen als Putzkräfte. Die Sehnsucht nach der alten Heimat ist groß – durch Skype und Online Chatrooms haben sie ihre eigene virtuelle Version von Vietnam in ihrer Münchner Wohnung erschaffen. Doch die Einschränkungen dieser Online-Blase zeigen sich, als ihr Haus in Vietnam durch einen Sturm zerstört wird und ein Familienmitglied in der ehemaligen Heimat auf dem Sterbebett liegt. Mehr und mehr müssen sich die beide mit der Frage konfrontieren, ob sie in Deutschland jemals wirklich angekommen sind. Während Bays Zukunft klar in Deutschland liegt, wird es für Tam immer wichtiger, nach Vietnam zurückzukehren. Ist Heimat ein Ort oder vielmehr ein Gemütszustand? "Mein Vietnam" erzählt von der Schwierigkeit an zwei Orten gleichzeitig zu leben und welche Auswirkungen diese Dualität auf eine Ehe, Familie und das Gefühl von Zugehörigkeit hat.